Die russische Stimme Berlins: Warum Radio Russkij sich umbenannt hat
Das Russische Haus warf sie raus, Hörer schrieben Hassmails, selbst die Playlist ist seit dem Krieg neu. Besuch beim einzigen russischsprachigen Sender Berlins.

Maria Kritchevski leitet eine Redaktion im Wandel. Das erkennt man an dem Stapel Kartons in der Ecke ihres Büros im Steglitzer Medienzentrum, Kritchevski ist kürzlich erst eingezogen und zieht bald wieder aus. Vor allem aber erkennt man es am Namen des Senders, bei dem sie Kreativdirektorin ist: Radio Golos Berlina. Bis zum 3. März hieß er noch Radio Russkij Berlin.
„In den letzten Monaten mussten wir schnell erwachsen werden“, sagt Kritchevski. Die russische Invasion der Ukraine am 24. Februar hat auch für den Sender, den es seit November 2003 gibt, vieles verändert. Es sei ein schwerer Tag gewesen, vor allem für die Mitarbeiter aus der Ukraine. Das Wort „Russkij“ im einstigen Namen habe sich nie auf Russland bezogen, sondern stets auf die Sprache des Programms. Nach der Invasion wollte man keinen Zweifel daran lassen, dass die Redaktion keinerlei Verbindung zum russischen Staat hat, sagt Kritchevski. Die Redaktion einigte sich schnell auf den neuen Namen. „Golos Berlina“ heißt „die Stimme Berlins“.
Der Sender will sich auch inhaltlich von den staatlichen russischen Programmen unterscheiden, deren Namen weitgehend zum Synonym für Wladimir Putin und seine Kriegspropaganda geworden sind. Als einziger russischsprachiger Radiosender in Berlin will man eine mediale Alternative bieten – in der Muttersprache Hunderttausender Berliner.
Im alten Studio „nicht mehr willkommen“ wegen Kriegsinterview
Am 24. Februar veröffentlichte das Team sofort eine Stellungnahme auf seiner Webseite. Die Mitarbeiter des Senders distanzierten sich von den „Kriegshandlungen der russischen Regierung“ und bekundeten Solidarität mit der Ukraine. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten sie seit zwei Jahren in einem Studio im Russischen Haus in der Friedrichstraße, das seit Kriegsbeginn für die Öffentlichkeit geschlossen ist.
„Am 21. April wurde uns gesagt, wir wären ab dem 1. Mai nicht mehr willkommen“, sagt Maria Kritchevski. Grund soll ein Interview mit dem russischen Exiljournalisten Dmitrii Watschedin gewesen sein. „Jemand hat mir gesagt, dass der russische Botschafter mit dem Interview nicht so zufrieden war.“ Angeblich, weil darin von Krieg und nicht von einer „militärischen Sonderoperation“ in der Ukraine gesprochen wurde. Der Rauswurf aus dem Studio kam plötzlich, aber nicht überraschend: „Wir wussten, dass so was kommen könnte. Rechtlich gesehen ist das Haus russischer Boden, auf dem man nicht von einem Krieg sprechen darf.“
Das Russische Haus wird von Rossotrudnitschestwo betrieben, einer Staatsagentur, die die russische Sprache und Kultur im Ausland fördert. Kritchevski sagt, die Redaktion habe das Studio dort gemietet und sei nie von russischen Quellen finanziert worden. Vor dem 24. Februar habe es keinen Druck auf redaktionelle Entscheidungen seitens der Botschaft gegeben. Radio Golos Berlina gehört zum unabhängigen Medienhaus RusMedia, das auch die russischsprachige Wochenzeitung Redaktsija Berlin (bis vor kurzem Russkij Berlin) herausgibt. Der Sender zog nach Steglitz, nun folgt der nächste Umzug, nach Kreuzberg in ein größeres Studio.
Russische Pop-Legenden werden durch ESC-Sieger Kalush ersetzt
In der Redaktion trafen nach Kriegsbeginn „viele blöde Hassmails und WhatsApp-Nachrichten“ ein, erzählt Kritchevski. Einige der ungefähr 35.000 stündlichen Zuhörer des Senders äußerten Unzufriedenheit wegen der Namensänderung. Andere beschwerten sich, weil viele Unterhaltungsformate ausfallen und die Musik von russischen Künstlern, die den Krieg unterstützen, nicht mehr gespielt wird, stattdessen mehr ukrainische Songs. Russische Pop-Legenden wie Oleg Gasmanow und Nikolai Baskow flogen raus, der ESC-Sieger Kalush kam rein, acht Titel der Gruppe sind in der Playlist. Mails mit Ermutigungen, auch von Deutschen, die für den Sender spenden wollten, habe es auch gegeben. „Ich habe sie in einer Mappe, falls ich Aufmunterung brauche“, sagt Kritchevski.
Für die Zeit nach den Ferien sind neue Formate vorgesehen: unter anderem eine Sendung mit dem Arbeitstitel „Dopomoha 24“ („Hilfe 24“ auf Ukrainisch), die Informationen für ukrainische Geflüchtete bringen soll. Insgesamt wird mehr Wert auf Nachrichten und Analyse gelegt als früher. Der russische Exiljournalist Andrei Schaschkow moderiert jeden Abend eine Nachrichtensendung. Vor dem Krieg arbeitete er beim Radiosender Echo Moskwy, der Anfang März eingestellt wurde. Aufgabe der Redaktion sei jetzt, so Kritchevski, ihr Publikum so gut wie möglich über den Krieg zu informieren.
Anhänger russischer Propaganda sind nicht mehr zu erreichen
Sie wisse, dass der Sender damit nicht alle Befürworter des Krieges überzeugen könne. Über das Internet empfangen viele russischsprachige Berliner die Propaganda Putins. „Sie sind davon besessen und fühlen sich damit zufrieden – andere Informationen wollen sie nicht mehr hören.“ Sie hoffe aber auf neue Hörer, vor allem Geflüchtete aus der Ukraine, die Russisch verstehen.
Im neuen Studio müssen noch 200 Meter Kabel verlegt werden. „Die liebe Telekom muss uns auch einschalten“, sagt Maria Kritchevski. Neben dem schnellstmöglichen Ende des Krieges wünsche sie sich vor allem eins: die Rückkehr des Lachens in die Redaktion. „Ich würde so gerne unsere sinnlosen, lustigen Formate zurück ins Programm bringen. Aber das können wir erst machen, wenn die Welt wieder in Ordnung ist.“