Die Wiege des Gin in Wedding
Die „Preußische Spirituosen Manufaktur“ in einem Zweckbau an der Seestraße stellt seit 2005 den Adler Gin wieder her.
Berlin-Wedding-Überall Gin, und das seit Jahren: Weit über hundert neue Marken sind in Deutschland in den vergangenen fünf, sechs Jahren aufgepoppt, dreißig allein in Berlin. Der Szene-Schnaps hat einen unaufhaltsamen Lauf – und er hat seinen Urvater hier in der Stadt: In einer Berliner Destille entstand 1874 der erste deutsche Wacholder, der Adler Gin. Der Bakteriologe Max Delbrück (1850–1919; Onkel des gleichnamigen Genetikers und Nobelpreisträgers), der das Brauerei- und Branntweinwesen maßgeblich vorantrieb, erfand ihn und vermarktete ihn als Nebenprodukt seiner Forschung.

Seit dem Jahr 2005 gibt es den Adler Gin wieder und auch da wurde er flugs ein Vorreiter, nämlich für die moderne Gin-o-Manie und Craft-Spirits-Bewegung. Hergestellt wird er in einem simplen Zweckbau an der Seestraße in Wedding, darin liegt die „Preußische Spirituosen Manufaktur“. Ein unscheinbarer Ort, aber ein großes Erbe. Die Manufaktur war einst eine Versuchslikörfabrik des preußischen Staates und Lehranstalt für den Destillationsnachwuchs. Heute noch eröffnet sich dort eine Welt der glänzenden Kupferkessel und eines echten Wissensschatzes: Apparate aus drei Jahrhunderten stehen in den Räumen, alle betriebsbereit. Darin werden die Kräuter und Gewürze zu Mazeraten und Destillaten für die Schnäpse verarbeitet. Es gibt lange Reihen von Apothekengefäßen mit pflanzlichen Extrakten. Alles, was halt an „Drogen“ für die Rezepturen gebraucht wird.
Professionelles Destillieren
Die Manufaktur stellt bis zu 60 verschiedene Produkte her, teils unter eigenem Namen, teils für andere Auftraggeber. „Neuerdings“, sagt der Betreiber Gerald Schroff, „können wir den Alkohol sogar selber brennen.“ Die größte Maschine im Raum ist funkelnagelneu. Mit ihr funktioniert auch die Alkoholherstellung an sich. Doch ums Brennen geht es in der Manufaktur nicht vorrangig, sondern um das Veredeln, um die Kunst des Destillierens. „Vergeisten“ sagt man ebenso: dem Alkohol einen Geschmack einhauchen. Eben dieses Berufsbild des Destillateurs war unter der Ägide von Delbrück immer weiter professionalisiert worden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zog ein Cluster von Instituten für die Verfahrenstechniken an die Seestraße. Bis heute ist die TU Berlin am Ort und die Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei (VLB), ein Weltmarktführer für Analytik und Forschung.
Einer der führenden Köpfe am Wissenszentrum war der TU-Professor Ulf Stahl, ein bekannter Mikrobiologe unserer Tage – und ein bekennender Gin-Fan. Er war es, der vor fünfzehn Jahren gemeinsam mit Gerald Schroff die historischen Apparate der Spirituosen-Manufaktur auf dem Gelände wieder zum Laufen brachte. Im vergangenen Jahr nun starb Ulf Stahl, und so führt Schroff die Manufaktur allein weiter. Wie in einem Museum bietet er auch Führungen an.