East Side Gallery: Ein alter Durchbruch wird vergrößert

Berlin - Taucht ein Problem in Berlin auf, folgt das übliche Ritual: Bezirk und Senat schieben sich gegenseitig die Schuld zu, keiner will es gewesen sein. Es herrscht die organisierte Verantwortungslosigkeit. So war es bis vergangene Woche auch bei der East Side Gallery. Kaum jemand interessierte sich für die bemalten Mauerstücke am ehemaligen Todesstreifen.

Nachdem vorige Woche ein kleines Stück für Neubauten herausgerissen wurde, Tausende protestierten und Petitionen unterzeichneten, ist die Aufregung groß. Plötzlich wollen alle die East Side Gallery retten. Sie ist zu einem Ort von internationaler Bedeutung geworden. Streit gibt es nur noch darüber, wie die Rettung funktionieren soll.

Investoren wollen Mehrkosten tragen

Am Donnerstag traf sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) mit Bezirksvertretern und Investoren. Auch im Abgeordnetenhaus wurde die East Side Gallery diskutiert. Dass die Angelegenheit kein Ruhmesblatt für die Politik ist, stellte Christopher Lauer von den Piraten fest: „Wenn Ben Becker und David Hasselhoff die Berliner Politik kommentieren, haben wir ein ernsthaftes Problem.“ Da lächelte sogar Klaus Wowereit.

Der neueste Vorschlag zum Kompromiss lautet, dass ein alter Mauerdurchbruch verbreitert werden soll, um eine größere Lücke nebenan zu verhindern. Die Investoren signalisierten nach Angaben des Senats Interesse an einer „einvernehmlichen Lösung“. Es soll geprüft werden, ob der Zugang zum Wohnhochhaus auch über das Grundstück des zweiten Investors möglich ist, teilte Wowereit mit.
Die Investoren seien bereit, die Kosten, die durch die Umplanung entstehen, zu tragen, sagte Bausenator Michael Müller (SPD) im Abgeordnetenhaus. Geplant sei, ein bestehendes Loch von 4,80 Meter auf zehn Meter auszudehnen. Nun müsse geprüft werden, ob diese Lücke für Rettungs- und Fluchtwege ausreicht. „Es liegt jetzt am Bezirk, dass er an einer konstruktiven Lösung mitarbeitet“, sagte Wowereit.
Als Problem dabei galt bisher der Fuß- und Radweg zur geplanten und genehmigten Brommybrücke. Der Hochhaus-Investor Maik Uwe Hinkel hatte in der Berliner Zeitung gesagt, dass er vom Bezirk mit dem Mauerdurchbruch für die Brücke beauftragt worden war, erst im Februar diesen Jahres. Doch nun heißt es, dass das Loch für die Brücke gar nicht mehr notwendig ist.

Partys erlaubt, Wohnen nicht?

Doch selbst wenn das stimmen sollte, bliebe die Lage verworren: Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) will nämlich am liebsten gar keine Bebauung, sondern eine zusammenhängende öffentliche Grünfläche. Wie das mit dem Auftrag zum Mauerdurchbruch zusammenpasst, darum drehte sich auch die Debatte. Alle attackierten die Grünen und Bürgermeister Schulz, der aber gar nicht anwesend war.

Am härtesten griff die SPD die Grünen an. „Ihr Bürgermeister wollte sogar 23 Meter durchbrechen“, sagte die Kulturpolitische Sprecherin Brigitte Lange. Sie verstehe nicht, warum man auf dem ehemaligen Todesstreifen Partys feiern kann, aber Wohnen nicht erlaubt sein soll. Klaus Wowereit erinnerte daran, dass es für beide Gebäude Baurecht gebe, das der Bezirk erteilt habe. Wenn dieser jetzt davon abrücke, „würde das zu riesigen Schadensersatzforderungen führen, die der Bezirk nicht wollen und bezahlen kann“.
Die Grünen benutzten die Mauer als Vehikel für „Investitionsverhinderungspolitik“, erwiderte Torsten Schneider (SPD) auf die Rede von Antje Kapek, Stadtentwicklungsexpertin der Grünen, die sagte, man sei es den Opfern der deutsch-deutschen Teilung schuldig, das Areal nicht als Investitionsobjekt zu benutzen. Stefan Evers von der CDU attackierte Bürgermeister Schulz als geschichtsvergessen und dreist.

Die Grünen waren im Parlament mit ihrer Forderung, die Bebauung komplett zu verhindern, isoliert. Piraten und Linke reichten einen Antrag ein, der sich gegen weitere Löcher aussprach, Wohnhäuser hinter der East Side Gallery aber nicht komplett ablehnt. Pirat Lauer spottete über die Anti-Haltung der Grünen: „Wo waren denn die Proteste, als 2006 ein vierzig Meter großes Loch für eine Mehrzweckhalle gerissen wurde?“, fragte er.

Am Ende wurden die Oppositionsanträge abgelehnt. Die Regierungsfraktionen stimmten für eine Gesamtlösung mit Beteiligung der Investoren. Selbstkritisch zeigte sich Bausenator Müller. In den Jahren nach Mauerfall habe die Stimmung geherrscht, die Mauer sei ein Schandmal und müsse so schnell wie möglich verschwinden. „Heute würden wir das anders bewerten.“