Diese Frage hat in Berliner Clubs schon Leben gerettet: „Alles okay bei dir?“
Nach der Spike-Attacke im Berliner Club Berghain: Einzelfälle sollten nicht zu Panik führen, sondern zu einem aufgeklärten Umgang mit Drogen motivieren.

Sich nur vorzustellen, dass so etwas möglich ist, lässt einen erschaudern: Da hat man vorgeglüht und angestanden, ist am Türsteher vorbeigekommen und steht endlich verdientermaßen verschwitzt auf der Tanzfläche, um selbstvergessen die Arme in die Höhe zu strecken und sich mit geschlossenen Augen der Musik hinzugeben – und dann nutzt jemand diesen Moment der Schwäche, um einem eine Spritze in den Arm zu stechen?
Vor zwei Wochen soll genau das einer australischen Musikerin im Berghain passiert sein. Die 32 Jahre alte Zoe Zanias verlor erst das Bewusstsein und, da war sie sich im Interview sicher, beinahe ihr Leben. Sie hatte das starke Gefühl, dass ihr gegen ihren Willen Drogen verabreicht worden waren. Den Symptomen nach könnte es Ketamin gewesen sein, ein Pferdenarkotikum, das per Spritze noch schneller und stärker wirkt. Am Folgetag fand Zanias entsprechend eine Einstichstelle an ihrem linken Oberarm. Das Foto der Einstichstelle liegt der Redaktion vor – ebenso ihre Bitte, es nicht zu veröffentlichen.
Zanias war nie bei einem Arzt, um ihr Blut nach Resten einer möglichen Droge untersuchen zu lassen. Doch wer einmal mit der Musikerin spricht, bekommt nicht den Eindruck, dass sie mit dieser Geschichte nur Aufmerksamkeit erzeugen wolle. Sie wirkt wirklich erschüttert, noch Tage nach dem Ereignis. Es geht ihr wirklich darum, andere vor einem solchen Erlebnis zu bewahren. Die Clubs verweisen jedoch ebenfalls völlig zu Recht darauf, dass es ein Einzelfall ist – noch dazu einer, der nicht medizinisch belegt ist.
Gleichzeitig heißt Einzelfall nicht, dass Zoe Zanias die einzige ist, die einen solchen Needle-Spike-Vorfall berichtet. In Clubs in den Niederlanden und Frankreich sind ganz ähnliche Fälle berichtet worden, eine weitere Frau schildert Zanias gegenüber ein solches Erlebnis auf Ibiza, und in Belgien wurde sogar ein Festival wegen eines solchen Vorfalls unterbrochen. Reicht das schon, um sich auch in Berlin ernsthaft Sorgen zu machen?
Jetzt, wo ein verlängertes Sommerwochenende beginnt, muss vor allem noch einmal klar gemacht werden, dass Panikmache an dieser Stelle niemandem hilft. Die Theken und Tanzflächen unserer Stadt sind sicher. In vielen Clubs arbeiten schon jetzt Awareness-Teams daran, die Besucher und Mitarbeiter darin zu schulen, wie man im Falle einer leichten oder schweren Überdosis mit Betroffenen umgeht. Dieses Wissen kann Leben retten – und zwar nicht nur im Fall von Spike-Attacken. Denn diese gab es schon lange.
Deshalb ist es gerade jetzt zu Beginn dieses Sommers und dieses langen Pfingstwochenendes noch einmal wichtig, sich klarzumachen: Schon immer gab es böswillige Idioten, die anderen bei einer Party schaden wollten. Im Archiv gibt es Panik-Artikel aus dem Jahr 2012, als ein Mann mehrere Glühwein-Becher auf Berliner Weihnachtsmärkten mit Drogen anreicherte.
Und in einem Techno-Club gilt das Gleiche wie auf jedem Weihnachtsmarkt und Rummelplatz. Man sollte sehr wohl auf sich und andere achtgeben. Denn die viel größere Gefahr geht meist von dem aus, was man sich freiwillig zumutet. Das soll kein erhobener Zeigefinger sein, eher die freundliche Erinnerung, dass diese Frage schon manches Leben gerettet hat: „Du siehst nicht gut aus, alles okay bei dir?“