Egotrip auf Crashkurs: Wie lange duldet Berlin die E-Scooter noch?

Elektrische Tretroller okkupieren die letzten fahrzeugfreien Räume in der Stadt, viele der Fahrer scheren sich nicht um Regeln. Was folgt daraus?

Mobilitätswende brutal unweit vom Berliner Hauptbahnhof: Wo einst Fußgänger laufen konnten, versperren nun Batterievehikel den Platz.
Mobilitätswende brutal unweit vom Berliner Hauptbahnhof: Wo einst Fußgänger laufen konnten, versperren nun Batterievehikel den Platz.Berliner Zeitung/Sabine Gudath

Ein Sommerabend im Tiergarten. Die Fahrt auf der Straße des 17. Juni ist angenehm. Im Hintergrund die Siegessäule, im Blickfeld das Brandenburger Tor, und im Dickicht des Parks huschen die Nachttiere. Doch plötzlich und wie so oft in dieser Stadt bricht die Berliner Realität brutal herein.

Ein Jugendlicher auf einem E-Scooter hält auf dem Radweg frontal auf mich zu. Erschrocken reiße ich den Lenker herum und schaffe es gerade noch, dem Geisterfahrer auszuweichen.

„Happy slapping“, fröhliches Schlagen

Dann sehe ich andere Jugendliche am Rand stehen. Einer hält seine Handykamera in meine Richtung. Doch er sieht enttäuscht aus. Als wollte er sagen: Der hat es nicht gebracht! Sah ich nicht erschrocken genug aus? „Happy slapping“, fröhliches Schlagen: So werden Angriffe auf Unbeteiligte genannt, die vor allem deshalb stattfinden, um die Attacken zu filmen und die Videos dann ins Netz zu stellen. Froh, der E-Scooter-Variante entronnen zu sein, fuhr ich weiter und sah mich nicht mehr um.

Junge Menschen nutzen elektrische Tretroller, um Spaß zu haben – auch wenn andere Menschen Angst bekommen oder Schäden erleiden. Auf massiven Fahrzeugen, die bis zu zwei Dutzend Kilo wiegen, rollen Menschen, die kein Interesse an Vorsicht oder gar Rücksichtnahme haben, oft zu zweit oder zu dritt mit bis zu 20 Kilometer pro Stunde durch geschützte Bereiche, die einst anderen vorbehalten waren.

Ich geb‘ Gas, ich will Spaß!

Ich geb‘ Gas, ich will Spaß! Immerhin finden die Egotrips nicht mit Hilfe von Verbrennungsmotoren statt. Doch die Antriebswende im Spaßbereich ist nur ein schwacher Trost. Denn der Eindruck verfestigt sich, dass die schönen Verheißungen der E-Scooter-Vermieter nicht oder bestenfalls ansatzweise eingetreten sind.

Ein Vehikel der Mobilitätswende sollen die E-Tretroller sein, perfekt für die letzte Meile ins Büro oder nach Hause. Doch unterm Strich scheint der Beitrag zu einer besseren Welt noch geringer zu sein als der Anteil der Autofahrten, die dadurch ersetzt werden. Nur sehr selten sieht man Menschen über 30 auf E-Scootern. Für die letzte Meile am Feierabend ist das Angebot in den Berliner Außenbezirken zu dürftig, und in der Innenstadt scheint der Erwachsenen-Alltag auch ohne die Zweiräder ganz gut zu laufen.

Obwohl die Kritik immer lauter wird, gibt es weiterhin Fürsprecher für diese Art digitaler Mobilität – zum Beispiel bei den Grünen und in der grün geführten Senatsmobilitätsverwaltung. Zwar werden bald zusätzliche Regeln gelten. Doch wie immer in Berlin stellt sich die Frage, wer die Einhaltung überwacht. Vergabeverfahren, in denen Standards besser durchgesetzt, Höchstmengen bei der Zahl der Anbieter sowie der Vehikel festgelegt werden könnten, sind vom Senat weiterhin nicht konkret geplant.

Es ist richtig, dass sich die Vermieter bemühen, ihre Kundschaft zur Regeleinhaltung zu bewegen. Dass ein großer Teil der Kunden daran offensichtlich nicht interessiert ist, kann nicht als Entschuldigung gelten. Manch ein Verfechter argumentiert, dass die fünfstellige Zahl der elektrischen Tretroller im Vergleich zu den mehr als 1,2 Millionen allein in Berlin zugelassenen Autos lächerlich niedrig erscheint und dass auch Autos falsch abgestellt werden. Verweise dieser Art, die mit einem neuen Thema von einem Missstand ablenken sollen, sind natürlich ärgster Whataboutism. Und sie treffen die Sache auch nicht ganz, weil Autos sehr selten mitten auf Gehwegen platziert werden.

Stellflächen werden von den Mietern kaum angenommen

Die E-Scooter-Vermieter wissen natürlich, dass sie mit ihrem Business-Modell, das auf der Okkupation der letzten fahrzeugfreien Räume in den Städten basiert, immer weiter in die Defensive geraten. Manche Unternehmen reagieren strategisch darauf, indem sie in den immer größer und lauter werdenden Chor der Mobilitätswende einstimmen.

Auch sie fordern, den Platz für Autos zu verringern – in ihrem Fall allerdings deshalb, damit der frei werdende öffentliche Raum ihren wirtschaftlichen Interessen zugute kommt. Bezirksämter sollen Steuergeld investieren, um Autostellflächen in E-Scooter-Parkplätze umzuwandeln – auch wenn sie, wie Beispiele in Kreuzberg und Mitte zeigen, von den Nutzern kaum angenommen werden. Wozu den E-Tretroller zehn Meter weiterschieben, wenn man ihn auch auf dem Gehweg parken kann?

Die Berliner werden genau beobachten, ob der Senat sein Ziel erreicht, für mehr Ordnung zu sorgen. Falls es wie zu befürchten chaotisch bleibt, könnte immer lauter verlangt werden, ganz auf Miet-E-Scooter zu verzichten. Erste Forderungen gibt es schon.