Ein bisschen Höflichkeit in diesen dunklen Zeiten
Wie ein Beinahezusammenstoß zu einem Berliner Dialog führte.

Ein bisschen gedankenverloren, wie es derzeit wohl viele sind, biege ich um eine Ecke. Dahinter schlurfen zwei Männer über den Gehweg, denen ich fast in den Rücken laufe, weil sie unvermittelt stehen bleiben. Als sie ihren Weg von meiner Annäherung unbemerkt fortsetzen, versuche ich, an ihnen vorbeizukommen. Normalerweise mache ich in solchen Situationen freundlich auf mich aufmerksam oder frage, ob ich mal vorbei dürfte. Das scheint hier aber zunächst unnötig, weil der Platz zwischen Bordsteinkante und dem rechten der beiden Männer zum Passieren völlig ausreicht.
Doch plötzlich scheren die beiden so beeindruckend synchron nach rechts aus, als wären sie miteinander durch ein Seil verbunden. Jeder hält eine Bierflasche in der Hand, und auch wenn es übertrieben wäre, von Torkeln zu sprechen, haben sie doch ordentlich Schlagseite. Als wir also fast aufeinanderprallen, erhascht mich der linke der beiden aus dem Augenwinkel und fragt sogleich, ob ich vorbei will. Der andere tritt sofort einen Schritt zur Seite, alles nett also, bis der Erste sich durch irgendwas gestört fühlt und eine Beleidigung nuschelt, die nicht durch den Wortlaut, zweifelsfrei aber über den Tonfall als solche erkennbar wird.
Weil Freundlichkeit in so tief dunklen Zeiten noch ein bisschen wichtiger ist, versuche ich die Laune im Gegenzug etwas zu erhellen und bewundere das Musikinstrument, das er unter den Arm geklemmt hat, eine kleine Bongo-Trommel. „Deine MUTTER hat ’ne Bongo!“, ruft er, und weil es sich als Berliner nicht anschickt, so eine Aussage unbeantwortet zu lassen, sage ich: „DEINE Mutter hat ’ne Bongo.“ Obwohl wir die Konversation ohnehin im Gehen vollziehen und ich inzwischen in Führung liege, rät er mir, ich solle zusehen, dass ich Land gewinne.
Ich rufe zurück, warum er als Paulianer denn eigentlich so schlecht drauf sei. „UNION!“, korrigiert er, worauf ich sage, dass er dann offenbar die falsche Cap aufgesetzt hat, nämlich eine von St. Pauli. Der andere hat mittlerweile realisiert, dass sein aufgebrachter Kumpel überreagiert, und versucht ihn zu beschwichtigen. Als ich schon denke, dass die Interaktion ihr Ende gefunden hat, ruft der in weitaus weniger feindseligem Ton, ob ich die Bongo mal spielen möchte. Nein danke, dafür ist es jetzt zu spät.