Exklusive Studie: Die geheimen Berliner Schulbau-Risiken
Eines ihrer wichtigsten Projekte bringt die rot-rot-grüne Landesregierung in Erklärungsnot. Selbst wohlgesonnene Parteifreunde in den Bezirken wehren sich gegen das, was der Senat als „Berliner Schulbauoffensive“ vermarktet. 5,5 Milliarden Euro will die Regierung investieren. Die Zeit drängt: Schulen verfallen, neue müssen gebaut werden, Eltern klagen, Schüler müssen immer enger zusammenrücken. Von der politischen Dimension ist das Vorhaben vergleichbar mit dem BER-Hauptstadtflughafen. Nur in der Wahrnehmung erschien es bisher weniger spektakulär, weil sich das Problem nicht an einer einzigen Baustelle festmachen lässt, sondern sich auf alle Bezirke verteilt.
Dabei könnte es längst vorangehen, denn das Geld für den Bau der Schulen ist ja da. Doch fragwürdige Pläne des Senats verzögern seit vielen Monaten längst nötige Baumaßnahmen. Verantwortliche der Senatskanzlei, der Finanzsenator und die Senatorinnen für Schule und Stadtentwicklung werkeln weitgehend im Geheimen an ihrer „Schulbauoffensive“. Und hinter dem Slogan verbirgt sich eine hochkomplizierte Konstruktion, die Kompetenzen gänzlich neu ordnen soll. Für den Schulbau und die Sanierung sind bisher vor allem die Bezirke verantwortlich.
Künftig soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge einen Großteil der Arbeit übernehmen, mindestens 15, maximal aber 40 Schulen neu bauen. Und zudem Großsanierungsfälle übernehmen. Der Senat begründet das damit, dass die Howoge professioneller und schneller vorgehen könnte als die Bezirke. Sie schiebt den Bezirken damit unverhohlen die Verantwortung dafür zu, diese Zukunftsaufgabe selbst vermasselt zu haben. Doch seitdem die Berliner Zeitung im November die Konsequenzen der Senatspläne enthüllte, wächst der Unmut bei Verwaltungen und Stadträten.
Obwohl schon viel Zeit verstrichen ist, muss Pankows Schulstadtrat Torsten Kühne (CDU) feststellen: „Zu viele Detailfragen bleiben unklar.“ Ein bereits festgesetzter Termin für Anfang März, bei dem erste konkrete Vereinbarungen getroffen werden sollten, wurde angesichts der Kritik auf die kommenden Wochen verschoben.
Zu intransparent und zu risikoreich erscheinen die Pläne den Kritikern. Zumal nicht in erster Linie die Trägheit der Bezirksbeamten den Sanierungsstau verursachte. Es waren die Sparpläne der Sozialdemokraten Klaus Wowereit und Thilo Sarrazin, die das Personal in den Bezirks- und Landesverwaltungen wegkürzten, das heute fehlt. Ohne genügend Sachbearbeiter in den Fachabteilungen werden selbst vorhandene Gelder nicht verbaut.
Generalunternehmer übernimmt
Gerade angesichts der Zeitnot kann die Regierung nicht plausibel erklären, warum die Lösung nun ausgerechnet im Aufbau völlig neuer Strukturen liegen sollte. Zumal die Howoge als Wohnungsbaugesellschaft überhaupt keine Erfahrungen mit Schulen hat.
Wohnungsbau gilt als vergleichsweise standardisierter. Mieter haben weniger spezielle Bedürfnisse als Gymnasiasten, Grund- oder Sonderschüler. Kindergärten müssen anders gebaut werden als Berufsschulen. Die Howoge kann hier auch viel weniger flexibel agieren, als es einzelne Bezirke mit ihrem Wissen über die jeweiligen Schulstandorte konnten. Die künftige Gesellschaft soll gerade durch die Vergabe von Großaufträgen so effizient sein. Doch dazu muss sie erst Wissen zukaufen. Etwa mit der Projektsteuerungsgesellschaft Kramer + Kramer, die im vergangen Jahr erworben wurde. Zudem soll es einen dritten Howoge-Geschäftsführer geben.
Vorgesehen ist dann zudem, die Schulbau-Großprojekte an einen Generalunternehmer zu vergeben, weil auch die Howoge trotz womöglich höherer Gerhälter nicht die Experten einstellen kann, die in der gebotenen Kürze nötig werden. Fachleute sagen, von solchen Großprojekten profitiere auch nicht der etwa Mittelstand. Nur international agierende Baukonzerne könnten bei der geplanten europaweiten Ausschreibung mitbieten.
Stadträte beklagen sich zudem, dass die Regierung ihr Wissen nur im kleinen Kreis teilt. Weil die Kritik so laut wurde, schrieb der Kreuzberger Stadtrat Hehmke einen Brief, in dem er die Senatspläne eigentlich verteidigten wollte. Er adressierte ihn an alle Schulleiter und Mitglieder des Schulausschusses. Aber auch Hehmke bemerkte: „Schwierig ist es, dass die Senatsfinanzverwaltung uns erst vor drei Wochen eine erste Information hat zukommen lassen. So kann kein Bezirk auf die berechtigten Fragen und Sorgen der Schulgemeinschaften angemessen antworten.“
Um die Gemüter zu beruhigen, präsentierten Senat und Howoge Bezirksvertretern Mitte Februar auf sechs Seiten Eckpunkte zu den Plänen. „Eine knappe PowerPoint-Präsentation reicht mir nicht aus, um unsere Schulgebäude über Jahrzehnte an die Howoge zu geben“, sagt Schulstadtrat Kühne. Und die Präsentation, die der Berliner Zeitung vorliegt, hat es in sich. Nach der derzeit favorisierten Variante sollen die Bezirke jahrzehntelang eine vom Senat garantierte Miete an die Howoge zahlen.
Mindestens 25 Jahre, womöglich 32 Jahre lang. Und es entsteht dabei nicht nur ein komplizierte neue Struktur. Die Howoge soll auch Kredite von rund 1,2 Milliarden Euro bei Banken aufnehmen, um die Projekte zu finanzieren. Die Bezirke bezahlen diese Kredite dann per Rückmietung ihrer bisher eigenen Schulen. Sie werden also zu Mietern. „Es wird schwierig mit der bezirklichen Schulentwicklungsplanung, wenn wir nicht mehr über die Gebäude verfügen können“, sagt Schulstadt Hehmke. „Es geht ja um Schulplatzzuweisungen und Anpassungen an geänderte Bedarfe“, ergänzt Stadtrat Kühne aus Pankow. „Ein 30-Jahres-Zeitraum umfasst mehrere Schülergenerationen.“ Und Cornelia Flader (CDU), Schulstadträtin von Treptow-Köpenick, befürchtet, dass es am Ende teuer für den Bezirk werden könnte.
Formelle Privatisierung
Das sehen auch andere so. „Ich würde mich an Stelle der Bezirke auch dagegen sperren“, sagt Holger Mühlenkamp, Rektor der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften im pfälzischen Speyer. Er ist einer der führenden Verwaltungsexperten und erforscht seit Jahren die Privatisierung des Gemeinwesens. Was der Senat plane, sei eine „formelle Privatisierung“.
Mit höchst fragwürdigen Vergleichen versuchen derweil Senat und Howoge Kritik zu entkräften. So würde die Howoge einerseits dafür gelobt, Wohnungen zu bauen. Sie würde damit Investoren Paroli bieten und den überhitzen Markt abkühlen. Baue sie jedoch Schulen, ernte das sachfremde und ideologische Kritik – so die Argumentation. Doch tatsächlich wird erst durch die neue Senatskonstruktion mit der Howoge auch der Schulbau formal privatisiert. Denn bei öffentlichen Schulbauten spielten Investoren bislang keine Rolle.
Wie Stadträtin Flader befürchtet, hat der Plan von Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) einen hohen Preis: schlechtere Zinskonditionen. Denn die Howoge ist zwar eine Tochter des Landes, aber als „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ privatwirtschaftlich organisiert. Folglich sind die Risiken eines Kreditausfalls größer. Das bewertet auch Mühlenkamp so.
Banken lassen sich diese Risiken mit höheren Zinsen bezahlen. In einer bisher unveröffentlichten Studie des Vereins Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB), die der Berliner Zeitung exklusiv vorliegt, heißt es, bei einer solchen Konstruktion läge „die Mehrbelastung des Landeshaushalts“ bei „kaum unter 341 Millionen Euro“. GiB sammelt Stimmen für eine Volksinitiative gegen die Privatisierung der Berliner Schulen. Experte Mühlenkamp kennt die Studie und hält das methodische Vorgehen für völlig seriös.
Dabei hatte Senator Kollatz-Ahnen noch im November im Gespräch mit der Berliner Zeitung deutlich höhere Kosten bei einer Kapitalbeschaffung durch die Howoge abgestritten. Diese lägen lediglich 0,2 Prozent über denen des Landes, hatte er gesagt. Womöglich hat er noch einmal nachgerechnet. Denn in der Präsentation für die Bezirksvertreter heißt es nun: „Zur Erreichung von kommunalkreditähnlichen Konditionen wird nur gegenüber den Banken (…) auf Einreden gegen den Mietvertrag und die daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen verzichtet.“
Die Zinshöhe drücken
Um die offenbar doch gravierend höheren Zinskosten abzufedern, plant die rot-rot-grüne Landesregierung also weitreichende Zugeständnisse: Der Senat will Banken eine Zahlungsgarantie gewähren. Das nennt sich „Einredeverzicht“. Mit einer solchen Garantie dürfen die Mietzahlungen auch dann nicht eingestellt werden, wenn gravierende Baumängel auftreten. Und ob der Senat diese heiklen Details wirklich sauber regelt – darauf muss die Bevölkerung dann vertrauen. Denn wie bei den Berliner Wasserverträgen sind solche womöglich teuren Details oft in Geheimverträgen versteckt.
Wie gefährlich so etwas werden kann, belegt schon die Eckpunkte-Präsentation. Dort heißt es: „Dieser Einredeverzicht hat gegenüber den Pflichten der Howoge keinerlei Wirkung; folglich bleiben Gewährleistungsansprüche bestehen.“ Doch wenn die Banken keinerlei Risiken mehr tragen, übernimmt diese letztlich das Land. Mit weitreichenden Konsequenzen. Denn ohne das Druckmittel, die Mietzahlungen bei Baumängeln einzustellen, „bleiben solche Gewährleistungen ziemlich wirkungslos“, kritisiert Bauingenieur Carl Waßmuth vom Verein GiB, der als Sachverständiger regelmäßig sowohl vom Bundestag wie auch von Landtagen geladen wird. „Die Risikosteuerung verschlechterte sich für das Land dramatisch und damit steigt der Preis, weil die Zahlungen immer weiter fließen müssen.“
Auch Holger Mühlenkamp sagt: „Wenn die Generalunternehmer, die von der Howoge beauftragt werden, ihre Leistungen nicht erbringen, kann auch die Howoge keine Leistungen erbringen: Da prognostiziere ich Probleme.“ Denn gerät die Howoge einmal in eine Schieflage, wird das Land einspringen und zahlen.
Geheimverträge zwischen Staat und Firmen
„Wir wissen also gar nicht, was auf uns zukommt“, heißt es bei einem Stadtrat. Zudem werde alles in den Büchern der Howoge abgeschrieben. „Dadurch könnten den Bezirken ebenfalls Nachteile entstehen“, sagt er, selbst wenn die Bezirke beim Mietmodell, wie es derzeit geplant ist, im Grundbuch eingetragen bleiben. Als Sicherheit soll die garantierte, jahrzehntelange Mietzahlung gelten.
Die rot-rot-grüne Landesregierung agiert womöglich so intransparent, weil sie dieses Großvorhaben in politische Erklärungsnöte bringen könnte.
Geheimverträge zwischen Staat und Firmen passen spätestens seit den breiten Protesten gegen das Freihandelsabkommen TTIP kaum zum linken Gerechtigkeitsversprechen. Der Senat vermeidet daher, offen über die Privatisierung zu sprechen. Aus den gleichen Gründen betrieb schon die SPD auf Bundesebene ein Versteckspiel, als sie in der vergangenen Legislaturperiode in großer Koalition die Autobahnprivatisierung durchsetzte. Damals behaupteten Spitzengenossen sogar, sie hätten die Privatisierung verhindert – eine völlige Umkehrung der Tatsachen, wie die Berliner Zeitung enthüllte.
Wenn in Zukunft also etwas schiefläuft im Schulbau, erfahren die Gründe dafür wohl nicht einmal Bezirksvertreter. Die Howoge ist zwar Tochter des Landes, doch sie beruft sich bereits jetzt bei Fragen der Berliner Zeitung auf ihr Geschäftsgeheimnis.
Schuldenbremse ab 2020
Das Verschleiern dieser formalen Privatisierung fällt auch leicht, weil sie sich in komplexen Konstruktionen versteckt. Da steht dann: „Beschränkter Einredeverzicht ggü. finanzierender Bank“. Das klingt beiläufig, regt eher zum Weghören an. Für die Banken sind solche Details jedoch so spannend, dass sie dafür heftige Preisnachlässe bei den Zinsen gewähren – womöglich in dreistelliger Millionenhöhe, wenn die Rechnungen von GiB zutreffen.
Das Interesse der Banken ist also klar. Doch warum nimmt der Senat solche teure Kredite auf, obwohl die Regierung Anfang des Jahres erst den größten Haushaltsüberschuss aller Zeiten feierte? Entwaffnend offen schreibt Stadtrat Hehmke in seinem Brief: „Weil die Howoge Kredite für Schulbau und Sanierung aufnehmen kann, ohne dass diese im Landeshaushalt als Schulden verbucht werden.“
Der Finanzsenator erschafft einen Schattenhaushalt, weil auch in Berlin in zwei Jahren die Schuldenbremse greift. Hehmke bestätigt das, wenn er schreibt, durch die Schuldenbremse ab 2020 „besteht die Gefahr, dass – falls die Überschüsse im Berliner Landeshaushalt nicht weiterhin erzielt werden – die Mittel für die Berliner Schulbauoffensive zurückgefahren werden müssten.“ Der Senat macht also irrwitzigerweise vorsorglich Schulden. Die Hypothek tragen künftig Eltern und Schüler.
Lehren aus der Vergangenheit
Doch das ist noch nicht alles. Carl Waßmuth sagt, dass mit den Plänen des Senats die Schulen erstmals eine Art Preisschild bekämen. Während einzelne Schulen kaum interessant seien, gäbe es andere künftig im Paket, zusammengeschnürt mit staatlichen Garantien über einen langen Zeitraum. Das bekommt dann Konditionen, die sich aus Leistungen und Risiken errechnen. Ähnlich funktioniert die Bewertung bei Finanzprodukten.
„Die Howoge könnte dieses Paket oder Teile davon verkaufen. Sie könnte selbst verkauft werden“, warnt Waßmuth. Schulgebäude als Finanzprodukte: „Damit ist die Privatisierung der Schulen in Berlin sogar noch weitreichender als die Privatisierung der Autobahnen, bei der es grundgesetzliche Schranken gegen den materiellen Verkauf der Autobahnen gab.“
Dabei könnte Berlin aus seiner Geschichte lernen: Als die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Degewo in den 1970er-Jahren in West-Berlin 15 Schulzentren baute, gab es später ein böses Erwachen. Die teils fensterlosen Schulen mussten wegen Asbestbelastung und Lüftungsproblemen nach und nach geschlossen werden – da das Land die Gebäude von der Degewo geleast hatte, musste der West-Berliner Senat auch für unbrauchbare Gebäude weiterzahlen. Der Senat bemühte sich über Jahre vergeblich, von der Degewo überhaupt eine Schlussabrechnung zu erhalten.