Fehlerhafte Promotionsarbeit: Berliner CDU-Fraktionschef gibt Doktortitel ab

Berlin - Der Fall erinnert an die früheren Plagiatsaffären führender Politiker. Zuletzt mussten die FDP-Parlamentarier Georgios Chatzimarkakis und Silvana Koch-Mehrin ihre Doktortitel abgeben. Anders als in jenen Fällen kam der CDU-Fraktionschef Florian Graf jetzt einer Aberkennung des Titels zuvor.

Am Freitagabend teilte er mit, dass er die Universität Potsdam gebeten habe, ihm den Doktortitel zu entziehen. Die Hochschule hatte zuvor Zweifel an der wissenschaftlichen Qualität der Arbeit geäußert und spricht von einem „Plagiatsverdacht“.

Graf sagt, er habe im Nachhinein festgestellt, dass er bei seiner Arbeit „wissenschaftlich nicht fehlerfrei“ gearbeitet habe. „Ich bitte alle, diejenigen, die ich enttäuscht habe, um Verzeihung“, fügte er hinzu.

Der Diplom-Verwaltungswirt Florian Graf hatte seine Doktorarbeit im April 2010 an der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Uni Potsdam eingereicht. Sie wurde laut Graf ohne Einwände abgenommen. Seit der Übergabe der Promotionsurkunde im Dezember 2010 durfte er sich „Dr. rer. pol.“ nennen.

Zweifel an der Universität

Der Titel der Arbeit lautete: „Der Entwicklungsprozess einer Oppositionspartei nach dem abrupten Ende langjähriger Regierungsverantwortung“ – und bezog sich auf die Arbeit der Oppositionspartei der CDU zwischen 2001 und 2006. Graf hatte dazu ausreichend praktisches Anschauungsmaterial. In jener Zeit war er Büroleiter des CDU-Fraktionschef, zuletzt von Nicolas Zimmer. Man wüsste eigentlich gern, was in der Arbeit steht, und zwar nicht nur wegen der Fußnoten. Doch die Veröffentlichung hat Graf verhindert. Deshalb gibt es auch keine Hinweise auf VroniPlag, der Enthüllungsplattform.

Mit der Universität hatte er ein Sperrvermerk vereinbart, um die Zusammenfassung vorher im Fachblatt „Zeitschrift für Parlamentsfragen“ zu veröffentlichen.

Der Universität sind offenbar mit Ablauf der Sperrfrist zum Monatsende Zweifel gekommen. In einer Sitzung am vergangenen Dienstag beschloss die Vorsitzende des Promotionsausschusses, Theresa Wobbe, die Überprüfung und Aufhebung der Sperrfrist. Graf wurde um eine Stellungnahme zum Plagiatsvorwurf gebeten. Daraufhin habe er am Freitag den Antrag auf Entziehung des Doktorgrades gestellt, teilt die Uni mit. Am 2. Mai wird über den Antrag entschieden.

Henkel lobt „schnellen und konsequenten Schritt“

Der CDU-Politiker schildert die Vorgänge etwas anders. Er spricht von „Verfahrensfehlern“, auf die er vom Promotionsausschuss aufmerksam gemacht worden sei. Die Zweifel an seiner Arbeit seien ihm selbst gekommen, während der Arbeit an dem Zeitschriften-Manuskript und auch nach der Abgabe vor Ostern. Zu den Plagiatsvorwürfen äußert er sich nicht.

Am kommenden Mittwoch will Graf in seiner Fraktion die Vertrauensfrage in geheimer Abstimmung stellen. Dann entscheidet sich, ob er als Chef bleiben kann. Wenn nicht, wäre dies ein schwerer Schlag für die Union. Der Mariendorfer führt die Fraktion seit Eintritt der CDU in die Regierung mit der SPD. Er hat sich über die Parteigrenzen hinaus einen guten Ruf als ruhig, zuverlässig und gescheit erarbeitet. Er wurde im Dezember mit 95 Prozent der Stimmen gewählt, kann gut mit seinem SPD-Kollegen, Raed Saleh.

Der CDU-Landeschef Frank Henkel lobte den „schnellen und konsequenten Schritt“ von Florian Graf. Er stellte sich hinter seinen Mann: „Graf ist ein ausgezeichneter Fraktionsvorsitzender, der meine volle Unterstützung genießt, damit ist die Debatte beendet.“ In Parteikreisen wird damit gerechnet, dass Graf das Vertrauensvotum übersteht.

Die Erklärung im Wortlaut:

Persönliche Erklärung des Vorsitzenden der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses, Florian Graf

Ich habe heute die Vorsitzende des Promotionsausschusses der Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam, Frau Prof. Dr. Theresa Wobbe gebeten, mir den Doktorgrad zu entziehen. Ich habe nach eingehender Prüfung in den letzten Wochen festgestellt, dass ich den an mich selbst gestellten Ansprüchen im Hinblick auf ein Standhalten meiner Dissertation in der Öffentlichkeit nicht gerecht geworden bin. Insbesondere muss ich Nachhinein feststellen, dass ich an einigen Stellen wissenschaftlich nicht fehlerfrei gearbeitet habe. Es ist aber nur konsequent und es gebietet auch der Respekt gegenüber der wissenschaftlichen Leistung aller anderen Promovierten, bei dem leisesten Zweifel den Titel abzugeben.

Ich bitte alle diejenigen, die ich enttäuscht habe, um Verzeihung.

Meinen Verbleib im Amt als Vorsitzender der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses werde ich in die Hände meiner Kolleginnen und Kollegen legen. Ich werde die CDU-Fraktion für Donnerstag, den 3. Mai 2012, zu einer Sonderfraktionssitzung einladen und dort in geheimer Abstimmung die Vertrauensfrage stellen.

Zum Sachverhalt:

1. Promotionsverfahren
Am 21. April 2010 habe ich meine Dissertation zum Thema "Der Entwicklungsprozess einer Oppositionspartei nach dem abrupten Ende langjähriger Regierungsverantwortung" eingereicht. Das Promotionsverfahren wurde am 23. April 2010 eröffnet, die Dissertation in einer Frist bis zum 23. August 2010 begutachtet und angenommen. Für die Zeit vom 30. August bis 8. Oktober 2010 wurde die Dissertation mit den Gutachten im Dekanat für den Promotionsausschuss ausgelegt. Einwände wurden nicht erhoben. Die Disputation erfolgte am 18. Oktober 2010 und meine Promotion zum "Dr. rer. pol." wurde von der Prüfungskommission angenommen.

2. Veröffentlichungspflicht und Sperrvermerk
Am 21. Dezember 2010 habe ich gemäß der Promotionsordnung die Pflichtexemplare bei der Universitätsbibliothek zur Veröffentlichung abgeliefert. Beigefügt wurde ein Sperrvermerk meines Erstgutachters vom 6. Dezember 2010 mit der Bitte, diese Exemplare bis zum 30. September 2011 zu sperren, d. h. nicht öffentlich zugreifbar zu verwahren, da wichtige Teile dieser Arbeit noch in einer Fachzeitschrift publiziert werden sollen. Um das Urheberrecht einzuhalten, darf die Dissertation nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt veröffentlicht werden (In den Hinweisen zur Veröffentlichung heißt es wörtlich: "Die Annahme von Manuskripten setzt voraus, dass diese nicht gleichzeitig an anderer Stelle zur Begutachtung eingereicht und bisher weder in einem anderen Printmedium noch im Internet veröffentlicht worden sind."). Am selben Tag wurde mir die Promotionsurkunde vom Dekanat ausgehändigt verbunden mit einem Schreiben des Dekans, welches mich zur Führung des Doktortitels berechtigte.

Da es mir nicht möglich war, die Publikation in der genannten Frist abzuschließen, hat mein Erstgutachter mit Schreiben vom 6. September 2011 um eine Fristverlängerung bis zum 30. Juni 2012 gebeten, der die Bibliothek entsprochen hat. Gestern Abend hat mir die Vorsitzende des Promotionsausschusses zudem mitgeteilt, dass dies verfahrensfehlerhaft war, weil der Sperrantrag nicht an den Promotionsausschuss gerichtet war. Das bedauere ich sehr. Ich konnte in den letzten Wochen das Manuskript meiner Publikation fertig stellen und es bei der "Zeitschrift für Parlamentsfragen" kurz vor Ostern einreichen. Dort befindet es sich laut deren Mitteilung vom 4. April 2012 im redaktionellen Evaluationsprozess. Bei der Erarbeitung dieses Manuskriptes sowie im Nachgang sind mir immer mehr Zweifel gekommen, ob ich den an mich selbst gestellten Ansprüchen auch im Hinblick auf ein Standhalten meiner Dissertation in der Öffentlichkeit gerecht werden kann. Ich kann dem nicht gerecht werden und habe deshalb heute meine Konsequenzen gezogen. Das Manuskript werde ich zurückziehen. Gleichzeitig habe ich heute veranlasst, dass die Exemplare der Dissertation, die nach Ablauf der Sperrfrist durch einen Verlag publiziert werden sollten, nicht vertrieben werden.

Berlin, 27.04.2012