Ehrenamtliche Pflegelotsen: Die Helfer der Helfer
Eisenhüttenstadt - Die Frau sitzt nach einem Schlaganfall im Rollstuhl. Ihr Mann, 73 Jahre alt, kümmert sich aufopfernd um sie und hievt den Rollstuhl über die Schwellen der Wohnung, obwohl er es kaum schafft. „Der kippt bald um“ befürchtet Heidi Wichmann, eine Nachbarin. Noch vor einigen Wochen hätte sie nicht gewusst, wie sie helfen kann.
Inzwischen aber gehört die 58 Jahre alte Frau zu den ehrenamtlichen Pflegelotsen in Eisenhüttenstadt: Sie steht Menschen zur Seite, die Angehörige pflegen und Unterstützung brauchen. 25 solcher freiwilligen Helfer soll es bald geben, acht sind bereits geschult, darunter Heidi Wichmann. Sie nehmen an einem Modellprojekt teil, mit dem das Land ein brennendes Problem angeht: den drastischen Anstieg der Pflegefälle in Brandenburg bei gleichzeitig sinkender Bevölkerungszahl.
Das am Donnerstag in Potsdam vorgestellte Projekt soll den Angehörigen von Senioren oder Kranken helfen, die häusliche Pflege zu bewältigen und dies, sofern sie arbeiten, mit dem Beruf zu vereinbaren. Zugleich werden Arbeitgeber für die Probleme sensibilisiert und beraten, wie sie ihre pflegenden Mitarbeiter unterstützen können.
Das liege letztlich im Interesse der Unternehmen, sagte Ulrich Binner vom Institut für Soziale Gesundheit (ISG), der das Modellprojekt leitet. Auch Arbeitgeber müssten der Tatsache ins Auge sehen, dass immer mehr Beschäftigte ihre Angehörigen pflegen. „Die Betriebe können nicht weiterbestehen, wenn die Hälfte ihrer Mitarbeiter deshalb wegbleibt“, so Binner.
Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske (SPD) sieht in der Angehörigen-Pflege zugleich die einzig realistische Chance, mit der wachsenden Zahl Bedürftiger zurecht zu kommen. „Wir wollen nicht ein Heim ans andere setzen“, sagte Baaske. Es sei illusorisch, das dafür notwendige Pflegepersonal zu bekommen und einzustellen. Zudem entspreche die Pflege zu Hause dem Wunsch der Betroffenen, im vertrauten Umfeld zu bleiben.
Bei dem neuen Projekt geht es in erster Linie um Information. Jana Liebhart, seit September die „Vereinbarkeits-Lotsin“ in Eisenhüttenstadt, nimmt Kontakt zu Firmen auf. Sie berichtete von der Mitarbeiterin einer Verwaltung, die mit der Pflege ihres schwer kranken Mannes überfordert ist, ohne es sich einzugestehen. In Gesprächen mit ihr und dem Arbeitgeber versucht Liebhart nun, eine Lösung zu finden, die allen dient. Es gebe da verschiedene Möglichkeiten, sagt sie, von verringerter Arbeitszeit über Heimarbeit bis zum Arbeitsplatztausch.
So sieht das Familienpflegezeitgesetz vor, dass Beschäftigte bis zu zwei Jahre lang 15 Wochenstunden weniger arbeiten, um Verwandte zu pflegen. Die Regelung, die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) vor einem Jahr mit großen Erwartungen einführte, hat sich aber bisher als Flop erwiesen: Bundesweit nahmen nur 200 Menschen das Angebot an, bei mehr als eineinhalb Millionen Hauspflegefällen. Baaske kritisierte das Bundesgesetz als halbherzig und „hoch bürokratisch“. Insbesondere für kleine Unternehmen und ihre Mitarbeiter sei es schwer umzusetzen.
Die Idee funktioniert
Informationen fehlen aber auch über praktikable Möglichkeiten der Unterstützung, hat Heidi Wichmann erfahren. Seit sie die zweitägige Schulung zur Pflegelotsin absolviert hat, weiß sie, dass der betagte Nachbar beispielsweise Fördergeld beantragen kann, um seine Türschwellen abzusenken. Außerdem zahlen die Kassen für professionelle Pflegekräfte, die einige Stunden am Tag kommen, um Angehörige zu entlasten.
Allerdings trauen sich viele Menschen nicht, solche Angebote anzunehmen. Ihr Nachbar würde niemals zu einer Beratungsstelle gehen, sagte Wichmann. Auch diese Hemmschwellen soll das Projekt senken: Die ehrenamtlichen Helfer seien leicht zu erreichen und stünden schnell mit Rat und Tat bereit, sagte Minister Baaske. Sein Ministerium fördert den Modellversuch mit 140.000 Euro aus Lottomitteln.
Die Resonanz zeige, „dass die Idee funktioniert“, sagte Ulrich Binner vom Institut für Soziale Gesundheit, das zur Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin gehört. Das Modell lasse sich auch auf andere Regionen übertragen. Insofern sei Eisenhüttenstadt mit seinem hohen Anteil älterer Menschen „ein Labor für Deutschland“.