Die Querdenker feiern ihren zweiten Jahrestag – und das ist auch gut so
Die Bewegung der Corona-Gegner mag für viele irgendwie unappetitlich sein. Aber es wäre ein Fehler, die Gründe für den Protest nicht ernst zu nehmen.

Die erste Querdenker-Versammlung fand am 1. August 2020 statt, deshalb feiert sich die Bewegung der Corona-Gegner bis Sonnabend mit einer „Woche der Demokratie“ und begeht ihren zweiten Jahrestag mit Kundgebungen. Wie sind solche Demos einzuschätzen?
Natürlich positiv. Über diese wohlwollende Bewertung mögen viele nun die Nase rümpfen und drauf verweisen, dass die Bewegung zumindest extremistisch unterwandert oder gar dominiert sei. Aber auch Querdenker, Schwurbler, Verschwörungstheoretiker und Extremisten haben ein Recht auf Meinungsfreiheit, so lange sie das Recht achten. Das nennt sich Demokratie: Alle dürfen sagen, was sie denken, auch jene, die ein Rad ab haben. Das Recht auf eine freie Meinung gibt auch für Leute, die wir dumm finden. Und wir selbst halten uns persönlich ja nie für dumm, sondern immer nur die anderen.
Das extremste Zitat zur Meinungsfreiheit wird Voltaire zugeschrieben: „Ich hasse, was du sagst, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass du es sagen darfst.“ Das ist maßlos übertrieben, denn die meisten würden im Ernstfall ihr Leben nicht mal dafür opfern, die eigene Meinung zu verteidigen, geschweige denn die von anderen. Aber das Zitat zeigt, wie weit die Idee der Toleranz reichen könnte.
Die großen Freiheiten sind vom wichtigsten Regelwerk der Republik geschützt: dem Grundgesetz. Aber es zeigt auch die Grenzen der Meinungsfreiheit. Der demokratische Diskurs endet dort, wo Gewalt beginnt. Und Gewalt beginnt, wo jemand zu Gewalt aufruft. Wer hetzt, Gewalt predigt, Parlamente stürmt und gezielt Lügen verbreitet, verlässt ganz gezielt den Raum der Politik. Es ist Aufgabe der Justiz, entschieden gegen Verleumdungen, Beleidigungen und Volksverhetzungen vorzugehen.
In einer Reihe mit der DDR-Opposition
Bei der Querdenker-Szene ist es anmaßend, dass sie sich mit ihren Montagsspaziergängen in eine Reihe mit der mutigen Opposition in der DDR stellen will. Das ist historisch falsch und lächerlich, aber es ist nicht verboten. Jeder hat das Recht, sich zu irren.
Wer aber die Querdenker-Bewegung pauschal ablehnt oder die Leute als dumm abtut, macht es sich zu leicht – nicht nur, weil die Bewegung mit ihren dezentralen Montagsspaziergängen auch mal mehr als hunderttausend Leute auf die Straßen bringt. Die Bewegung steht für einen viel breiteren Unmut in der Bevölkerung gegenüber der politischen Klasse und den wirtschaftlichen Verhältnissen. Wer in dieser Gesellschaft verantwortungsvoll wirken will, sollte die Gründe für den Unmut suchen und sich damit beschäftigen.
Vor Corona war es eher so, dass die harten Debatten oft zwischen AfD und Grünen verliefen. Seither hat sich die Gesellschaft weiter radikalisiert und ideologisiert. Plakativ gesagt stehen auf der einen Seite die Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremisten, auf der anderen Seite die Anhänger einer radikalen Gender-Politik und die Weltuntergangs-Kassandras, die sich auf Straßen kleben. All das sind Kräfte, die noch vor kurzem ignoriert worden wären, weil zu radikal.
Das Besondere: Es sind Minderheiten, die glauben, für Mehrheiten zu sprechen. Aber in der hysteriegetriebenen Welt des Internets heizen Radikale mit ihren polarisierenden Meinungen auch Debatten an, die die breite Mehrheit oft gar nicht interessieren. Dazu kommt das Problem mit Ideologen, die selten kompromissbereit und diskursiv agieren, sondern meist angriffsbereit und rechthaberisch.
Auch bei den Querdenkern handelt es sich um eine Besserwisser-Szene. Sie sind gegen fast alles, was der Staat vertritt, alles, was in den Mainstream-Medien steht oder was die Mehrheit akzeptiert. Sie reden meist auch so, als wären sie die einzigen Durchblicker. Egal ob es um Corona geht, ums Impfen, den Lockdown oder um Putins Krieg.
Und bei all dem wollen Demokratiefeinde auch noch die demokratischen Freiheiten ausnutzen, um die Demokratie zu schädigen oder zu stürzen, etwa wenn Rechtsextremisten versuchen, die Anti-Corona-Bewegung zu kapern. Das darf für eine Demokratie aber kein Grund sein, an Grundrechten zu schrauben und Demos zu verbieten.
Stattdessen muss eine Gegenbewegung die unpolitische Mehrheit mobilisieren, denn jene zeigt doch bei Wahlen und am Zeitungskiosk immer wieder, dass sie nicht extremistisch ist, sondern gemäßigte Parteien und Mainstream-Medien bevorzugt.