E-Scooter in Berlin: Zahl der Unfälle steigt um mehr als 40 Prozent

Polizei registriert deutliche Zunahme. Aber die Daten zeigen auch, dass Autos und Fahrräder für Fußgänger eine größere Gefahr sind. Ein Blick in die Statistik.

Ein junger Mann unterwegs mit einem elektrischen Tretroller in Berlin.
Ein junger Mann unterwegs mit einem elektrischen Tretroller in Berlin.Britta Pedersen/dpa

Sie sind leise, flink – und oft wird ihre Geschwindigkeit als zu hoch empfunden. Elektrische Tretroller, E-Scooter genannt, gehören in Berlin längst zum Straßenbild. Allerdings spielen die Zweiräder auch in der Unfallstatistik eine immer größere Rolle, wie neue Zahlen jetzt zeigen. Danach hat die Berliner Polizei im vergangenen Jahr fast 41 Prozent mehr Verkehrsunfälle mit E-Scootern registriert als 2021. Doch wie oft waren Fußgänger betroffen? Sind Autos und Fahrräder nicht eine größere Gefahr für sie?

Elektrokleinstfahrzeuge: Unter dieser Kategorie erfasst die Polizei E-Scooter und andere Vehikel dieser Art. Im vergangenen Jahr wurden in Berlin 1144 Verkehrsunfälle mit solchen Fahrzeugen gemeldet. Im Jahr davor gab es 813, im Jahr 2020 insgesamt 320 Unfälle. Im ersten Corona-Jahr waren allerdings nicht nur weniger Fahrzeuge, sondern auch weniger Nutzer auf den Straßen. Der Tourismus lag monatelang darnieder.

Mit der Zahl der E-Scooter hat auch die Zahl der E-Scooter-Fahrer, die bei Kollisionen und Stürzen verunglücken, in Berlin über die Jahre deutlich zugenommen. Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei 700 Leicht- und 123 Schwerverletzte, wie aus der jüngsten Statistik hervorgeht. Im Jahr davor wurden 507 Leicht- und 92 Schwerverletzte erfasst, im Jahr 2020 insgesamt 200 Leicht- und 34 Schwerverletzte. Damals wurde auch ein Mensch bei einem E-Scooter-Unfall in Berlin getötet.

Neun Fußgänger wurden im vergangenen Jahr von Kraftfahrzeugen getötet

Und wer war schuld an den Unfällen? Die Zahlen zeichnen ein klares Bild: Die meisten E-Scooter-Unfälle in Berlin wurden von den Menschen verursacht, die auf den elektrischen Tretrollern unterwegs waren. 891 E-Scooter-Fahrer setzten im vergangenen Jahr die Hauptunfallursache, teilte die Polizei auf Anfrage der Berliner Zeitung mit.

Alleinunfälle dominieren. In vielen Fällen trugen ausschließlich die E-Scooter-Fahrer Blessuren davon, Fußgänger kamen verhältnismäßig selten zu Schaden. Im vergangenen Jahr wurden bei E-Scooter-Unfällen in Berlin drei Fußgänger schwer und 72 Fußgänger leicht verletzt, teilte die Polizei auf Anfrage mit. Damit lässt sich als Zwischenbilanz sagen: Auch wenn sich Fußgänger immer wieder belästigt oder gefährdet fühlen, wenn elektrische Tretroller an ihnen vorbeisausen – eine große objektive Gefahr sind sie nicht.

Kraftfahrzeuge sind ein deutlich größerer Risikofaktor. So wurden den jüngsten Zahlen der Polizei zufolge im vergangenen Jahr 1738 Verkehrsunfälle zwischen Kraftfahrzeugen und Fußgängern in Berlin registriert. Dabei wurden neun Fußgänger getötet, 375 schwer und 1168 leicht verletzt. Auch zur Schuldfrage gibt es eine Zahl: 56 Prozent der Kollisionen wurden hauptsächlich von den beteiligten Kraftfahrern verursacht.

Mehr Unfälle zwischen Fahrrädern und Fußgängern

Selbst Fahrräder sind zumindest den offiziellen Zahlen zufolge eine größere Gefahr für Fußgänger als E-Scooter. Im vergangenen Jahr nahm die Berliner Polizei insgesamt 413 Kollisionen zwischen Fußgängern und Fahrrädern auf, das sind 76 mehr als im Jahr davor. 98 Zusammenstöße ereigneten sich auf Gehwegen. Ein Fußgänger wurde getötet. 32 Fußgänger trugen schwere, 262 leichte Verletzungen durch Fahrräder davon. Interessant: An den meisten Kollisionen waren die Fußgänger schuld. In 44 Prozent waren die Radfahrer die Hauptverursacher, so die Polizei. Auch das widerlegt ein beliebtes Klischee – dass Rüpelradler Fußgänger in Berlin massiv gefährden.

Unterm Strich lohnt es sich also, die Unfallstatistik genau zu betrachten und, falls notwendig, weitere Angaben von der Polizei anzufordern.

Fußgängerlobby bezeichnet E-Scooter als „Poserkarren“

E-Scooter-Vermieter verweisen darauf, dass die Zahl der Fahrzeuge gestiegen sei und nach dem Ende der meisten Corona-Maßnahmen auch die Zahl der Nutzer zugenommen habe. Inzwischen wird die Zahl der elektrischen Tretroller, die in Berlin gemietet werden können, auf mehr als 30.000 geschätzt. Zum Vergleich: In Berlin sind mehr als 1,2 Millionen Pkw zugelassen.

Verbände, die Elektrokleinstfahrzeuge skeptisch betrachten, bleiben jedoch bei ihrer Kritik. Für Roland Stimpel vom Fachverband Fußverkehr (FUSS) sind E-Scooter „ein Vorgriff von pubertierenden Jungen auf die Poserkarre, die sie erst mit 18 bekommen. Pubertär verhalten sie sich jedenfalls: mit kindischem Trotz gegen angebliche Spießerregeln und Spießerwünsche. Die Art des Abstellens ist zunehmend nicht nur schlampig, sondern bewusste Provokation, wenn zum Beispiel E-Scooter betont quer an besonders schmalen Wegstellen geparkt oder Bahnhofseingänge erkennbar systematisch mit Rollern zugestellt werden.“

Auch der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein Berlin fordert vom Senat mehr Anstrengungen, damit E-Scooter nicht mehr „wild“ abgestellt werden. Wie berichtet hat er beim Verwaltungsgericht Berlin im vergangenen September eine Verbandsklage gegen das Land Berlin eingereicht (Aktenzeichen VG 1 K 333/22). Dabei geht es vor allem um die Sondernutzungserlaubnisse, die den Vermietern erteilt wurden. „Seit November 2022 liegt uns eine Klageerwiderung vor, auf die wir vor kurzem repliziert haben. Wann terminiert wird, ist aktuell noch offen“, teilte Rechtsanwalt Thomas Hiby mit.

Blinden- und Sehbehindertenverein macht Druck

„Unabhängig vom Ausgang der Klage registrieren wir, dass die Verbandsklage und unsere begleitenden Aktionen mit gelben und roten Karten den Druck auf den Senat erhöht haben, die Scooter von den Gehwegen zu verbannen und feste Abstellflächen zu schaffen“, berichtete Verbandssprecherin Paloma Rändel. „Es sind ja nicht nur blinde und sehbehinderte Menschen, denen die Hindernisse auf Gehwegen zu schaffen machen.“ Der Umgang mit E-Scootern war auch im Wahlkampf ein Thema, so Rändel: „Wir werden die Politiker an ihren Antworten messen, sobald der neue Senat feststeht.“