Jetzt wird’s gemütlich

Macht Corona-Berlin unsere 30-jährige Autorin frühzeitig zur Spießerin? Möglich, aber egal.

Anstoßen unter Freunden mit Aperol Spritz.
Anstoßen unter Freunden mit Aperol Spritz.imago images/Ralph Peters

Berlin-Eine Freundin sagte kürzlich, sie fürchte, dass das Coronavirus genau zur rechten Zeit kam, um unsere Leute sanft ins „middle age“ zu führen. Wir sind um die 30 – wer’s noch nicht geschafft hat, anders als ich, ist noch dieses oder spätestens nächstes Jahr dran. Um die 30 also, und wir können diesen Sommer nicht feiern gehen. Die Clubs sind zu, wer weiß wie lange noch, die Festivals abgesagt. „Was“, sagte meine Freundin (29, gerade noch) mit schreckgeweiteten Augen, „wenn wir danach einfach nie wieder damit anfangen?“

Tja, was dann?, dachte ich am Sonnabend und machte mich vom Aperol Spritz mit Freunden (31, 31, 29) auf den Weg nach Hause. Um zwei Uhr nachts, denn die anderen waren erschöpft von einem Tag am See. Zwei von ihnen sind seit anderthalb Monaten miteinander verheiratet. Seit meine Freundin mich gewarnt hat, merke auch ich: Es ist gemütlich geworden. An der Ankerklause hatten wir problemlos einen Tisch bekommen, und um uns herum an der Kottbusser Brücke ging es – an einem Sonnabend im August! – so gediegen zu, dass wir uns in Zimmerlautstärke unterhielten. Weiterziehen … wohin denn? Die illegalen Partys machen zwar neugierig, sind aber verantwortungslos. Wir sind alle Journalisten. Und alle schon so müde.

Als ich am Mehringdamm ankam: Ruhe bis auf ein paar Autos. Dann lief mir eine Dreiergruppe von jungen Leuten (wann habe ich angefangen, diesen Ausdruck zu verwenden?) entgegen. Der Mittelmann wankte bedenklich, was mich fröhlich stimmte. Meinesteils war ich gerade mit einer Apfelschorle aus dem Späti getreten. Ab ins Bett. Am Sonntag besichtigte ich mit einer Freundin (29) die Liebermann-Villa am Wannsee. Es war, ich schwöre es Ihnen, ein Tipp meiner Großtante.

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Und dann habe ich noch ein neues Lieblingscafé entdeckt. Es ist mir egal, dass das Schleichwerbung ist: Es hat kurz vor Corona neu eröffnet und freut sich nun über Kundschaft. „Das Gretel“ heißt wie ich, wird von Frauen geführt, hat eine geschmackvolle Einrichtung aus dunklem Holz, liegt in einer Seitenstraße. Und schließt um 22 Uhr. Ich werde dort jetzt öfter sein. Das middle age legt sich um mich wie eine kuschelige Decke, und Corona-Berlin summt mir ein Lied vor. Guck mal, murmelt es. Ist doch gemütlich. Und ich wehre mich nicht. Zu meiner besorgten Freundin sage ich: Wir verpassen nichts. Und wenn Normal-Berlin wieder aufwacht, sind auch wir wieder junge Leute. Mit unseren 30 Jahren.