Fall Johanna Hahn - Raser wegen Mord verurteilt

Berlin - Als das Urteil an diesem Donnerstag fällt, herrscht im Schwurgerichtssaal 500 des Berliner Landgerichts eine unglaubliche Stille. Wohl niemand rechnete im Prozess um den Tod der Studentin Johanna Hahn mit dieser Entscheidung der 40. Großen Strafkammer. Nicht die Verwandten des Angeklagten, nicht die Familie der 22-jährigen Johanna. Die junge Frau wurde von einem Auto erfasst und getötet, in dem drei Diebe auf der Flucht vor der Polizei saßen. Es war Mord, urteilt Peter Schuster, der Vorsitzende Richter. Milinko P., der Angeklagte, muss dafür eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßen.

Die Entscheidung ist deswegen so überraschend, weil selbst der Staatsanwalt in seinem Plädoyer vom Mordvorwurf abgerückt war und eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung verlangt hatte.

Milinko P. muss sogar wegen zweifachen Mordes hinter Gitter, denn bei der Verfolgungsjagd starb auch sein Beifahrer Danijel I. Außerdem hat sich der Angeklagte nach Ansicht des Gerichts des dreifachen versuchten Mordes und der Teilnahme an einem verbotenen Autorennen schuldig gemacht.

Verfolgungsjagd nach einem Diebstahl

Der 28-Jährige gehörte zu einem Diebestrio, dass am Abend des 6. Juni 2018 einen Transporter aufgebrochen und hochwertiges Werkzeug gestohlen hatte. Die Männer waren dabei von Zivilpolizisten beobachtet worden, die den Audi A6 der Diebe verfolgten. Ein Zugriff am Stuttgarter Platz misslang, Milinko P., der den mit Diebesgut vollbeladenen Audi fuhr, gab Gas. Sechs Zivilfahrzeuge der Polizei verfolgten den A6. Ohne Blaulicht und Martinshorn.

Milinko P. raste mit dem Wagen bei roter Ampel und mindestens 80 Kilometern pro Stunde über die Kantstraße, knallte dort in zwei Fahrzeuge und schleuderte mit seinem Fahrzeug gegen Johanna Hahn, die gerade die Windscheidstraße überqueren wollte. So schildert es der Richter. Die junge Frau war sofort tot. Auch der Beifahrer des Fluchtwagens konnte nicht mehr gerettet werden, obwohl die Ärzte im Krankenhaus alles dafür taten. „Auch mit 88 Blutkonserven war das Leben des Mannes nicht mehr zu retten“, sagt Schuster.

Milinko P. habe in Verdeckungsabsicht gehandelt

Milinko P., der zur Volksgruppe der Roma gehört und in Serbien unter ärmlichen Bedingungen aufwuchs, fällt das Atmen nach diesem Schuldspruch sichtlich schwer. Er hält den Kopf gesenkt, den Blick auf den Tisch vor sich gerichtet. Auch als der Richter die Mordmerkmale aufzählt: Der bisher nicht vorbestrafte Angeklagte habe in Verdeckungsabsicht gehandelt, er habe nach dem Diebstahl nicht festgenommen werden wollen.

Die Tötung der Studentin sei zudem heimtückisch gewesen, Johanna Hahn sei völlig arglos auf die Straße der Tempo-30-Zone getreten. Zudem habe der Angeklagte bei der Tat mit dem Audi ein gemeingefährliches Mittel benutzt. Milinko P. habe mit Tötungsvorsatz gehandelt. Er habe nicht ernsthaft darauf vertrauen können, dass bei der rasanten Flucht in der belebten Innenstadt an einem lauen Sommerabend nichts passiere.

Schuster nennt die Erklärung des Angeklagten, er habe nicht erkannt, dass er von Polizisten angehalten werden sollte, „in weiten Teilen eine unwahre Schutzbehauptung“. Der Angeklagte muss den Eltern von Johanna Hahn zudem Schmerzensgeld zahlen.

Kritik am Verhalten der Polizei

Peter Schuster erwähnt bei seinem Urteil aber auch das Verhalten der Polizei. Der Einsatz sei Anlass für die Beamten zu schauen, was bei der nächsten Verfolgung von Straftätern besser gemacht werden könne. „Es sollte eine Festnahme werden, dann waren zwei Menschen tot. Da sieht jeder, dass das nicht optimal gelaufen ist“, sagt er. Zudem sei der Einsatz von Blaulicht und Martinshorn geboten gewesen. Möglich, dass Johanna Hahn durch die Signale innegehalten hätte und nicht auf die Straße gelaufen wäre.

Susanne Hahn, die Mutter der getöteten Studentin, die im Prozess Nebenklägerin war, ist nach dem Schuldspruch sichtlich erleichtert. Ein Urteil wegen Mordes sei gerade nach dem Plädoyer des Staatsanwalts sehr überraschend gekommen. „Aber es ist das, was wir erhofft und erwartet haben“, sagt sie. Ihr Anwalt Gregor Gysi, der auf Mord plädiert hatte, spricht von einem richtigen und wichtigen Urteil. Der Verteidiger kündigt an, in Revision zu gehen. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßt den Schuldspruch als „deutliches und richtiges Urteil“, sagt Landeschef Norbert Cioma.