Ein Plädoyer für die Pause

Im Atelier von Karin Jordan ist der Umgang mit Zeit genauso wichtig wie die Stoffe, Schnitte oder die aktuellen Farben der Saison. Slow-Fashion ist für das kleine Team nicht nur ein Slogan. Die Frauen besprechen genauso sorgfältig, wie sie die Maße ihrer Kundschaft aufnehmen, Fragen der Arbeitsorganisation. Für Karin Jordan sind Pausen nicht einfach Löcher im Kalender, sondern wertvolle Zeit, die eingeplant wird.

Direkt vor der Ateliertür steht eine Bank in der Sonne. Ein Platz, wo man kurz  Pause machen kann. Pause von einer digitalisierten, beschleunigten und datenvollen Welt, die uns einredet, wir könnten sieben Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag verfügbar,  ansprechbar und  einsetzbar sein. Welch ein gefährlicher, welch ein gesundheitsgefährdender Irrtum.

Der Nachtschlaf allein reicht nicht

Als besondere Zeitfenster im Biorhythmus hat die Natur Pausen in unsere Tag-Nacht-Regulation fest eingebaut. Die meiste Zeit davon nimmt sich der Nachtschlaf, aber er allein reicht nicht aus, wollen wir uns erholen und regenerieren. Um gesund zu bleiben, müssen wir auch am Tage angemessene Pausen machen.   Trotzdem spürt wohl jeder ganz praktisch eine Ambivalenz. Einerseits sehnen wir Pausen und Auszeiten herbei. Andererseits: Wer Pause macht,  bringt der  auch  noch genügend Leistung? Der unausgesprochene Vorwurf steht häufig im Raum. Die Pausenkultur unserer Vorväter, in der es die Rauchpause, die „Fuffzehn“ gab oder das „Morgens-halb-zehn-in-Deutschland“-Ritual, sie passt offenbar nicht zu unserer digitalen Allzeit-Leistungsgesellschaft.

Wie könnten wir aber auch nur einen Arbeitstag überstehen, wenn wir nicht innehalten und etwas zu Mittag essen oder uns zwischendurch Zeit für einen Kaffee, eine kleine Ablenkung, nehmen? Im schlimmsten Fall spürt man erst durch eine schwere Erkrankung die sonst unvermeidbare Überlastung. Anfang März machte die Geschichte des Union-Trainers Sascha Lewandowski Schlagzeilen. Der Fußball-Trainer hatte sich wegen eines akuten Erschöpfungssyndroms eine kurze Auszeit nehmen wollen. Drei Wochen ließ er sich deshalb krankschreiben. Danach, so meinte der 44-Jährige, sollte  die Erschöpfung vorbei und vergessen sein. Am Ende dieser Zeit jedoch stand für Lewandowski die bittere Einsicht: Um gesund zu werden, braucht er eine deutlich längere Auszeit.

Sein Rücktritt stand in der Zeitung. Ähnliche Geschichten gibt es viele, mit hoher Dunkelziffer. Der DAK-Gesundheitsreport 2015 ging offensiv auf das Thema Drogen am Arbeitsplatz ein. Ein gefährlicher Weg, um leistungsstark zu bleiben und durchzuhalten. Immer mehr fühlen sich bis an ihre Grenzen gefordert, selbst an freien Tagen erschöpft und buchen den Kalender  bis in die letzte Stunde des Tages.

Wir stecken in einem gesellschaftlichen Pausen-Paradox. Eine von den Regeln gesetzte Pause wird heute gerade noch akzeptiert. Kollektiv wie für jeden Einzelnen. Im Fußball sind es die 15 Minuten zwischen den Halbzeiten. Während der Arbeit wird die halbe Stunde mittags mit den Kollegen vielleicht noch genommen – doch auch das  nicht mehr überall. Noch schwerer haben es Freiberufler, Studenten, Mütter oder Väter in der Babypause, auch viele in verantwortlichen Leitungsebenen. Sie alle müssen selbst auf die Pause  achten. Viel zu oft wird sie einfach – aus Stress, aus Arbeitslast, aus Zeitnot – gestrichen.

Dazu kommt: Genau wie das Schlafbedürfnis sind auch unsere Pausen-Bedürfnisse in höchstem Maße individuell, das ist schon den  verschiedenen Chronotypen geschuldet. Nur beachtet werden diese Tatsachen aus der aktuellen Schlaf- und Pausenforschung kaum. Mehr noch – sie treffen oft auf wenig Verständnis. Versuchen Sie doch einmal, ihre Mittagspause im Büro schlafend zu verbringen. Was in Japan als „Inemuri“, als  Anwesenheitsschlaf zur Kultur gehört, könnte man bei uns Power-Nap nennen.

Professor Ingo Fietze, der Leiter des Schlaflabors der Berliner Charité, ist seit vielen Jahren Verfechter dieser Energiequelle am Tage: „Das kurze Nickerchen ,auf halber Strecke’ hat   enorm erfrischende Wirkung. Wir können es aus schlafmedizinischer Sicht nicht oft genug sagen“. Doch bis heute wird sie nur gemacht, wenn man sich unbeobachtet fühlt, quasi anonym.  Im Flugzeug, in der Bahn, im Sommer im Grünen.

Es gibt auch die anderen, die lebensprägenden Pausen: 2003 entschied sich Katja H., die in Berlin als  Staatsanwältin arbeitet, für ein ganzes Jahr mit unbezahlter Eigenzeit. Sie machte Pause, und das Jahr  wurde eine lange Reise zu sich selbst. Vorher kündigte sie ihre Wohnung, lagerte die Möbel ein und reiste durch Südamerika. Sie lernte Spanisch, vor allem aber  begann sie wieder, auf ihren eigenen Rhythmus zu hören.

Auf nach China

„In Berlin bin ich durchgetaktet, vieles ist festgelegt“, sagt sie. „Ich gehe zur Arbeit, fahre bei schönem Wetter Rad, treffe Kollegen und Freunde. Damals war ich viel allein,  war auf mich selbst gestellt. Das fand ich zum Auftanken  sehr gut.“ Die überraschendste Erfahrung sei jedoch gewesen, dass sie den Grad an Sicherheit, an „Geordnetheit“, wie sie ihn zu Hause um sich hatte, gar nicht so brauchte. Katja H. will diese Art der Pause noch einmal erleben. Kürzer zwar, aber ebenso konsequent. Diesmal fährt sie ein halbes Jahr nach China und will sich danach – Abschnitt für Abschnitt – nach Berlin zurückbewegen.

Die Auszeit  muss gar nicht so exotisch, so radikal praktiziert werden. Es muss nicht ein Jahr oder auf Biegen und Brechen gleich der Jakobsweg sein. Mehr auf die inneren Rhythmen zu hören, mehr Achtsamkeit für die Pause zu üben, das kann man sich jeden Tag für sich vornehmen. Das Pausieren im richtigen Moment zu lernen,  ist eine ganz natürliche und preiswerte Gesundheitsvorsorge.

Moderne Unternehmen gehen immer mehr darauf ein. Dass man dafür extra einen „feel good manager“ einstellen muss,  glaubt der Geschäftsführer der IT-Firma data experts Dietmar Schielke nicht. Er meint: „Für gute Atmosphäre und Gesundheitsvorsorge fühlen wir uns alle und vor allem auch in der Geschäftsführung verantwortlich. Das lässt sich   nicht verordnen, schon gar nicht von oben. Trotzdem unterstützen wir unsere Mitarbeiter – zum Beispiel mit Rückenschule, Obsttagen oder einem Seminar zum Pausen-Management bei flexiblen  Arbeitszeiten. Wir ermutigen dazu, mittags rauszugehen, geben dann zwei Euro zum Essen dazu. Aktuell richten wir gerade einen Pausenraum ein.“ Und auch die kleine, angestammte Pausenecke nahe des Kaffeeautomaten bekam neue Möbel. Am Computer einer Mitarbeiterin klebt ein kleiner gelber Zettel: „Einmal die Stunde 5 Minuten Bewegen! Du darfst. “

Unsere Autorin ist Mitbegründerin der  Schlafakademie Berlin. Vom 15. bis 17. April wird sie  auf  der ersten deutschen Schlafmesse „sleep for fit“ im Hotel Estrel zusammen mit ihrem Team sowie Fachkollegen vom Schlaflabor der Charité bei Vorträgen und Gesprächen zu erleben sein.