Feine Wortwahl gegen Lockdown-Verlotterung
„Erhebe dich, bitte“ statt „Steh auf!“: Der Versuch, per Sprache den Nachlässigkeiten in Pandemiezeiten entgegenzuwirken.

Vor einigen Wochen habe ich Sätze beerdigt. All die Ermahnungen und Befehle, Bekundungen des Wartens und der Ungeduld, aber auch ganz neutrale Aussagen wie „Das Essen ist fertig“ oder „Das ist eine schwierige Aufgabe“ schrieb ich auf eine lange Liste, mit dem festen Vorsatz, sie eine Weile nicht zu verwenden. Ich kann sie schlichtweg nicht mehr hören. Kann mich nicht mehr hören. Nicht einmal mehr liebevolle Anfeuerungsrufe wie „Du schaffst das schon“ oder „Das hast du doch gut gemacht“ kriege ich mehr über die Lippen. Das Kind hört jetzt sehr viel von „Exzellenz“ und löst Probleme „ganz ausgezeichnet“.
Statt „das Essen ist fertig“ sage ich jetzt „es ist angerichtet“, anstelle von „ich komme gleich“ eben „ich nahe bald“ und morgens bitte ich das Kind, sich zu erheben statt des ewig gleichen „Steh auf!“ „Wende dich bitte an deinen Erzeuger“ in Momenten, in denen ein klares „Frag Papa“ angezeigt wäre, finde ich zu distanziert. Darauf muss das Kind jetzt selbst kommen, oder Papa hat eben frei. Auch die anderen Alternativen mögen etwas manieriert klingen, aber ich finde, ein Hauch sprachlicher Noblesse kann im Zuge der ganzen Verlotterung nicht schaden. „Geschirr abtragen“ kann man auch mit schmutzigen Fingernägeln. Eine „technische Hürde“ zu nehmen steht uns besser zu Gesicht, als immer nur „Scheißgerät“ zu rufen. Und man kann durchaus „ein weiteres Exemplar“ erstellen statt schnöde nochmal alles auszudrucken.
Schwieriger wird es beim Namen des Kindes, den ich naturgemäß etwa hundertmal am Tag sage. Es ist ein sehr schöner Name, und ich möchte ihn irgendwann wieder mit Freude im Munde führen. Also operiere ich schon seit langem mit unzähligen Kosenamen. Die alten wie „Schatz“, „Spatz“ oder „Herz“ waren dank der inflationären Verwendung schnell abgenutzt. Neue wie „Schnuffelchen“ oder „Puffelchen“ verbieten sich, weil das Kind sonst natürlich gar nicht mehr aus seinem Zimmer kommt. Ich wähle also zeitgemäße oder sogar tagesaktuelle Begriffe. Eine Weile hieß es „Herr Anton“ wie die leidige App. Dann Molly Malone, an die ich durch eine Lektüre erinnert wurde. Blöd nur, dass es ein Mädchenname ist.
Als das Kind eine besondere Schokolade in der Form von Erdnüssen lieben lernte, nannte ich es einen Tag lang „Eichhörnchen“. Es zog „Nussknacker“ vor und ich fügte mich. Allein schon, weil man ja mal zornig ist und „Eichhörnchen“ null Schimpfpotenzial hat. Es folgten „Maulwurf“ respektive „Grabowski“ wegen des Höhlendaseins, das er in seinem lediglich von ein wenig Licht gestreiften Zimmer führte, aber nur kurz. Jetzt sind die Rollläden wieder oben. Die Tür hingegen hält er hartnäckig geschlossen. Statt „aufmachen“ kann man „öffnen“ sagen. Ein Synonym für Tür will mir nicht einfallen.