Erich Honecker pflegte während seiner Haft in Moabit Brieffreundschaft zu Eva Ruppert

Briefe sind aufgetaucht, von deren Existenz bisher niemand wusste. Sie fangen mit „Liebe Eva“ an, zeugen von einer tiefen Verbundenheit zu einer Frau. Der Verfasser ist Erich Honecker (1912-1994). Und die Briefe beweisen, dass ihm nicht nur Ehefrau Margot (1927-2016) die Treue hielt. Denn seine fast liebevollen Zeilen schickt Honecker einer glühenden Verehrerin aus dem Westen, als er 1992/93 für 169 Tage im Moabiter Gefängnis saß.

Dr. Eva Ruppert aus Bad Homburg (Hessen) ist die Verehrerin. Die heutige 84-Jährige bekam insgesamt 23 Briefe vom ehemaligen DDR-Staatschef aus dem Knast. 25 Jahre lang hütete Ruppert sie wie einen Schatz. Jetzt hat sie die sehr persönlichen Honecker-Briefe im Buch „Liebe Eva“ (Edition Ost, 176 Seiten, 9,99 Euro) veröffentlicht, das kommenden Montag erscheint. Mit dem Vorhaben hat sie lange gezögert. „Weil es ja auch sehr persönliche Briefe sind“, sagte Ruppert der Berliner Zeitung. „Aber was passiert mit ihnen, wenn ich einmal nicht mehr da bin? Es sind Zeitzeugnisse, die man nicht für sich behalten darf.“

Ruppert ist damals 59, verheiratet, hat zwei Kinder und ist Lehrerin an einem Gymnasium, als im Juli 1992 der krebskranke Honecker ins Gefängnis kommt. „Ich war empört“, sagt die Frau aus dem Westen, für die die DDR stets der „bessere deutschen Staat“ war. Seit Jahren hegte sie daher den Wunsch, Honecker kennenzulernen. Nun, als er im Gefängnis sitzt, ergibt sich die Gelegenheit.

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Als Mitglied des „Solidaritätskomitees zur Freilassung Honeckers“ besucht sie ihn zu seinem 80. Geburtstag in Moabit. „Es bestand eine gegenseitige Sympathie“, sagt Ruppert. Der Beginn einer Brief-Romanze. Nach dem Besuch schreibt sie ihm sofort einen Brief. Und Honecker antwortet. Fast alle Briefe beginnen mit „Liebe Eva“, fast alle schreibt er mit der Hand, obwohl im dies aufgrund der Krankheit schwer fällt. Seine Schrift ist oft zittrig. Honeckers erste Briefe sind noch recht förmlich. Er betreibt mit seiner Verehrerin politische Diskussionen.

"Deine Briefe bereichern meine Gedanken und Gefühle"

Doch das ändert sich schnell, als Ruppert ihm getrocknete Blumenblätter von Reisen oder aus ihrem Garten schickt. Und so schreibt Honecker am 19. September 1992: „Liebe Eva, ich habe deine Nelken gezählt. Es sind wirklich sieben. ... Du siehst, ich bin ein ordentlicher Mensch.“ Zum Ende des Briefes wird sein Tonfall vertrauter. Als Dank für ein von Ruppert geschicktes Buch, schreibt Honecker: „Jedenfalls danke ich Dir, meine liebe ,kleine Genossin’, sehr herzlich für die geistige Nahrung, die Du mir hast zukommen lassen.“

Während Gattin Margot bereits im Exil im fernen Chile weilte, öffnet Honecker in den Briefen an seine Verehrerin immer mehr sein Herz, lässt seinen Gefühlen freien Lauf. „Deine Briefe, die hier ankommen, sammle ich alle in einem Hefter. Stets habe ich darauf vermerkt, welche ich von Dir wann erhalten habe“, schreibt der einst mächtigste Mann der DDR wie ein verliebter Junge am 5. Oktober 1992. „Deine Briefe bereichern meine Gedanken und Gefühle.“

Selbst in Momenten, in denen Honecker sich im Gefängnis auf seinen Prozess wegen der Mauertoten vorbereiten muss und kaum Zeit für andere Dinge hat, erwartet er scheinbar sehnsüchtig die Briefe seiner „kleinen Companera“, wie er Ruppert immer häufiger nennt. „Ich muss Hunderte Seiten von Akten durcharbeiten“, berichtet Honecker ihr am 8. Oktober 1992. „Aber du, Eva, schreibe, schreibe, es ist mir immer eine Freude, Deinen Gedanken zu folgen.“ Er verspricht ihr, „dass ich keinen Brief vergessen werde“.

Honeckers Gefängnisbriefe an die Frau aus dem Westen lesen sich wie Liebesbriefe. Besonders, wenn diese mit „Nun meine Liebe, ich muss Schluss machen für heute. Ich denke an Dich und umarme Dich, Erich“ enden. Auch Eva Ruppert zeigt ihre Gefühle. Ihrem „lieben Erich“ schickt sie nicht nur Bücher, Musikkassetten und selbstverfasste Gedichte ins Gefängnis. Sie besucht ihn auch öfter, sucht nach seiner Nähe. Wie eine Verliebte schreibt sie am 15. Oktober 1992 an Honecker: „Mach Dir bitte keine Gedanken, dass ich öfter schreibe als Du. Wenigstens in meinen Briefen möchte ich Dir nah sein, so wie Du mir in den Deinen.“

Die Romanze endet, als Honecker im Januar 1993 aus dem Gefängnis entlassen wird und zu seiner Frau nach Chile fliegt. Zwar schreiben sich Ruppert und Honecker weiter. Aber seine Antworten sind plötzlich nicht mehr so vertraut, sonder rein politischer Natur. Kein Wunder: Am Ende von Erichs Briefen aus Chile wird Eva nun auch von Gattin Margot mitgegrüßt.