Berlin - Den ersten Lacher erntet Harald Schmidt bereits mit seinem Eingangsstatement: „Die ideale Stadt ist für mich Berlin, weil dort kein Leistungsdruck herrscht.“ In schwarzem Anzug, mit weißem Hemd und violetter Krawatte sitzt der Entertainer auf dem Podium im Französischen Dom am Gendarmenmarkt, der bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Jetzt könnte die One-Man-Show beginnen, aber am Mittwochabend muss sich Schmidt mit drei weiteren Gesprächspartnern die Bühne teilen. Die Theodor-Fliedner-Stiftung, die Charité und die Alfred-Herrhausen-Gesellschaft haben eingeladen, um unter dem Titel „Stress and the City“ über psychische Gesundheit in der Großstadt zu diskutieren.
Niemals so witzig wie Schmidt
Florian Holsboer, ein Forscher aus dem Max-Planck-Institut in München, ist dabei, ein Berliner Architekt namens Jürgen Mayer H. und Gesundheitssenator Mario Czaja, der neben Harald Schmidt Platz genommen hat. Das ist ganz schön mutig, denn die Gefahr ist groß, dass sie neben dem Entertainer aus Köln untergehen. Der schießt sich erst mal genüsslich auf Berlin ein: In den 70er-Jahren seien viele seiner ehemaligen Schulkameraden aus Schwaben nach West-Berlin gegangen. „Das hat die Ausbildung ersetzt. Heute machen sie alle irgendwas mit Medien.“ Stress gebe es in Berlin doch nur „durch tiefer gelegte weiße BMW in gewissen Stadtteilen“.
Doch ganz so stimmt das nicht. Die Bewohner von Großstädten sind nach den Erkenntnissen von Wissenschaftlern leichter gestresst und von psychischen Erkrankungen betroffen als Menschen auf dem Land – das für Schmidt die eigentliche Stresshölle ist. Und so versucht Senator Czaja einen Spagat zwischen ernst und lustig und weiß dabei, dass er niemals so witzig wie Schmidt sein kann. Czaja spricht von Schwaben, die nach Prenzlauer Berg gezogen sind und Stress mit Wolfgang Thierse gekriegt haben, aber auch von Stressfaktoren wie sozialer Isolation, Lärm und Geschwindigkeit. Wobei Letztere auch ihr Gutes habe. „In Berlin wird schneller gebaut, es passiert wahnsinnig viel. Wir haben zwei Flughäfen“, sagt Czaja. Da muss auch Schmidt grinsen, der mit dem Senator flüstert, während Architekt Mayer H. über soziale Räume und Stadtplanung von morgen referiert.
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Stalin und Maria Montessori
Aber es ist ausgerechnet der Stressforscher Holsboer, der der Diskussion ihre Grundlage entzieht. „Das Stressthema nervt“, sagt er. Es sei überbewertet. Wer in der Großstadt lebe, müsse sich den Gegebenheiten anpassen. Für Schmidt ist das eine Steilvorlage. Warum nicht auch das Inzest-Tabu brechen, schlägt er unter großem Gelächter vor. Das sei doch auch alles nicht so schlimm. Er selbst fühlt sich nicht gestresst, auch wenn man das in der Unterhaltungsindustrie eigentlich zeigen müsse. „Eine gewisse Verhaltensauffälligkeit ist Berufsgrundlage.“ Schmidt sagt, er nimmt Stress hauptsächlich an jungen Müttern wahr, die mit dem Lastenfahrrad in den Kindergarten hineinfahren. Noch angespannter seien Väter in der Elternzeit. „Ich bin als Vater eine Mischung aus Stalin und Maria Montessori.“
Hinter all den Gags wird mitunter erkennbar, dass Schmidt, der die Schirmherrschaft der Stiftung Deutsche Depressionshilfe übernommen hat, das Thema durchaus ernst nimmt. Etwa wenn er von Lärmbelästigung spricht. „Fast jeder hat doch einen Kopfhörer auf oder das Handy in der Hand.“ Die meisten Menschen würden sich dem Lärm freiwillig aussetzen. „Wir leben in nahezu paradiesischen Zuständen. Ansonsten hoffe ich, dass die nachfolgende Generation fit genug ist, um Mandarin zu lernen.“
Das letzte Wort soll der Senator haben. Er sagt, dass es gut sei, wenn ein Kölner mal nach Berlin komme. „Wir schieben euch auch ordentlich Kohle rüber“, entgegnet Schmidt und hat damit das allerletzte Wort. Ihr Gespräch setzen Czaja und der Entertainer ohne Öffentlichkeit fort: bei einem Essen in der Deutschen Bank am Gendarmenmarkt.