Die Rettung von Schwedt betrifft die Uckermark – und ganz Deutschland

Scheitert Robert Habeck mit Schwedt, steht der Osten wieder als Problemfall da. Das wird die Stimmung anheizen, wenn die Preise weiter steigen und der Frust.

Hell beleuchtet: die Anlagen der PCK-Raffinerie in Schwedt.
Hell beleuchtet: die Anlagen der PCK-Raffinerie in Schwedt.dpa/Patrick Pleul

Berlin-Derzeit heißt es oft: „Und wieder trifft es den Osten besonders hart. Das ist typisch.“ Das sind Sätze, die in Berlins Nachbarland Brandenburg oft zu hören sind. Jedenfalls wenn es um die Raffinerie Schwedt geht. Sie ist quasi die größte Tankstelle der Region. Dort wird aus Erdöl fast aller Sprit hergestellt, der in Berlin und Brandenburg an den Tankstellen verkauft wird. Das Öl kommt aus Russland – über die Pipeline „Drushba“, also Freundschaft. Doch wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine will Deutschland ab Januar dieses Öl nicht mehr. Deshalb steht die Raffinerie Schwedt vor dem Aus.

Am Donnerstag stellte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke vor den Arbeitern das Embargo infrage. Zuvor hatten zwei Minister von der SPD einen Brandbrief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geschrieben, weil der Grüne zuständig ist für die wirtschaftlichen Folgen des Öl-Embargos. Habeck war am 9. Mai in Schwedt gewesen und hat der Belegschaft versprochen, sein Möglichstes zu tun. Aber in Brandenburg mehren sich die Zweifel, ob er und der Bund Schwedt tatsächlich retten wollen.

Denn Habecks Taskforce Schwedt traf sich erst Ende Mai, und nun ist vor den Sommerferien offenbar nur noch ein Treffen geplant. Engagierte Arbeit sieht anders aus.

Deshalb der Vorwurf, dass der Westen den Osten wieder mal hängen lässt. Das sagen nicht nur wütende Bürger in Schwedt, auch in Potsdamer Parteikreisen heißt es: „Würde die Raffinerie nicht im Osten stehen, sondern in einer ebenso strukturschwachen Region im Westen, würden die Bemühungen ganz anders aussehen.“

Da mag auch Polemik dabei sein, aber die Rettung von Schwedt steht auf der Agenda des Bundes nicht ganz oben. Dabei kann die Rettung nur gelingen, wenn viele Dinge klappen, die fast unmöglich sind. Deutschland müsste den russischen Hauptbesitzer der Raffinerie „rauswerfen“ und eine Art Staatsbetrieb daraus machen. Habeck und seine Leute müssten genügend Öl aus anderen Quellen besorgen und genügend Schiffe, um das Öl in den Rostocker Hafen bringen zu lassen und von dort nach Schwedt. Die meisten dieser Probleme sind noch ungelöst. Deshalb der Druck auf Habeck.

Dass sich die Vorwürfe gegen ihn richten, hat nicht nur damit zu tun, dass er der zuständige Minister ist oder Wessi, sondern auch damit, dass er ein Grüner ist. Denn bei solchen fast unlösbaren Herausforderungen geht es immer auch um die Schuldfrage und um Parteipolitik. Und so verweisen die SPD-Minister aus Potsdam auf Habeck, den Grünen. Sie greifen nicht Olaf Scholz an, den Kanzler von der SPD, der auch noch seinen Wahlkreis in Potsdam hat.

Bis zu 400 Millionen Euro Verlust pro Jahr

Ganz unabhängig vom Spiel der Parteien geht es in Schwedt ganz konkret um 2000 gut bezahlte Industriearbeitsplätze, die in der extrem dünn besiedelten Uckermark besonders ins Gewicht fallen. Aber es geht um viel mehr. Denn egal, was kommt – die Rettung oder das Ende –, jede Variante wird teuer, richtig teuer. Für alle.

Wenn die Raffinerie nicht weiter Volllast fährt, stellt sich die Frage, was mit den nicht benötigen Arbeitern wird? Kurzarbeit? Arbeitslosigkeit? Wenn Schwedt nicht Volllast fährt, fallen pro Jahr auch noch bis zu 400 Millionen Euro Verluste an. Wer übernimmt die und wie lange? Das ist unklar. Klar ist nur: All das treibt die gesamtgesellschaftlichen Kosten in die Höhe. Und wenn die Raffinerie nicht Volllast fährt und Gewinne machen kann, fehlt das Geld, um sie umzurüsten auf eine Raffinerie der Zukunft. Dann kommt das Aus sowieso.

Es rächt sich, dass Deutschland in Öl-Fragen längst noch nicht vereint ist. Die zehn Raffinerien im Westen hängen meist an Leitungen aus Rotterdam und Triest. Die beiden Ost-Betriebe in Schwedt und Leuna hängen am russischen Öl. Eine Ost-West-Pipeline als Alternative gibt es nicht. Wenn nun die Rettung von Schwedt scheitert, steht der Osten wieder als teurer Problemfall da.

Schwedt betrifft die gesamte Republik

Im Fall Schwedt muss auch die mentale Dimension erkannt werden. Und so steht ein Sommer der Entscheidungen an. Er sorgt dafür, ob es ein kalter Winter wird oder ob die Bundesregierung rechtzeitig genügend Alternativen zum russischen Öl organisieren kann. Der Sommer entscheidet aber auch, ob es ein politisch heißer Herbst wird, also ob sich der Frust entlädt. Bald bekommen die Bürger die neuen hohen Energie-Rechnungen. Dabei hat das Embargo noch nicht mal begonnen. Wenn dann immer mehr Leute das Heizen nicht mehr bezahlen können, sorgt das für soziale Probleme und für massiven Unmut.

Da ist es wenig hilfreich, wenn sich der Osten mal wieder im Stich gelassen fühlt. Schwedt betrifft damit nicht nur die dünn besiedelte Uckermark, sondern die ganze Republik.