Eine zarte Winterliebe, Teil 2

Auch Pflanzen führen ein interessantes Liebesleben. Es gibt auch glückliche Fernbeziehungen. Doch nun ist die schöne Liaison in Gefahr.

Die Zitrone sieht dieses Mal ziemlich gerupft aus neben dem dicken Oleander.
Die Zitrone sieht dieses Mal ziemlich gerupft aus neben dem dicken Oleander.Berliner Zeitung/Jens Blankennagel

Berlin-Dieser Klimawandel ist menschengemacht. So viel ist sicher. Und vielleicht wird er dafür sorgen, dass ein junges Glück zerbricht. Verdammt.

Die beiden Verliebten sind seit bald drei Jahren ein Paar, aber immer nur dann, wenn es draußen so richtig kalt ist. Eine reine Winterliebe. Dann folgt eine Halbjahres-Fernbeziehung. Den Frühling und den Sommer verbringen sie getrennt. Meist in der Sonne.

Die Rede ist von der schlanken Zitrone und dem dicken Oleander. Die Zitrone wohnt von März bis Oktober auf unserem Balkon, der dicke Oleander oben auf der Dachterrasse. Monatelang sehen sie sich nicht, doch wenn die ersten Fröste kommen, ziehen sie in den Hausflur – in unsere Orangerie, wo jene Pflanzen überwintern, die draußen erfrieren würden.

Als die beiden vor zwei Jahren zum ersten Mal nebeneinander standen, hing irgendwann ein Liebesbrief vom Oleander an der Zitrone. Alles fing ganz zaghaft an. Als Freundschaft.

Nun kamen wir von einer Reise zurück und sahen, dass der Oleander schon umgezogen ist. Wieder mit Liebesbrief. Darin heißt es: „Bald wirst du wieder an meiner Seite stehen, und ich freue mich auf dich. Ich hatte einen herrlichen Sommer mit viel Regen und Sonne und hoffe, du auch.“ Der Brief ist dieses Mal nicht mehr nur mit „dein Freund“ unterschrieben, sondern mit: „In Liebe, dein Oleander.“

Eine neue Stufe der Beziehung. Das wollten wir sofort der Zitrone erzählen. Doch auf dem Balkon sahen wir die Bescherung. Ein Sturm hat die zarte Dame umgeworfen und über den halben Balkon kullern lassen. 

Sie lebt noch, ist aber etwas lädiert. Sie sieht nicht mehr so vollendet aus wie im Vorjahr. Das liegt vor allem am menschengemachten Klimawandel, also an mir. Im Dürresommer 2020 habe ich sie regelmäßig gegossen, doch bei den vielen Wolken dieses Sommers habe ich sie eine Weile vergessen. Viele Blätter wurden gelb und fielen ab.

Der Oleander aber stand oben auf der Terrasse und hat offenbar immer ordentlich Regen abbekommen. Er ist noch voluminöser geworden. Hoffentlich interessiert sich der prächtige Herr O. jetzt noch für Frau Z.

So, jetzt bringe ich sie einfach zu ihm, und dann schreibe ich einen Liebesbrief. Ich werde ihm ein wenig schmeicheln, dass sein Grün so prachtvoll ist. Und ich werde ihm dezent mitteilen, dass in der Liebe nicht nur das Aussehen zählt.