Fastenmonat Ramadan: Muslime in Berlin und Deutschland stehen vor Herausforderungen

In der Klasse 9d am Ernst-Abbe-Gymnasium stellen ab diesem Mittwoch beinahe alle Schüler tagsüber das Essen und Trinken ein. Der Ramadan hat begonnen. Nur zwei, drei Jugendliche fasten nicht. Für die Schule in Neukölln ist das eine Herausforderung. Lehrer und die Schulleitung wollen die Kinder in der Ausübung ihrer Religion unterstützen, müssen aber sicherstellen, dass ihr Bildungsauftrag nicht in den Hintergrund gerät. Auch müssen sie Schüler schützen, die sich nicht am Fastenmonat beteiligen. Denn der Druck, den Jugendliche mitunter auf ihre Klassenkameraden ausüben, ist hoch.

Der Ramadan hat begonnen

„Einige fühlen sich genötigt, mitzumachen“, sagt Schulleiter Tilmann Kötterheinrich-Wedekind. Er erzählt von Kindern, die nur in der Schule nicht essen und trinken, zu Hause aber schon. Von Schülern, die den Unterricht verlassen, um zu kontrollieren, ob ihre Klassenkameraden in den Toiletten heimlich das Fasten brechen. „Besonders bei Jungs ist Ramadan auch ein Wettkampf“, schildert der Direktor. Jugendliche unterstellten Mitschülern, das Fasten nicht durchzuhalten, forderten Beweisfotos fürs Nichtessen. „Du bist kein echter Moslem“, bekomme vielleicht zu hören, wer isst, obwohl er dem Islam angehört.

Das sind Einzelfälle. „Manchmal geht es gar nicht um Religion, sondern um Gruppenhierarchien unter Pubertierenden“, sagt der Schulleiter. 97 Prozent der Schüler am Ernst-Abbe-Gymnasium haben einen Migrationshintergrund. Für die große Mehrheit ist die Religion der Mitschüler das, was sie sein sollte: deren Privatsache. Dennoch wird der Fastenmonat an der Schule in der Sonnenallee in den kommenden Tagen ein Gesprächsthema sein, er wird Alltagskonflikte einfärben.

Aleviten fasten zu anderen Zeiten im Jahr

Das ist auch in anderen – mutmaßlich erwachseneren – Teilen der Gesellschaft so. „Wir hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle von Nachbarschaftsdruck“, sagt Numan Emre. Er ist Vorsitzender der Alevitischen Gemeinde zu Berlin, die nicht fastet. „Einmal musste die Polizei einschreiten, als Hausbewohner ihren alevitischen Nachbarn aggressiv beschimpften.“ Auch berichtet Emre von Ladeninhabern, die ihren Glauben geheim hielten, um die Geschäfte nicht zu gefährden. „Die bieten beispielsweise keinen Alkohol an. Kunden sollen denken, sie wären Muslime wie sie.“

Geduldig erklärt Numan Emre Unwissenden das Alevitentum. „Die deutsche Bevölkerung weiß wenig darüber“, sagt er. Oft werde er gefragt, warum er nicht faste. Obwohl die Lehre mit dem schiitischen Islam verwandt ist, leben Aleviten ihren Glauben nicht nach außen aus, eine dogmatische Religionsauslegung lehnen sie ab. Alevitische Männer und Frauen beten zusammen.

In Berlin leben laut Emre etwa 70.000 Aleviten. Auch sie fasten, allerdings nicht während des Ramadans, sondern zu anderen Zeiten im Jahr. „Deswegen kann ich nachvollziehen, wie sich das anfühlt“, sagt Emre. Seinen Nachbarn bringt er während des Ramadans jeden Abend nach Sonnenuntergang etwas Selbstgekochtes. „Um ihnen zu zeigen, dass ich sie unterstütze.“

„Schüler, die nicht fasten, schämen sich manchmal“

Auch in die Klasse 9d des Ernst-Abbe-Gymnasiums geht ein alevitisches Kind. „Ein anderer Junge ist Atheist“, erzählt der 14-jährige Ahmad, der die Klasse besucht. „Die Schüler, die nicht fasten, schämen sich manchmal. Sie essen dann im Verborgenen, auch aus Respekt uns gegenüber. Das brauchen sie aber natürlich gar nicht. Es muss ja nicht ihr Problem sein, dass wir fasten.“

Ahmad sitzt mit seinen Klassenkameradinnen Dilara und Abina im Büro des Schulleiters um den Tisch. Eines der Mädchen trägt ein Kopftuch, die andere nicht. Alle drei verzichten von nun an einen Monat lang tagsüber auf Essen und Trinken. Auch ihre Familien fasten. Dilara, die ihre dunklen Haare offen trägt, betont, dass das Fasten ihre eigene Entscheidung war: „Ich wollte das einfach. Für das Kopftuch fühle ich mich aber noch nicht bereit.“

Fasten ist kein Freischein

Mit am Tisch sitzt die Klassenlehrerin der 9d: Safiye Celikyürek. Sie stammt selbst aus einer strenggläubigen türkischen Familie, kam als Siebenjährige in den Siebzigern nach Neukölln. „Meine Eltern haben mir aber immer gesagt, dass Trinken wichtig ist, wenn man sich nicht mehr konzentrieren kann“, sagt die Pädagogin. Das vermittelt sie auch den Schülern. Laufe ein Kind Gefahr, aufgrund von Schlafmangel, Hunger oder Durst seine Leistungen in Klausuren zu verschlechtern, könne das Fasten verschoben werden.

So steht es auch in den Empfehlungen zu „Ramadan und Schule“, die der Bezirk Neukölln und die Schulaufsicht im vorigen Jahr in die Bildungsstätten reichten. Ein weiterer Hinweis lautet: „Fasten ist kein Freischein, um schulische Pflichten zu umgehen.“ Etwa die Teilnahme am Sportunterricht oder an Prüfungen dürfe nicht verweigert werden.

Safiye Celikyürek selbst hat sich gegen das Fasten entschieden, obwohl sie sich als gläubige Muslima bezeichnet. „Es ist Prüfungsphase, da hilft es niemandem, wenn ich krank werde.“ In den kommenden Wochen stehen an dem Gymnasium noch mündliche Abiturprüfungen und Dutzende Klassenarbeiten an. Sie werde das Fasten nachholen, sagt die Lehrerin. „Und da redet mir niemand rein: Nicht mein Vater, nicht mein Mann, nicht mein Chef.“ Denn das sei allein ihr Deal mit Gott.