Dilek Kolat und Zeynep Cetin im Streitgespräch: Gehört das Kopftuch an Schulen in Berlin?

Ob politisch, religiös oder gesellschaftlich – um kein anderes Kleidungsstück wird so viel gestritten wie um das Kopftuch. Wo und wann es getragen werden darf, ist mittlerweile gesetzlich geregelt, aber der Streit geht weiter.

In dieser Woche urteilte der Europäische Gerichtshof zugunsten von Arbeitgebern, die religiöse Symbole aus ihren Betrieben verbannen wollen. Wir haben zwei Frauen gebeten, den Disput öffentlich auszutragen: Gleichstellungssenatorin Dilek Kolat (SPD) und Zeynep Cetin, die Berliner Frauen berät, die sich gegen Diskriminierung wehren. Zu Gast im neuen Berliner Newsroom der Berliner Zeitung versicherten beide, sich nicht streiten zu wollen. Am Ende sah es anders aus.

Frau Kolat, Frau Cetin, kennen Sie sich eigentlich?

Kolat: Nein, ich glaube nicht.

Cetin: Ich kenne Sie nur von Veranstaltungen, bei denen Sie auf dem Podium saßen.

Frau Kolat, haben Sie mal ein Kopftuch getragen?

Kolat: Nein, aber meine Mutter. Sie ist in Anatolien aufgewachsen, und als wir 1970 nach Deutschland kamen, wollte mein Vater, dass sie ihr Kopftuch ablegt, um sich besser zu integrieren. Ich kann mich noch daran erinnern, wie meine Mutter ihr Kopftuch verteidigt hat. Sie ist eine sehr gläubige Muslimin und betet fünfmal an Tag. Über Religion habe ich von meiner Mutter sehr viel mitbekommen.

Aber Sie haben diese Religiosität nicht übernommen ...

Kolat: Das hat sie mir frei überlassen. Sie hat mich nicht beeinflusst, ein Kopftuch zu tragen. Mein Vater hat mir eine aufgeklärtere Haltung zur Religion beigebracht.

Frau Cetin, wie sehen Sie das?

Cetin: Ich komme auch aus einer religiösen Familie. Aber ich habe das Kopftuch erst kurz vor dem Studium angelegt. Da war ich schon erwachsen.

Was war der Auslöser?

Cetin: Ähnlich wie Frau Kolat habe ich das selbst entschieden. Ich lege das Bedeckungsgebot des Islam für mich persönlich so aus, dass ich ein Kopftuch trage. Das Kopftuch ist kein religiöses Symbol für mich und auch nicht einfach ein Kleidungsstück, sondern gehört zu meiner Identität. Das kann ich nicht einfach ablegen.

Kolat: Aber es ist auch ein Kleidungsstück.

Ihre Familie hat keinen Druck ausgeübt, dass Sie Kopftuch tragen?

Cetin: Meine Mutter hat immer Kopftuch getragen. Aber man hat es mir nie vorgeschrieben. Ich habe mich bewusst dafür entschieden. Das mag in einzelnen Familien vorkommen. So etwas toleriere ich aber nicht.

Kolat: Aber es ist ja auch unter Theologen sehr umstritten, ob das Kopftuch im Islam vorgeschrieben ist - oder nicht.

Cetin: Ich lege das Bedeckungsgebot für mich persönlich als verpflichtend aus. Wenn man sich anschaut, wie viele Frauen auch in Berlin ein Kopftuch tragen, ist das schon eine beachtliche Zahl. Die können ja nicht alle falsch liegen.

Kolat: Es ist schon beachtlich. Als ich Schülerin war, gab es in Berlin nur wenige Frauen mit Kopftuch. Viele hatten sich bewusst dagegen entschieden. Jetzt hat sich das gedreht, die Zahl der Kopftuchträgerinnen hat zugenommen. War also meine Generation weniger religiös oder macht sich zunehmend die Erkenntnis breit, dass es doch ein Bedeckungsgebot gibt?

Cetin: Unterstellen Sie, dass es irgendwelche Kräfte gibt, die das steuern?

Kolat: Das haben Sie gesagt.

Aber wie sollten wir mit dieser Entwicklung umgehen?

Cetin: Ich fand es schon etwas gemein, als eben von einem aufgeklärtem Verhältnis zur Religion die Rede war.

Kolat: Das habe ich doch nur in Bezug auf meinen Vater gesagt. Aber dass eine Trennung von Staat und Religion sinnvoll ist, wurde mir von meiner Familie mitgegeben, auch von meiner religiösen Mutter. Heute ist sie immer noch für diese Trennung. Als wir damals das Neutralitätsgesetz im Parlament erarbeiteten, habe ich mich übrigens auch mit meiner Mutter beraten. Sie hat mich damals bestärkt und heute befürwortet sie das Neutralitätsgesetz immer noch, obwohl sie selbst ein Kopftuch trägt. Sie respektiert, dass die eigene Freiheit ein Kopftuch tragen zu wollen, seine Grenzen haben kann, wenn es um die religiöse Neutralität des Staates geht.

Cetin: Viel wünschenswerter wäre es gewesen, sich mit der jüngeren Generation auseinanderzusetzen. Denn wir sind von diesem Gesetz betroffen.

Frau Cetin, Sie haben die Klage einer jungen Muslima vor dem Landesarbeitsgericht unterstützt. Die regulär ausgebildete Grundschullehrerin durfte nicht an Berliner Grundschulen unterrichten, weil sie ihr Kopftuch nicht ablegen wollte. Wieso unterstützten Sie die Klage?

Cetin: Jede Ratsuchende unterstützen wir. Diese Frau hat sich bei uns gemeldet. Wir unterstützen aber nicht nur Kopftuch-Fälle. Im konkreten Fall haben wir uns dafür eingesetzt, dass die Klägerin aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eine Entschädigung erhält, weil sie wegen ihres Kopftuches diskriminiert wurde.

Frau Kolat, ist diese Frau auch aus Ihrer Sicht Opfer einer Diskriminierung?

Kolat: Uns war klar, dass das Neutralitätsgesetz Einschränkungen für Frauen, die das Kopftuch tragen, mitbringt. Jene Frauen sollten dann womöglich nicht auf Grundschullehramt studieren, sondern sich für eine Tätigkeit an einer Berufsschule ausbilden lassen. Denn dort dürfen Lehrerinnen auch mit Kopftuch unterrichten.

Cetin: Aber das verstößt doch gegen die Berufsfreiheit, ein Grundrecht!

Kolat: Auch eine Kopftuchträgerin kann Lehrerin werden. Aber da, wo Menschen der Staatsgewalt nicht ausweichen können, wie etwa vor Gericht, bei der Polizei oder eben an einer allgemeinbildenden Schule, muss der Staat neutral bleiben und darf nicht beeinflussen. Deshalb das Verbot religiöser Symbole an dieser Stelle. Auch jüdische oder christliche Symbole sind hier nicht zulässig. Die Frage ist doch: Wollten sie mit dieser Klage eine Entschädigung für die Frau erreichen oder wollten sie das Neutralitätsgesetz kippen?

Cetin: Die staatliche Neutralität soll auch aus meiner Sicht gewahrt bleiben und ist gewahrt. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil aus dem Jahr 2015 erneut die staatliche Neutralität definiert. Demnach kann es kein pauschales Kopftuchverbot für Lehrer an öffentlichen Schulen geben. Von einer religiösen Bekundung müsse eine konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgehen, um sie zu verbieten. Beschämend, dass das Gericht dies erneut feststellen musste.