Berlin - Die Zahl der Infektionen mit Affenpocken steigt weiter. Weltweit wurden rund 700 Fälle registriert. Erstmals hat sich auch ein Kind mit dem Virus angesteckt, berichtet der Berliner Infektiologe Heiko Jessen. In Berlin verdoppelten sich die Infektionen bis zum Freitag. 39 Meldungen verzeichnete das Robert-Koch-Institut bis zum Mittag. „Die Situation ist sehr dynamisch“, sagt Jessen. Allein in seiner Schöneberger Praxis stellten sich 15 Patienten mit Affenpocken vor. Jessen rechnet damit, dass nach dem Pfingstwochenende erneut etliche Fälle dazukommen werden. „Die Kurve dürfte weiter nach oben gehen“, sagt der niedergelassene Arzt.
In Berlin wird lediglich ein Patient in der Charité isoliert. Acht weitere Patienten wurden am Freitag von dem Uniklinikum untersucht und anschließend in häusliche Quarantäne entlassen. „Das Virus wird sich weiter ausbreiten“, sagt Jessen. Er geht davon aus, dass der Erreger nicht auf exponierte Gruppen beschränkt bleibt. Dazu zählen Männer, die Sex mit Männern haben. Inzwischen wurden Affenpocken auch bei Frauen diagnostiziert.
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Gegen Affenpocken gibt es einen Impfstoff. Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) werden in Deutschland die ersten 40.000 Dosen noch in diesem Monat ausgeliefert, weitere 200.000 im Laufe des Jahres. Infektiologe Jessen empfiehlt vor allem denjenigen eine Immunisierung gegen das Virus, die „hochfrequent Sex haben“ und daher eine sogenannte Prä-Expositions-Profilaxe betreiben, kurz PrEP. Sie nehmen HIV-Medikamente ein, um sich vor einer Ansteckung mit Aids zu schützen.
Injiziert wird ein Lebend-Impfstoff. Er enthält unvollständige Viren. Das Genom, das für die Vermehrung zuständig ist, wurde herausgeschnitten. „Die Impfung ist sehr wirksam“, sagt Jessen. Die Impfung schützt auch noch nach einem Kontakt mit einer infizierten Person. Ebenfalls erprobt ist ein Medikament zu Behandlung von Affenpocken namens Tpoxx.
Affenpocken-Ausbruch 2003 in den USA mit 70 Fällen
Wie dynamisch die Entwicklung in der westlichen Welt derzeit ist, zeigt ein Vergleich mit einem Ausbruch von Affenpocken in den USA vor einiger Zeit. Dort wurden 2003 rund 70 Fälle registriert, wobei sich die meisten Betroffenen bei Präriehunden angesteckt haben mussten. Übertragen wird das Virus für gewöhnlich vor allem über Nagetiere, anders als der Name Affenpocken vermuten ließe.
In Nigeria tritt das Virus seit 2017 vermehrt auf. Rund 200 bestätigte Fälle gab es dort bisher. Die Sterblichkeitsrate liegt im Durchschnitt bei drei Prozent. Sie variiert je nach Virustyp. Bei der westafrikanischen Variante kommt es in einem von hundert Fällen zum Tod. Bei der zentralafrikanischen Variante beträgt die Rate zehn Prozent.
Affenpocken gehen auf ein ein DNA-Virus zurück. Es mutiert deutlich langsamer als zum Beispiel das RNA-Virus Sars-CoV-2. Affenpocken werden über Speichel und Aerosole aus der Atemluft übertragen. Auch in Sperma wurde der Erreger inzwischen nachgewiesen. „Noch ist unklar, wie hoch die Viruslast sein muss, um eine Erkrankung auszulösen“, sagt Jessen.
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