Elektronische Textilien: Die Schneiderei Koba in Kreuzberg fertigt Wearables für jedermann

Manchmal sind es die kleinen Spinnereien, die, weil sie auf spielerische Weise Kreativität freisetzen, zu etwas Größerem werden. Hannah Perner-Wilson und Mika Satomi, zwei Freundinnen, zu der Zeit beide Studentinnen an der Kunstuniversität in Linz, waren zusammen auf der Berliner Transmediale, dieser immer leicht verspult-verkopften Konferenz, die Fragen der Zukunft im künstlerischen Kontext verhandelt, als sie nach einem langen Tag voller Vorträge und Workshops erschöpft zusammensaßen und sich nichts sehnlicher wünschten als eine Massage.

Sie witzelten herum, Hannah sagte, ihr Freund würde lieber Videospiele spielen als sie zu massieren. Wäre es nicht großartig, eine Jacke anziehen zu können, in deren Rücken eingebaute Sensoren mit einer Spielkonsole verbunden wären. Rumgespinne halt. Nur dass Hannah Perner-Wilson und Mika Satomi diese Jacke dann, zurück in Österreich, wirklich zusammenbastelten. Sie nähten ein Touchpad in den Stoffrücken ein, bauten Resistoren, Schaltknöpfe und Regler selbst. „Wir wollten diese Massage!“, sagt Mika Satomi, und die bekamen sie, auch wenn sie sich etwas seltsam anfühlte.

Die beiden Designerinnen erzählen diese Geschichte, die mehr als zehn Jahre her ist, in einem Ladenlokal, das direkt neben dem Görlitzer Park im Kreuzberger Wrangelkiez liegt. Sie sitzen zwischen Zuschneidetischen, auf denen Scheren und Garnspulen, Lötkolben und bunte Kabel ein chaotisches Stillleben bilden, an den Wänden sind die Regale vollgepropft mit Stoffen, an Kleiderstangen hängen goldene Paillettenkleider neben Schnittmustern aus Packpapier.

„Wir haben uns daran gewöhnt, dass Technologie etwas ist, was es fertig im Laden zu kaufen gibt“, sagt Satomi, „vielleicht wollen die Leute aber etwas ganz anderes.“ Eine Jacke, die ein Controller für Videospiele ist, zum Beispiel.

Wie sieht die Kleidung der Zukunft aus?

Das hat die beiden interessiert, als ihr nicht ganz ernst gemeintes, aber von ihnen ernst genommenes Projekt fertig war. Was passiert, wenn Menschen selbst entscheiden könnten, wie die Kleidung der Zukunft aussieht? Seit Januar haben sie dieses Atelier in Kreuzberg. „Wir sind eine Schneiderei für elektronische Textilien“, sagt Hannah Perner-Wilson. „Jeder kann reinkommen und eine Bestellung aufgeben.“ Die Schneiderei soll ein Ort für Ideen sein. Für die Suche nach technischen Lösungen, nicht für die Zukunft, sondern für den Alltag, hier und jetzt.

Tragbare Technik, als Accessoire oder integriert in die Kleidung, ist nicht neu, der Walkman wurde Ende der 70er auf den Markt gebracht. Schon damals war es ein Konzern, der die Entwicklung vorantrieb. Heute verkaufen große Unternehmen sogenannte Wearables: smarte Uhren, Brillen, Armbänder – darauf beschränkt sich das Angebot für die breite Masse allerdings auch schon. Noch.

Dass Kleidung zum High-Tech-Gerät wird, ist aber nur eine logische Konsequenz aus dem Zeitgeist, seine Gadgets immer bei sich zu tragen, um immer erreichbar zu sein, um die eigenen Körperfunktionen vom Herzschlag bis zur Schrittzahl zu vermessen, um überall perfekt auf seine Umgebung abgestimmt zu sein. Könnte das T-Shirt nicht das Smartphone aufladen? Die Hose sich von allein an Wärme und Kälte anpassen? Die Tasche ein eigenes WLAN-Netz bereitstellen?

Im September vergangenen Jahres hat Levi’s zusammen mit Google eine smarte Jacke in die Läden gebracht, sie kostet moderate 350 Euro, ein erstes Anzeichen dafür, dass Wearables auf dem Weg sind, ein Massenprodukt zu werden. Wobei ausgerechnet die aus augenscheinlich festem Denim gefertigte Jacke mit einer Menge Spott bedacht wurde, als herauskam, dass die Technik darin nur zehn Waschgänge überlebt. Und auch die Funktionen wurden eher mit Skepsis aufgenommen: Mit einem Klopfen auf den Ärmel das Smartphone aktivieren? Braucht man das? Und was passiert eigentlich mit all den Daten, die so eine Jacke sammelt?

„Uns geht es darum, die Entwicklung von Wearables unabhängig von großen Tech-Firmen zu machen“, sagt Mika Satomi. Sie haben die Schneiderei Koba genannt, das ist das japanische Wort für ein kleines Familienunternehmen.

Hannah Perner-Wilson holt ein Stück Stoff aus dem Regal, darin sind verschiedene Schaltkreise eingebaut. Elektronische Kleidung wird aus Stoffen gefertigt, die beispielsweise mit Silberionen beschichtet sind, und mit Fäden versehen, die aus Kupfer gesponnen wurden. So kann Strom fließen und Lichter zum Leuchten oder Geräusche zum Klingen bringen. Mal passiert das durch leichten Druck auf eine bestimmte Stelle, mal schwingt ein Kügelchen über ein Metallplättchen und schließt so den Kreis.

Es klingt ein bisschen wie Physikunterricht, wenn die beiden Designerinnen ihre Techniken erklären. Sie selbst haben sich das nebenbei angeeignet, mit jedem Projekt kam neues Wissen hinzu. Sie lernten von Professoren an den Universitäten in ganz Europa, an denen sie studierten und später selbst lehrten. Im Internet gibt es zudem eine große Community, die sich darüber austauscht, wie welches Problem gelöst werden kann, es gibt Bau- und Nähanleitungen und unzählige Tutorials unter dem Stichwort „DIY Wearables“. Wissen teilen, sich austauschen, dahinter steckt der Gedanke, Technik für alle zugänglich zu machen.

„Wir haben die Methoden, was wir damit machen, hängt von den Wünschen der Leute ab, die zu uns kommen“, sagt Mika Satomi. Es ist das Prinzip unserer Konsumgesellschaft auf den Kopf gestellt. Die Koba-Schneiderei ist Teil eines von der EU geförderten Projektes, das alternative Wege in der Entwicklung von Wearables finden will. Ihre Kunden bezahlen also nur die Materialien. Nur so ist die Arbeit der Schneiderei möglich.

Bisher war da der Programmierer, der viel Zeit am Computer verbringt. Er gab Handschuhe bei Koba in Auftrag, die kleinste Bewegungen seiner Finger wahrnehmen, wenn er sie über seine Tastatur hält, so will er Kraft beim Tippen sparen.

Da war der Entwickler, der eine Jacke für Partys wollte, er programmierte eine App dazu, über die er die farbigen Leuchtlinien, die sich über die Jacke ziehen, steuern kann.

Gerade hängen erste Teile einer Jacke auf der Kleiderpuppe im Atelier. Mika Satomi und Hannah Perner-Wilson haben Stoffstücke zu Rollen gelegt und daraus das Revers geformt, in jeder Rolle ist eine Leuchtdiode versteckt. Die Jacke fertigen sie für einen Posaunisten, der sich wünscht, dass seine Atmung die Jacke zum Leuchten bringt; Sensoren reagieren auf die Bewegung seines Brustkorbs, der sich beim Spielen hebt und senkt.

Wearables für jedermann

Die meisten Materialien bestellen Mika Satomi und Hannah Perner-Wilson übers Internet, einige kommen aus der Luft- und Raumfahrt; Stoffe kaufen sie auf dem Markt am Maybach Ufer oder recyclen alte Kleidung. Für eine Künstlerin befestigten sie dänische und türkische Münzen, die ein Loch in der Mitte tragen, an ein Kleid; wenn die Münzen über Kontakte schwingen, verwandeln sie Bewegungen in Geräusche.

Die Münzen wurden einzeln in das Kleid gehäkelt. Dabei half ihnen Mariam, eine Frau aus Syrien, Mutter von sechs Kindern, sie macht bei Koba ein Praktikum.

Was bei Koba entsteht, ist Handarbeit, sind Stücke mit Geschichten – die ihrer Träger und die ihrer Entstehung. Mika Satomi und Hannh Perner-Wilson schaffen so einen emotionalen Zugang zu einer Technik, die uns heute völlig unzugänglich erscheint. Früher ließ sich ein Radio noch auseinanderschrauben, während das iPhone heute ein monolithischer Gegenstand ist, dessen Funktionsweise unserem Blick entzogen ist. Vieles, was bei Koba entsteht, ist verspielt, eher künstlerisch und technisch interessant als nützlich, es zeigt aber eine Haltung: dass es Zeit ist, die Zukunft selbst mitzugestalten – und ein bisschen herumzuspinnen.

Bis Ende Januar nimmt die Schneiderei  Koba Aufträge für  elektronische  Textilien an. Zu finden ist sie in der  Görlitzer Straße 72 in Kreuzberg, geöffnet  ist Freitag und Samstag 13–18 Uhr, und Dienstag bis Donnerstag nach Vereinbarung.

Alle Arbeiten und eine Datenbank mit Bauanleitungen findet sich im Netz unter www.kobakant.at