Diesel-Fahrverboten vermeiden: Senat prüft Ausweitung von Tempo-30-Zonen

Autofahrer in Berlin müssen nicht nur mit Dieselfahrverboten, sondern auch mit weiteren Tempo-30-Bereichen auf Hauptstraßen rechnen. Das hat Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) bekräftigt. „Tempo 30 ist Teil des Maßnahmenpakets, das wir jetzt intensiv prüfen“, sagte sie.

Eine solche Beschränkung könne dazu beitragen, auf zahlreichen Straßen Fahrverbote zu verhindern, so Günther. Wo die Belastung durch Stickstoffdioxid nur wenig über dem Grenzwert liege, könnte Tempo 30 Mittel der Wahl sein, um den Schadstoffgehalt der Luft deutlich zu verringern.

Kantstraße soll entschleunigt werden

Das Tempolimit gilt bereits auf rund drei Vierteln des Berliner Straßennetzes. Um zu ermitteln, ob dies die Stickstoffdioxidwerte senkt, begann im April in der Leipziger Straße der erste von fünf Tempo-30-Versuchen in Berlin. Im November soll die Kantstraße entschleunigt werden.

Dabei soll es nicht bleiben. Seit Monaten prüft die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, auf welchen weiteren Hauptstraßen Tempo 30 sinnvoll wäre. Bislang seien Abschnitte von 13 Straßen im Gespräch, hieß es. Nach Informationen der Berliner Zeitung zählen dazu die Martin-Luther-Straße und die Kolonnenstraße in Schöneberg, die Frankfurter Allee in Friedrichshain, die Oranienstraße in Kreuzberg sowie die Sonnenallee in Neukölln.

Mit Tempo-30 gegen Fahrverbote

Die Verwaltung geht davon aus, dass sich diese Liste noch verändert und länger wird. Denn in seinem Urteil von Dienstag hat das Verwaltungsgericht dem Senat aufgegeben, für 117 Straßenabschnitte zu prüfen, wie dort die Stickstoffdioxidbelastung unter den Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gedrückt werden könnte. „Wir werden jetzt im Einzelnen schauen, welche Maßnahmen – zum Beispiel Tempo 30 und Verkehrsverstetigung – sinnvoll sind“, sagte Matthias Tang, der Sprecher der Verkehrsverwaltung, am Mittwoch.

„Wo die Belastung nur knapp über dem erlaubten Wert liegt, könnte man mit Tempo 30 dafür sorgen, dass Dieselfahrverbote nicht erforderlich werden“, so ein Experte. Entsprechende Daten gibt es nach einer Liste des Senats zum Beispiel für die Grunerstraße in Mitte, die Badstraße in Wedding und die Erkstraße in Neukölln.

Auch Busse werden gebremst

Mit Tempo 30 ließen sich zudem weitere Ziele erreichen. So werde der Verkehr leiser, und Kollisionen haben weniger schwere Folgen. Allerdings gibt es auch Kritik. So würde Tempo 30 auch den ökologisch sinnvollen Busverkehr ausbremsen, der ohnehin immer langsamer würde. Waren die Busse der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) 2016 im Schnitt mit 19,4 Kilometer pro Stunde unterwegs, waren es im vergangenen Jahr 19,2. Ziel müsse es sein, den steigenden Kraftfahrzeugverkehr zu verringern. Zu diesem Ziel trage Tempo 30 nichts oder nur wenig bei, hieß es.

Strittig ist auch, in welchem Maße es die Schadstoffbelastung verringern kann. Der Senat geht davon aus, dass Tempo 30 sie im Durchschnitt um fünf Mikrogramm senkt, das Verwaltungsgericht hält das für plausibel. „Mehr als ein bis zwei Mikrogramm sind nicht erreichbar – und das auch nur, wenn sich alle Kraftfahrer daran halten“, sagte dagegen Axel Friedrich. Der frühere Abteilungsleiter im Umweltbundesamt berät die Umwelthilfe, die gegen das Land Berlin geklagt hatte. Ein früherer Versuch mit Tempo 30 in der Leipziger Straße habe den Wert um bis zu ein Mikrogramm verringert.

Weitere Klage erwartet

Unterdessen erwartet Peter Kremer, der die Umwelthilfe vor dem Verwaltungsgericht vertrat, weiteren Streit – und weitere Klagen. „Die Richter haben bestätigt, dass es nicht auf einen durchschnittlichen Wert ankommt, sondern dass der Grenzwert an jeder Stelle in der Stadt eingehalten werden muss. Jeder Anwohner kann das jetzt vom Senat für sein Haus verlangen“, so der Rechtsanwalt. Dieser Teil der zu erwartende Urteilsbegründung werde Folgen haben.

Dem Verwaltungsgericht liege bereits eine Individualklage vor, sagte Ulrich Marticke, der Vorsitzende Richter des Zehnten Senats. „Es ist aber noch unklar, wie weit der Anwohner von der betreffenden Straße entfernt wohnt.“ Anwalt Kremer erwartet auch deshalb weitere Konflikte, weil Dieselfahrer gesperrte Abschnitte umfahren werden. „Es wird Ausweichverkehr geben“ – der weitere Menschen belasten könnte.

„Dieser Flickenteppich hilft nicht“

Ein solcher Streit ist in Reinickendorf bereits absehbar. Der Kapweg ist eine der acht Straßen, für die das Verwaltungsgericht ein Fahrverbot für Diesel bis Euro 5 angeordnet hat. Derzeit nehme das knapp hundert Meter lange Straßenstück einen großen Teil des Verkehrs in seinem Umkreis auf, sagte die CDU-Abgeordnete Emine Demirbüken-Wegner. Er habe es ermöglicht, dass der Kurt-Schumacher-Platz umgebaut wurde. Ein Dieselfahrverbot auf dem Kapweg werde zu einer „massiven Belastung“ des Platzes führen, warnte die Abgeordnete. Folge wären Rückstaus in der Scharnweber- und der Ollenhauerstraße, wo viele Menschen wohnen. „In ohnehin schon stark belasteten Quartieren wird sich die Belastung weiter verschlimmern.“

Wenn es nur auf elf kurzen Abschnitten Fahrverbote gebe, sei das wenig sinnvoll, so der Berliner Grünen-Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar. „Dieser Flickenteppich hilft nicht. Die Gesundheit wird erst geschützt, wenn die Kontrolle funktioniert. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, endlich die blaue Plakette einzuführen.“