Felicitas Schirow in der Urania: Wider die Bevormundung
Als Felicitas Schirow, besser bekannt als Bordellchefin Felicitas Weigmann, zum Mikrofon schreitet, trägt sie ein bodenlanges rotes Abendkleid mit Glitzerträgern. Sie stößt einen kräftigen Jodler aus. Jetzt sind alle wach. Außerdem ist nun klar, dass dieser Abend lustbetonter daherkommen wird, als jene Veranstaltung vor vier Wochen, als Deutschlands Oberfeministin Alice Schwarzer an der gleichen Stelle ihr Buch „Prostitution. Ein deutscher Skandal“ vorstellte. Felicitas Schirow singt erstmal ein Lied: „Weißt Du, wie viel Bordelle stehen“ nach der Melodie einer Volksweise. Schirow nennt es ein Aufstandslied.
Am Montagabend hat die 56-Jährige in die Urania zu einer Art Gegenveranstaltung zu Alice Schwarzer geladen. Auf dem Podium hat sie Menschen versammelt, die mit Prostituierten arbeiten oder mit der Gesetzeslage rund um dieses Thema befasst sind. „Die haben uns sehr spannende Dinge zu berichten“, sagt sie. Der Verwaltungsrichter Percy MacLean ist gekommen. Er war der Vorsitzende Richter in jenem Prozess im Jahr 2000, den Schirow gegen das Bezirksamt Wilmersdorf gewann. Die Behörde hatte ihr wegen Förderung der Prostitution die Gaststättenerlaubnis entzogen, weil in ihrem Café Pssst der Unsittlichkeit Vorschub geleistet würde. MacLean urteilte, dass Prostitution nicht mehr sittenwidrig sei.
Dieser Auffassung ist er heute immer noch. Und mehr noch. Er hält es für absurden Unsinn, Prostitution mit dem Strafrecht bekämpfen zu wollen. „Strafen führen nur dazu, Frauen in die Fänge von Zuhältern zu treiben“, sagt MacLean auf dem Podium. Dafür bekommt er Beifall. Mehr, als man nach seinen trockenen Ausführungen und der Forderung, Bordelle nach dem Gewerberecht zu überwachen, wie jeden anderen Betrieb auch, erwarten würde.
Aber an diesem Abend wird eben auch ein Kampf gegen Diskriminierung und eine Rolle rückwärts in der Politik geführt. Nachdem in Schweden Freier strafrechtlich belangt werden können, hat gerade auch Frankreich Ähnliches beschlossen. Und in Deutschland haben CDU und SPD im Koalitionsvertrag eine Reform des liberalen Prostitutionsgesetzes von 2002 vereinbart. Künftig sollen Freier bestraft werden können, wenn sie wissentlich Zwangsprostituierte besuchen. Man kann diesen Abend auch als Botschaft an die Politik deuten.
Die Kriminologin Monika Frommel hält die Freierbestrafung jedenfalls für verfassungswidrig. Sie hält es wie MacLean für einen Fehler, mit Polizeigesetzen gegen Prostitution vorgehen zu wollen und plädiert stattdessen für eine Konzessionierung der Betriebe. Außerdem hat sie nicht viel für Alice Schwarzer übrig. Eine demagogische reaktionäre Kampagne nennt sie deren Buch. „Diskriminierung auf der Woge des bevormundenden Feminismus. Pfui Teufel“, sagt sie.
Überhaupt sind viele der Anwesenden der Ansicht, dass die meisten Politiker beim Thema Prostitution gar nicht wüssten, wovon sie reden. Ein paar Zahlen hat immerhin Heike Rudat, die Leiterin des Dezernats organisierte Kriminalität der Berliner Polizei, mitgebracht. Im vergangenen Jahr habe es in Berlin 64 Fälle von Menschenhandel gegeben, die aktenkundig wurden, im Jahr 2009 waren es noch 131.
„Sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel ist die eklatanteste Einschränkung des Menschenrechts, die ich kenne“, sagt sie, aber dann betont sie umgehend, dass Prostitution nicht mit Menschenhandel gleichzusetzen sei. Opfer würden allerdings immer jünger. „Gewalt auf dem Straßenstrich kann man nicht wegleugnen“, sagt Rudat. Das „halbgare“ Prostitutionsgesetz müsse fortgeschrieben werden. Auch sie ist für eine Konzessionierung der Bordelle.
Im Publikum sitzen an diesem Abend Huren wie Freier und andere Interessierte. Der große Saal ist höchstens halbvoll, aber der Ton wird schnell schärfer, als sich einige zu Wort melden. Eine Frau hat in Freierforen im Internet nur „menschenverachtende Scheiße“ gelesen. Ein Mann im Rollstuhl widerspricht. Er kenne auch respektvolle Beiträge.
Außerdem möchte er wissen, ob ihm der Staat künftig den finanziellen Ausfall erstatten wird, wenn er Frauen, die den Eindruck von Zwangsprostituierten machen, unverrichteter Dinge ziehen lässt. Seine Idee führt zu Gelächter. Weniger Freude löst eine Künstlerin aus, die sagt, sie habe Prostituierte und Freier befragt. 90 Prozent der Frauen seien Rumäninnen und Bulgarinnen, die unter starkem Druck eines Zuhälters stünden. Als sie dann noch Verständnis für Alice Schwarzer äußert, erheben sich die Ersten empört von ihren Plätzen. Aber dann erobert Felicitas Schirow das Mikro zurück und kündigt als Nächstes eine brasilianische Tanzband und eine Verlosung an. Danach erzählt sie Einzelheiten aus ihrer Karriere.