Steigende Zinsen: Berliner Wohnungsneubauziele sind in Gefahr

Der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen geht davon aus, dass viele Bauvorhaben nicht realisiert werden. Berlin hält an seinen Zielen fest.

Wie geht es mit dem Neubau in Berlin weiter? Mehrere Verbände sehen Schwierigkeiten auf die Wohnungsunternehmen zukommen.
Wie geht es mit dem Neubau in Berlin weiter? Mehrere Verbände sehen Schwierigkeiten auf die Wohnungsunternehmen zukommen.Gerd Engelsmann

Explodierende Baukosten, steigende Kreditzinsen und gestörte Lieferketten führen zu massiven Problemen auf dem Immobilienmarkt. „Der Wohnungsneubau bricht massiv ein“, erwartet der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). Er beruft sich auf eine Umfrage unter seinen Mitgliedsunternehmen. „Die Mehrzahl der Unternehmen stellt ihre geplanten Projekte zurück oder hat sie bereits ganz aufgegeben“, sagte BFW-Präsident Dirk Salewski am Mittwoch. „Das ist keine Delle beim Neubau, das ist die Vollbremsung einer ganzen Branche.“

Dem BFW gehören rund 1600 Mitgliedsunternehmen an. Sie stehen nach Verbandsangaben für 50 Prozent des Wohnungs- und 30 Prozent des Gewerbeneubaus in Deutschland. In der aktuellen Situation sei der Neubau nicht mehr kalkulierbar, so der BFW-Präsident. „70 Prozent der befragten Unternehmen geben an, sie werden die Hälfte der geplanten Projekte unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht mehr realisieren“, so Salewski.

Hochgerechnet bedeute das bundesweit einen Rückgang zwischen 50.000 und 75.000 neuen Wohnungen. Die Ziele der Bundesregierung von 400.000 Neubauwohnungen würden so nicht ansatzweise zu erreichen sein, eine Entlastung des Mietenmarktes unwahrscheinlich. Im Ein- und Zweifamilienhausbau gingen die Baugenehmigungen bereits massiv zurück. Die Nachfrage sinke dramatisch. Für den Bau von Mehrfamilienhäusern seien die aktuell noch hohen Baugenehmigungszahlen trügerisch. „Viele Projekte werden die Baufertigstellung nicht erreichen“, sagte Salewski.

BBU: Alle Neubauprojekte stehen wirtschaftlich auf dem Prüfstand

Auch in Berlin blicken wir mit Sorge auf den Wohnungsneubau“, sagte Susanne Klabe, Geschäftsführerin des BFW-Landesverbandes Berlin/Brandenburg. In Berlin dauerten die Planungs- und Genehmigungsprozesse „aufgrund schlecht funktionierender Prozesse, des Personalmangels und der fehlenden Digitalisierung ohnehin bekanntlich sehr lange“.

Wenn sich nun auch noch äußere Umstände wie steigende Zinsen, Materialkosten und Angebotspreise von bauausführenden Unternehmen wöchentlich ändern, überholten die Kostensteigerungen die Planungen. „Projekte werden unkalkulierbar und drohen, unwirtschaftlich zu werden“, so Klabe. „Bauen und vor allem preisgünstigen Wohnraum schaffen, das geht aktuell wirtschaftlich kaum.“ In diesen Zeiten sei es „wichtiger denn je, im Gespräch mit Politik und Verwaltung zu bleiben“, um gemeinsam unbürokratische Lösungen zu finden.

Der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), dessen Mitglieder fast jede zweite Wohnung in Berlin verwalten, beurteilt es ähnlich. „Alle Neubauprojekte stehen wirtschaftlich auf dem Prüfstand“, sagte BBU-Sprecher David Eberhart. „Die Grenzen der Wirtschaftlichkeit werden ausgereizt und private Bauträger, die nicht aus Bestandsmieteinnahmen den Neubau quersubventionieren können, werden ihre Investitionen sicherlich zeitweilig zurückfahren müssen.“ Bei einer Umfrage im Juni erklärten 51 Prozent der BBU-Mitgliedsunternehmen, dass sie geplante Neubauprojekte nur verändert, verzögert oder gar nicht mehr umsetzen. Lediglich 19 Prozent gaben an, die Projekte unverändert zu realisieren.

„Die Gleichzeitigkeit von Baukosten- und Zinsexplosion ist in dieser Form in der deutschen Nachkriegsgeschichte beispiellos und für Bauherren eine riesige Herausforderung“, so BBU-Sprecher Eberhart – zumal gleichzeitig die Nachfrage nach neuem und bezahlbarem Wohnraum immens groß sei. „Der Ukraine-Krieg und die gestörten globalen Lieferketten werden sich nicht nur in diesem Jahr, sondern mindestens bis zum Jahr 2024 negativ auf das Baugeschehen auswirken“, prognostiziert Eberhart.

Landeseigene Unternehmen: Setzen alles daran, um Neubauziele zu erreichen

Die Verdreifachung der Zinsen für Baukredite führt nach Berechnungen des BBU dazu, dass sich die Finanzierungskosten für den Bau einer 60 Quadratmeter großen Wohnung bei einem Darlehen in Höhe von 200.000 Euro von 2140 Euro jährlich auf 6680 Euro jährlich erhöhen. Damit würde die reine Kostenmiete, die für die Finanzierung des Neubaus nötig ist, rechnerisch von rund 13 Euro nettokalt pro Monat und Quadratmeter auf rund 19 Euro steigen. Da dies viele Berliner Mieter überfordern würde, müssten die hohen Mieten durch eine Förderung abgesenkt werden.

Auf die Forderung nach einer besseren Förderung will die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eingehen. Mit der Änderung der Wohnraumförderung sorge Berlin dafür, dass der Bau von dringend benötigten Sozialwohnungen wieder angekurbelt werde, sagte Behördensprecher Martin Pallgen.

Von den bisherigen Neubauzielen will die Senatsverwaltung nicht abrücken. „In Berlin haben wir mit dem Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen die Grundlagen gelegt, um bezahlbaren Wohnungsbau möglich zu machen“, so Pallgen. Das Bündnis strebe bis 2026 den Bau von 100.000 Wohnungen an. „An diesem Ziel müssen wir trotz aktuell widriger Umstände festhalten, weil es den Bedarf für die Berlinerinnen und Berliner widerspiegelt.“

Wichtigster Partner des Senats für eine soziale Wohnungspolitik sind die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen. Sie sollen 35.000 der 100.000 neuen Wohnungen bis 2026 errichten. Ihr Sprecher, Gesobau-Chef Jörg Franzen, äußert sich zurückhaltend. „Die aktuelle Situation ist sehr dynamisch“, so Franzen. „Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften beobachten den Markt und stehen mit dem Anteilseigner im Austausch“, sagte er. „Wir setzen alles daran, unsere Neubauziele umzusetzen und den dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum für Berlin zu schaffen“, so Franzen. „Im Moment laufen die Projekte, langfristige Prognosen können wir nicht abgeben und an Spekulationen zu den Entwicklungen möchten wir uns nicht beteiligen.“