Diskussion auf der Velo: Berlin soll bis 2030 Fahrradstadt werden

Jens-Holger Kirchner war sichtlich erbost. Immer diese Vergleiche mit Amsterdam und Kopenhagen, wo die Verkehrssysteme angeblich besser seien als in Berlin!

In den Niederlanden werde eine Autobahn nach der anderen gebaut, sagte der Berliner Verkehrs-Staatsseketär. Und es gebe dort „immer mehr Straßen, auf denen Radfahrer Vorfahrt vor allem übrigen Verkehr haben. Wollen wir das?“

Fahrradstadt Berlin – Wunsch, Utopie, Realität

Radfahren in Berlin und anderswo – ein Thema, das polarisiert. Dies zeigte sich erneut am Sonnabend. Schauplatz war die Podiumsdiskussion während des Fahrradfestivals Velo Berlin, zu der die Berliner Zeitung eingeladen hatte. Das Thema lautete Fahrradstadt Berlin – Wunsch, Utopie, Realität.

Doch was ist das überhaupt, eine Fahrradstadt? Moderator Peter Neumann, Redakteur dieser Zeitung, definierte sie als „Stadt, in der auch ungeübte Radfahrer sicher und bequem an ihr Ziel kommen“.

Die Straßen Berlins sind voll mit Radfahrern

Von diesem Ziel sei Berlin leider noch weit entfernt, befand Evan Vosberg, Vize-Landesvorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Die Straßen Berlins seien voll mit Radfahrern – „nur leider hängt die Infrastruktur in der Stadt Jahrzehnte hinterher“.

Heinrich Strößenreuther von der Agentur für Clevere Städte, dessen Initiative 2015 mehr als 105.000 Unterschriften für ein Fahrrad-Volksbegehren sammelte, bekräftigte dies: „Die Verwaltung braucht vier Jahre, um einen Radstreifen auf die Straße zu pinseln.“

Im Durchschnitt seien es drei bis fünf Jahre, sagte Bezirksstadträtin Christiane Heiß (Grüne) aus Tempelhof-Schöneberg. Sie gestand ein, dass Verwaltungsprozesse in Berlin tatsächlich viel Zeit in Anspruch nähmen.

Bis 2030 werde die Infrastruktur verbessert

Immerhin habe der neue rot-rot-grüne Senat nun genug Geld bereitgestellt, um die Infrastruktur für Radfahrer zu verbessern. „Was noch fehlt, sind personelle Ressourcen“, so Heiß.

Es sei eine Herkules-Aufgabe, alle Beteiligten unter einen Hut zu bekommen. So müsse unter anderem mit Feuerwehr, ansässigen Händlern und den Berliner Wasserbetrieben gemeinsam ausgelotet werden, wann und wo der Bau eines neuen Radwegs sinnvoll sei.

„Es nützt nichts, wenn ich einen Radweg an einer Hauptstraße baue und im nächsten Jahr die Wasserbetriebe alles wieder aufreißen.“ Bis 2030 werde die Stadt aber die Anforderungen des Mobilitätsgesetzes umsetzen und die Infrastruktur verbessern.

Anteil des Radverkehrs verdreifachen

Laut Strößenreuther ist dies auch aus Klimaschutzgründen unumgänglich. Um die völkerrechtlich gesetzten Ziele umzusetzen, müsse die Stadt den Anteil des Radverkehrs verdreifachen.

Lutz Kaden von der Industrie- und Handelskammer plädierte hingegen dafür, sich bei der Stadtentwicklung nicht zu sehr auf den Radverkehr zu fokussieren. Die Politik müsse alle Fortbewegungsmittel im Blick behalten und berücksichtigen, dass die Stadt auch ein Wirtschaftsstandort sei. „Waren müssen transportiert, Lieferzonen frei bleiben“, mahnte Kaden.

Gegen Ende der Diskussion gesellte sich Verkehrs-Staatssekretär Kirchner auf dem Podium dazu. Der Grünen-Politiker warb für mehr Verständnis für die Berliner Verwaltung, die „besser als ihr Ruf“ sei und sich bemühe, Radwege zu schaffen, die heutigen Qualitätsstandards entsprächen.

Aber: Auch wenn der Radverkehr oben auf der Prioritätenliste stehe, fühle sich die Verwaltung doch nach wie vor für alle Verkehrsarten in der Metropole verantwortlich.