Feinkostladen Rogacki in Charlottenburg: Fischräucherei ist Kiezmeister 2018
Manchmal ist es besser, die Dinge bleiben wie sie sind. Weil es gut ist, wie sie sind. Weil der Laden läuft. Dietmar Rogacki zum Beispiel würde nie auf die Idee kommen, seinen Laden umzubauen. Er wird ihn nicht erweitern, auch nicht schicker machen und erst recht keine zweite Filiale eröffnen. „Wir wollen unsere Einmaligkeit behalten“, sagt Dietmar Rogacki. Da ist er ganz traditionell.
Der 62-Jährige führt mit seiner Frau Ramona das Imbiss-und Feinkostgeschäft in der Wilmersdorfer Straße. Rogacki steht in geschwungener Schrift auf den Markisen am Eingang, seit 90 Jahren gibt es den Familienbetrieb. Die Großeltern von Dietmar Rogacki, Paul und Lucia, haben ihn 1928 als Räucherwarenladen in Wedding gegründet. 1932 zogen sie in der Wilmersdorfer Straße und eröffneten dort die erste Charlottenburger Aal- und Fischräucherei. Längst ist das Geschäft eine Alt-Berliner Institution. Rogacki, ausgesprochen Rogatzki, kennt jeder. Der Laden, etwa 1000 Quadratmeter groß, ist Imbiss- und Lebensmittelgeschäft, Kieztreffpunkt, Bar und Markthalle. Ein Ort mit Geschichte.
Ein Räucherofen in der Stadt
Der große Räucherofen, den Dietmar Rogackis Großeltern damals aus Hamburg nach Berlin geholt hatten, steht heute immer noch im Geschäft. Und wie früher wird dort weiter jeden Tag für zwei bis drei Stunden mit Buchenholz geräuchert: Aal, Makrele, Hering, Heilbutt, Lachs. Die Kundschaft schaut zu. Eine Räucherei in der Innenstadt ist eine Rarität. „So etwas würde doch heute niemand mehr genehmigen“, sagt Rogacki. Er genießt Bestandsschutz.
Wer das Geschäft zum ersten Mal betritt, staunt über die altmodische Ausstattung der Imbisshalle mit Stehtischen und Theken. Im Jahr 1978, zum 50. Firmenjubiläum, wurde die Halle zum letzten Mal umgebaut – und sieht heute noch so aus wie vor 40 Jahren. Grün ist die dominante Farbe des Hauses, grün sind die Deckenverkleidung, Theken und Wachstuchdecken, ebenso die Schürzen und Kittel der 80 Mitarbeiter. Grün sei die Farbe der Frische, sagt Rogacki. Und Frische sei das wichtigste in einem Lebensmittelgeschäft, erst recht, wenn dort Fisch verkauft wird.
Sogar Prinz Charles soll den Räucherfisch gekostet haben
„Schlemmerecke“ steht über der Mittagstheke. Dort ist kein Platz für Schnickschnack. Retro-Stil würde man es heute nennen. Gastronomen zahlen dafür viel Geld. In der Küche gibt es keine Experimente, sondern solide Hausmannskost: viel Fleisch und Fisch, Hähnchen, Haxen, Kassler, Bouletten, Bratfisch, Scholle, Bratkartoffeln, Blutwurst, Eisbein, Sauerkraut.
Und Kartoffelsalat. Selbst gemacht natürlich, betont Dietmar Rogacki – ebenso wie selbstverständlich der Heringssalat. Fünf Mitarbeiterinnen kochen, pellen, schneiden und würzen jeden Tag die Kartoffeln. Nur Zwiebeln, Essig und Öl kommen hinzu, wahlweise Mayonnaise. Der Klassiker. Etwa eine Tonne verkauft Dietmar Rogacki in der Woche. Für Feinschmecker gibt es Austern, Hummer, Kaviar und Champagner. Für Feiern bietet Rogacki einen große Mett-Igel an. Aus drei Kilo Hackfleisch.
Anthony Bourdain, berühmter Küchenchef aus den USA, ist auf der Suche nach der perfekten Mahlzeit um die Welt gereist. Später schrieb er, bei Rogacki gebe es das beste Essen in Deutschland. Die britische Botschaft kauft ihren Räucherfisch für ihre Gäste hier, Prinz Charles soll ihn gekostet haben.
Kindheit zwischen Ölsardinen
„Alt-Berlin vom Feinsten“, lobt nun auch die Jury der Berliner Meisterköche den Familienbetrieb und hat Rogacki jetzt den Titel Berliner Kiezmeister verliehen. „Berlins letzte Traditions-Fischräucherei, ist Herz und Seele für viele im Kiez rund um die Wilmersdorfer Straße und darüber hinaus.“ So hat die Jury ihre Auswahl begründet. Erstmals vergab sie diesen Titel. Dietmar Rogacki hat die Auszeichnung an die Eingangstür geklebt. Er ist jetzt Kiezmeister, und er freut sich. Sein Konzept funktioniert. Seit drei Generationen. Es bleibt alles beim Alten.
Dabei hatte der heutige Firmenchef einst ganz andere Pläne. Nach einer Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in München – so wollte es seine Mutter – begann er zu fotografieren. Er ging auf Konzerte, durfte hinter die Bühnen, fotografierte in Huxleys Neuer Welt am Hermannplatz die Dire Straits und Blondie. Da war er Mitte 20.
Als seine Eltern ihn baten, einmal kurz im Laden auszuhelfen, weil eine Kollegin krank geworden war, ahnte Dietmar Rogacki nicht, dass der Aushilfsjob sein Leben verändern würde. Er blieb in dem Geschäft, durch das ihn schon seine Eltern im Kinderwagen geschoben haben und in dem er später oft gespielt hatte. „Aus den Konserven mit Ölsardinen haben wir Türme gebaut“, sagt Dietmar Rogacki. Es gab noch keine Kita, die bis abends geöffnet hatte.“
Als sein Vater 1972 gestorben war, kümmerte sich die Mutter um die Geschäfte, dann übernahm Dietmar Rogacki den Laden. Die Fotografie bleibt sein Hobby bis heute.
Ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist
Zweiter Weltkrieg, Mauerbau und Wiedervereinigung – die Familie hat alles überlebt. Sie bleibt bis heute vor steigenden Gewerbemieten verschont. Dietmar Rogackis Großvater hat die Räucherei nach dem Mauerbau gekauft und ausgebaut. „Als Mieter würden wir den Laden in dieser Größe längst nicht mehr bezahlen können“, sagt Dietmar Rogacki.
Nachbarn, Angestellte, Künstler und Rentner kommen. Sie stehen beieinander an den Tischen, viele kennen sich, manche trinken Wein. „Es ist schön, einen Ort zu haben, den man schon so lange kennt“, erzählt ein Mann, vor sich ein Glas Weißwein. „Ein Ort, der sich nicht verändert, wie so vieles um uns herum“, spricht er in leisem Ton.
Es scheint, als eigne sich Rogacki gut zum Philosophieren und Betrachten der modernen Welt. Aus sicherer Distanz. An einem Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist.