Tatort Arkenberge: Warum ein Berliner Wald verschwindet

Das Areal um den höchsten Berg Berlins soll zum Freizeitpark werden. Seltene Arten und geheime Partys stellen den Eigentümer vor Probleme. Der greift nun zum Äußersten.

Wo heute die Bagger cruisen, lebten mal Kuckuck, Baumpieper, Sumpfrohrsänger, Grauschnäpper und Neuntöter.
Wo heute die Bagger cruisen, lebten mal Kuckuck, Baumpieper, Sumpfrohrsänger, Grauschnäpper und Neuntöter.Jürgen Erdmann

Offensichtlich war hier jemand mit richtig schwerem Gerät unterwegs. 30, 40 Zentimeter breite Furchen ziehen sich Hunderte Meter weit durch die Erde, die aussieht wie ein Stück umgepflügter Acker. „Die Bäume haben sie mit ihren Baggern samt Wurzeln wie Streichhölzern aus dem Boden gezogen und direkt geschreddert. Da war eine Maschine mit Reifen, so groß wie ich.“

Wieland Meier zieht mit seinem Arm einen weiten Bogen, um das Ausmaß der Zerstörung deutlich zu machen hier am alten Deponieberg von Arkenberge. Es ist still an diesem Morgen im März, ein paar Hundebesitzer spazieren um den Kiessee am Fuß des Berges, man hört ein paar Vögel singen. Meier ist Hobbynaturfotograf, er ist seit Jahren hier am nördlichen Rand von Berlin unterwegs und kennt wohl die meisten der Pflanzen und Tiere, die hier wachsen und leben. Oder gelebt haben, auf dieser über Jahrzehnte natürlich eingewachsenen Fläche.

Jetzt entdeckt Meier nur noch eine Taubnessel zwischen den Erdbrocken, die den Kahlschlag überlebt hat: Am 20. und 21. Februar waren die Bagger angerückt und hatten eine Fläche von etwa 100 mal 500 Meter platt gemacht. Die Nachtigall war hier zu Hause, sagt Meier, der Pirol, seltene Distelarten. Weißdorn mit Rosenkäfern habe er hier gesehen. Sogar Zauneidechsen habe es hier gegeben: „Wo es doch auf Baustellen normalerweise sofort einen Baustopp gibt, wenn auch nur eine Zauneidechse auftaucht!“

Hobbynaturfotograf Wieland Meier ist seit Jahren in Arkenberge unterwegs. Er ist entsetzt, dass Bäume einfach samt Wurzelbrut ausgerissen wurden, und viele Arten ihren Lebensraum verloren haben.
Hobbynaturfotograf Wieland Meier ist seit Jahren in Arkenberge unterwegs. Er ist entsetzt, dass Bäume einfach samt Wurzelbrut ausgerissen wurden, und viele Arten ihren Lebensraum verloren haben.Jenni Roth

Kahlschlag ohne Genehmigung der Behörden

Aber der Baustopp in Arkenberge kam zu spät, obwohl Anwohner schnell das Bezirksamt informierten. Dort war man ziemlich überrascht. Für die Rodung gab es keine Erlaubnis – und die hätte es gebraucht: Denn das Areal gehört zwar nicht mehr zum angrenzenden Landschaftsschutzgebiet, gilt aber als Biotop. Nach dem Naturschutzrecht hätte das Umwelt- und Naturschutzamt den Eingriff genehmigen müssen, bestätigt die Bezirksstadträtin Manuela Anders-Granitzki (CDU) der Berliner Zeitung.

Etwa drei Viertel der Vegetation sei durch Abschieben entfernt worden, sagt die für Ordnung und öffentlichen Raum zuständige Stadträtin aus Pankow. Vor ein paar Tagen hat sie den Tatort besichtigt, die wenigen Bäume gesehen, die noch stehen, bei denen aber Seitentriebe entfernt wurden. Heimische Sträucher wie Hartriegel und Hundsrose seien genauso verschwunden wie nicht heimische Arten, zum Beispiel der Eschenblättrige Ahorn. Und dadurch, dass man die Bäume samt Stumpf weggefräst hat, könne man Standort, Art und Alter nicht mehr ermitteln.

Bäume sind aber nicht einfach nur Bäume. Sie sind genau wie Büsche das Zuhause von Tieren: Kuckuck, Baumpieper, Sumpfrohrsänger, Grauschnäpper und Neuntöter, die alle auf der Roten Liste der gefährdeten Arten stehen oder auf der Vorwarnliste. Dass sie einen Teil ihres Lebensraums verloren haben, lässt sich nicht rückgängig machen. Aber immerhin hat der Bezirk einen Baustopp ausgesprochen, und ein „Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Maßnahmenträger“ eingeleitet.

Mit schwerem Gerät haben die Eigentümer in Arkenberge ein Gebiet von 500 mal 100 Meter gerodet. Nur: Auch wenn es Privatgelände ist – es hätte eine Genehmigung gebraucht.
Mit schwerem Gerät haben die Eigentümer in Arkenberge ein Gebiet von 500 mal 100 Meter gerodet. Nur: Auch wenn es Privatgelände ist – es hätte eine Genehmigung gebraucht.Jürgen Ritter/Imago

Seltene Arten stehen einem Freizeitpark im Weg

Wer der Täter ist, ist kein Geheimnis: Das Areal gehört der Ulmer Heim-Gruppe, genau wie See und Berg, mit 122 Metern der höchste in Berlin. Zwischenzeitlich war der Teufelsberg etwas höher, aber dann legte man in Arkenberge nochmal eine Schippe drauf. Denn seit Jahren träumen die Firmenchefs von einem Freizeit- und Naturpark. Oliver Pap, der kaufmännische Leiter der Heim-Gruppe, zählt der Berliner Zeitung auf, wie das aussehen könnte: Auf dem Gipfel eine Panorama-Aussichtsanlage, dazu ein Gipfelrestaurant, eine Naturschule, eine Sommerrodelbahn, kleine Bungalows. Am See ein Strandbad samt Bar. 

Nur: Kritiker aus Verwaltung und Politik halten die Ideen für wenig naturverträglich. Die seltenen Arten rund um den Berg sind also ein Problem für die Heim-Gruppe.

Wenn man sich am See mit anderen Spaziergängern unterhält, hört man, dass seit der Zeit, in der die Pläne erstmals auf den Tisch kamen, immer mehr teils bebrütete Vogelnester verschwunden sind, von Beutelmeisen etwa, oder der Horst von Rohrweihen. Ein Waschbär könne es nicht gewesen sein, der komme da nicht ran, sagt ein Spaziergänger. Und unweit, im Landschaftsschutzgebiet, sei die Höhle eines Eisvogels ausgegraben worden. Der Mann fragt sich, ob Profis hinter solchen Eingriffen stehen, die den Weg zur Freizeitanlage erleichtern sollen.

Das alles ist Spekulation. Sichtbar und bekannt ist aber vieles, was Tiere und Pflanzen stören dürfte: Im Kiessee wird schwarz geangelt, Obdachlose leben am Ufer und nutzen für ihre Feuer das Holz der Bäume. Der Eigentümer lässt das alles zu, genau wie die vielen Partys und Badegäste im Sommer. Wieland Meier zeigt auf ein paar Enten im See: „Früher waren hier immer Dutzende Wasservögel.“ An den Badestellen seien Gössel der Graugänse gelaufen, manchmal junge Eidechsen, und man konnte schonmal einen Fasan rufen hören. Wobei der Klimawandel gerade mit der Trockenheit auch seinen Teil zum Artenrückgang beitragen dürfte. Die Zwergrohrdommel zum Beispiel, die kleinste einheimische Reiherart, braucht Wasser unter ihren Nestern, und Meier hat seit ein paar Jahren keine mehr beobachtet. Wohl wegen des sinkenden Wasserspiegels.

Ein Schild am Kiessee von Arkenberge. Nur: Allzu viele Enten gibt es nicht mehr. Andere Arten sind komplett verschwunden.
Ein Schild am Kiessee von Arkenberge. Nur: Allzu viele Enten gibt es nicht mehr. Andere Arten sind komplett verschwunden.Jenni Roth

Das Areal als Party- und Pornotreff

Die Heim-Gruppe wiederum betont, wie sehr sehr sie sich um die Natur bemühe. Daher könne von einer illegalen Rodung auch gar nicht die Rede sein, sagt Oliver Pap. „Die vorgenommenen Arbeiten waren nötig, weil das Landschaftsprogramm eine offene Landschaft verlangt, also eine Verbuschung zu verhindern ist.“ Immer wieder habe man umweltschädlichen Unrat wie etwa Batterien von E-Scootern gefunden – und die kriegt man aus den wuchernden Büschen schwer wieder raus. Außerdem habe man mit der Rodung die illegalen Müllablagerungen entfernen wollen. Mit entfernt hat man dabei gleich noch ein Hindernis auf dem Weg zum Freizeitpark: Das nunmehr gerodete Gelände war bekannt als Schwulentreff und Drehort von Pornofilmen.

Nur: Ausweichgebüsch gibt es rund um den See. Und ein Kahlschlag im Sinne der Landschaftspflege – das kann die Stadträtin Anders-Granitzki nicht nachvollziehen. Und auch wenn man beim Spaziergang um den See immer mal wieder eine Mülltüte sieht – von einer Vermüllung könne keine Rede sein, sagt Naturfreund Wieland Meier. Der Punkt gehe an die Heim-Gruppe: Im Sommer hingen an den Bäumen Müllsäcke, die jeden Tag abgeholt würden – Arkenberge als bekannter Partyhotspot hin oder her.

Die Rodung dürfte nur ein Teil sein im großen Aufräumen der Eigentümer. Mit dem ehemaligen SPD-Bausenator Peter Strieder als Berater habe man ein naturnäheres Konzept entwickelt. Der Badesee zum Beispiel soll möglichst zum offiziellen Badegewässer entwickelt werden, sagt Oliver Pap: „Zum Schutz des Schilfgürtels soll es nur noch wenige Zugänge zum See mittels Stegen geben.“ Schon diesen Sommer wolle man Vandalismus und Müllprobleme in den Griff bekommen, mit einer Gastronomie, „geregelter Abfallentsorgung“ und Toilettenwagen. Der Berg soll derweil mit Solarzellen bestückt werden. Ob er dann auch als Grünfläche für die Öffentlichkeit zugänglich ist? Immerhin: Weggerodet werden kann hier auf der flachen grünen Wiese nicht mehr viel.