Fahrrad fahren in Berlin: Lilienstraße im Bezirk Mitte soll Vorbild für Städte werden
Die Linienstraße in Mitte ist etwas Besonderes, sagt Johannes Schneider. Und das sollen die Menschen, die dort unterwegs sind, bald auch sehen. Die Bezirksverordnetenversammlung von Mitte hat beschlossen, dass ein 25 Zentimeter breiter grüner Strich auf die Fahrbahn gemalt wird. Auf Kreuzungen sind wiederum große rote Flächen geplant, die an einen roten Teppich erinnern. „Beides soll zeigen, dass es sich um einen speziellen Verkehrsweg handelt“, erklärt der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion. Die Linienstraße ist eine Fahrradstraße, seit zehn Jahren schon. Aber noch immer wüssten viele nicht, was das heißt, sagt der Bezirksverordnete. Geplant ist nun ein Pilotprojekt, zu dem nicht nur farbige Markierungen gehören. Die Linienstraße soll Vorbild werden – für Berlin und für andere Städte.
Fahrradstraße? Was ist das denn? Das fragen sich viele. Dabei gibt es dieses Konzept schon lange. 1978 wurde es in Bremen vorgestellt, seit 1997 ist die Regelung bundesweit in der Straßenverkehrsordnung verankert. Drei Jahre später wurde die Biesdorfer Alberichstraße als erste Fahrradstraße Berlins ausgeschildert. Mittlerweile prangt das quadratische blau-weiße Verkehrszeichen in dieser Stadt an fast 20 Straßen. „Doch längst nicht jeder weiß, was es bedeutet“, sagt Schneider.
Nebeneinander fahren erlaubt
Der 30-Jährige, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag arbeitet, ist selbst oft mit dem Rad auf der Linienstraße unterwegs. Nicht immer tritt er dort allein in die Pedale: „Dann kommt es vor, dass wir angehupt werden, weil wir nebeneinander fahren.“ Dabei ist das erlaubt, wie es in der Anlage zu der Rechtsverordnung heißt.
Dort steht auch: Für den Fahrverkehr gilt Tempo 30. „Wenn nötig, muss der Kraftfahrzeugverkehr die Geschwindigkeit weiter verringern.“ Der Radverkehr dürfe weder gefährdet noch behindert werden. Und: Andere Fahrzeuge als Velos dürfen auf Fahrradstraße nur unterwegs sein, wenn dies ausdrücklich erlaubt ist. In der Linienstraße zum Beispiel ist Anliegerverkehr erlaubt.
Ein weiteres Konfliktthema
Durchgangsverkehr soll draußen bleiben: Auch daran halten sich Kraftfahrer nicht, sagt Schneider. „Sie nutzen die Linienstraße rechtswidrig. Darum sieht der Beschluss des Bezirksparlaments auch vor, abschnittsweise Einbahnstraßen für den Kfz-Verkehr einzurichten.“
Ein weiteres Konfliktthema: Wer hat Vorfahrt? In der Linienstraße gilt rechts vor links. Aber auch darüber sind sich nicht alle, die dort unterwegs sind, im Klaren. Beschlossen wurde nun, die Linienstraße als Vorfahrtstraße auszuschildern. Wo andere Straßen queren, lösen breite rote Flächen den grünen Strich auf der Fahrbahn ab. Nur wo mit der Rosa-Luxemburg- und Rosenthaler Straße Hauptstraßen kreuzen, soll das nicht gelten – der querende Verkehr hat dort Vorrang, so Schneider.
„Es ist Unsinn, Fahrradstraßen einzurichten und Radfahrer auszubremsen“
Im Bezirksparlament Mitte gab es eine große Mehrheit für den Antrag der Grünen. SPD, Linke, CDU und FDP stimmten dafür. Nun müsse die Umsetzung vorbereitet werden, so Schneider. „Nächste Woche gibt es dazu ein Gespräch mit dem Bezirksamt.“ Leicht wird es wohl nicht, den Beschluss zu verwirklichen. Denn bislang stand die Verkehrslenkung Berlin Wünschen, die Linienstraße zur Vorfahrtstraße zu machen, skeptisch gegenüber.
Dabei gebe es in Bremen bereits Fahrradstraßen, die so ausgeschildert seien – rechtskonform. „Es ist Unsinn, Fahrradstraßen einzurichten und die Radfahrer dann an jeder Ecke auszubremsen“, sagt Jens Tittmann, Sprecher des Bremer Verkehrssenators Joachim Lohse (Grüne). „Rad- und Autoverkehr lassen sich nur entkoppeln, wenn die Fahrradstraßen attraktiv sind.“
ADAC findet Konzept richtig
Die Pläne befinden sich noch auf der Ebene des Bezirks Mitte. „Die Meinungsbildung im Senat startet erst, wenn von dort an uns herangetragen wird“, sagt Matthias Tang, Sprecher von Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne).
Vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) gibt es Lob. „Das Maßnahmenpaket ist der richtige Weg, um die derzeitigen Probleme mit den Fahrradstraßen in den Griff zu bekommen – zu viel Durchgangsverkehr und zu wenig Sichtbarkeit des Vorrangs für Radfahrende“, sagt Sprecher Philipp Poll.
Mehr solcher Verkehrswege
Die Radlerlobby findet nicht nur die roten Markierungen an den Kreuzungen gut. Auch der durchgehende hellgrüne Strich erhält Beifall. „Die Farbe Grün ist sinnvoll gewählt, da sie künftig auch als Hintergrundmarkierung von Radfahrstreifen und Radwegen dienen soll: Sie soll stadtweit zur Signalfarbe fürs Fahrrad werden“, so der Sprecher.
Die Linienstraße als Pilotprojekt für die Fahrradstraße der Zukunft – das erscheint auch deshalb als sinnvoll, weil es in Zukunft mehr solcher Verkehrswege in Berlin geben soll.
Das Netz soll kräftig wachsen
Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) begrüßt das ausdrücklich. Fahrradstraßen ziehen Radler an, wie sich auch auf der Linienstraße zeigt. Dort zählte das Netzwerk fahrradfreundliche Mitte an einem Tag im vergangenen Sommer zwischen 8 und 9 Uhr rund 1900 Fahrräder – aber nur 92 Kraftfahrzeuge. Durch diese Magnetwirkung würden parallel verlaufende Hauptstraßen entlastet und für Autos leichter passierbar, so der ADAC.
Auch bei diesem Thema könnte das geplante Berliner Mobilitätsgesetz, das in diesem Frühjahr verabschiedet werden soll, für Tempo sorgen. Das Netz soll kräftig wachsen.
In Bremen, wo die Fahrradstraße einst erfunden wurde, ist man allerdings schon weiter. „Wir gehen jetzt dazu über, ganze Fahrradquartiere auszuweisen, in denen alle Straßen Fahrradstraßen sind“, so Jens Tittmann. In der Hansestadt gebe es rund 20 Fahrradstraßen. „Wären wir so groß wie Berlin, hätten wir 140.“