Felor Badenberg in der ARD: Auftritt der Berliner Justizsenatorin wirft Fragen auf
Es sollte um die Letzte Generation gehen, um die Einstufung zur kriminellen Vereinigung. Dabei irritierte die Justizsenatorin mit ihren Aussagen. Was war da los?

Eigentlich gilt im Journalismus eine ungeschriebene Regel: Jedem neuen Senator, jeder Ministerin, jedem Kanzler und jeder Regierenden Bürgermeisterin wird eine Zeit von 100 Tagen zugestanden, um sich in das Amt einzuarbeiten. Erst nach Ablauf dieser Zeit wird eine kritische Bewertung des Regierungshandelns vorgenommen. Schonfrist nennt man das. Eine journalistische Faustregel.
Wer allerdings am vergangenen Mittwochabend das Interview der jüngst vereidigten Justizsenatorin von Berlin, Felor Badenberg (parteilos), in den ARD Tagesthemen sah, der war geneigt, diese Schonfrist zu unterbrechen. Zu fahrig wirkte Badenberg, zu verworren war sie in ihren Antworten, sie wirkte überfordert. Es stellten sich Fragen.
Ist die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung?
Am selben Tag hatte die Polizei in sieben Bundesländern Wohnungen von Mitgliedern der Letzten Generation durchsucht. Es waren Konten und Dokumente beschlagnahmt worden, auch in Berlin. In dem Interview nun, geführt von Moderatorin Aline Abboud, ging es um die Verhältnismäßigkeit dieser polizeilichen Maßnahmen und um die Frage, ob es sich bei der Letzten Generation um eine Kriminelle Vereinigung handele. Selbiges hatte die bei den Razzien federführende Münchener Generalstaatsanwaltschaft am Morgen zunächst behauptet, um sich kurz darauf zu korrigieren und von einem „Anfangsverdacht“ zu sprechen.
Was war das denn?? Da hilft auch kein Medientraining mehr. pic.twitter.com/B60BXndG9e
— Emily Laquer (@EmilyLaquer) May 24, 2023
Senatorin Badenberg hatte genau zu dieser Frage erst wenige Tage zuvor eine juristische Prüfung in Auftrag gegeben. Das Leben und der Alltag der Menschen in Berlin seien durch die Aktionen der Klima-Demonstranten erheblich beeinträchtigt und mitunter auch gefährdet, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Daher gilt es, alle gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, und dazu gehört eben auch die Frage, ob es sich bei der Letzten Generation um eine ‚kriminelle Vereinigung‘ handelt.“
Verwunderung über Aussagen
Im Tagesthemen-Interview nun aber sagte Badenberg, es komme immer auf den konkreten Einzelfall an und etwa die Frage, welche Gruppe konkret gemeint sei. „Insofern kann man nicht behaupten, dass die Letzte Generation in ihrer Gesamtheit eine Kriminelle Vereinigung ist“, sagte sie.
Die Aussage dürfte für Verwunderung sorgen. Wie kommt Badenberg zu dieser juristischen Annahme, so kurze Zeit, nachdem sie die Prüfung der Frage überhaupt erst in Auftrag gegeben hat? Und wie ist es zu erklären, dass sie sich im nächsten Satz gleich selbst wieder widersprach und sagte, unabhängig davon sei es eine Frage, „die allein die Gerichte zu entscheiden haben.“
Viele irritierende Antworten
Tatsächlich trifft letzteres in jedem Fall zu: Es sind Gerichte, die darüber entscheiden, ob und welche Straftat vorliegt. Staatsanwaltschaften entscheiden lediglich darüber, ob ein Anfangsverdacht für die Begehung dieser Straftat gegeben ist und insofern Ermittlungen erforderlich sind. In Berlin hat die Justizsenatorin zudem die Befugnis, der Staatsanwaltschaft, Weisungen zu erteilen. Doch warum lässt Badenberg etwas prüfen, von dem sie selbst sagt, es könne nur im Einzelfall bewertet und allein von Gerichten entschieden werden?
Auch weitere Antworten der Justizsenatorin, die selbst promovierte Volljuristin ist, irritierten. Als Aline Abboud sie etwa fragte, was Badenbergs Ziel sei, ob die Gruppe der Letzten Generation aufgelöst werden solle, ob die Aktivisten „eingesperrt“ werden oder ob sie eher in den Untergrund gehen sollten, antwortete Badenberg, dies liege nicht in ihrem Verantwortungsbereich. „Mein Ziel ist es, meinen Beitrag als Justizsenatorin zu leisten, um für Recht und Ordnung hier im Land Berlin zu sorgen.“ Und weiter: „Ob die Letzte Generation in den Untergrund zu gehen hat oder Sonstiges, das ist eine Entscheidung, die die Letzte Generation für sich treffen muss.“ Es klang fast nach einer Aufforderung.
Erst wenige Wochen im Amt
Ist das tatsächlich alles, was eine Justizsenatorin zu sagen hat, wenn es um die vermeintliche Radikalisierung einer Gruppe geht? Wäre es nicht Aufgabe der Justiz, zu verhindern, dass politische Gruppen „in den Untergrund“ gehen? Oder wäre hier nicht zumindest ein dringender Appell an die Aktivisten geboten gewesen, dies nicht zu tun? Badenbergs Antwort klang stattdessen eher nach: Ist mir egal, ist nicht mein Verantwortungsbereich.
Überhaupt betonte Badenberg diesen Punkt immer wieder: Sie sei im konkreten Fall, bei den Razzien durch die Staatsanwaltschaft München, nicht zuständig, sie kenne den Fall nicht in Gänze. Während des gesamten Interviews schaute sie zudem mehrfach offenbar in mitgebrachte Unterlagen, stotterte und blickte mal hierin und mal dahin - selten in die Kamera.
Natürlich muss man Felor Badenberg zugute halten, dass sie erst seit wenigen Wochen im Amt ist und dass dies wohl ihr erstes wirklich großes TV-Interview war. Das Format kann durchaus ungewohnt sein. Wird jemand zu den Tagesthemen, der Tagesschau oder dem heute journal zugeschaltet, dann blickt diese Person allein in eine Kamera und hört die Fragen nur über einen Kopfhörer. Die Person kann nicht abschätzen, wie ihr Gegenüber schaut und reagiert und ob sie überhaupt zu verstehen ist. Als würde man in einen dunklen Raum hineinsprechen, ohne zu sehen, dass dort Millionen von Zuschauern sitzen. Einen Tag zuvor hatte Badenberg in der RBB Abendschau durchaus souverän gewirkt.
Der Schaden dürfte nun größer sein als der Nutzen
Doch auch hier ergibt sich noch eine Frage: Wenn Badenberg eigentlich für den konkreten Fall gar nicht zuständig war und wenn sie möglichweise noch keine Gelegenheit hatte, sich auf das ungewohnte Format eines TV-Formats vorzubereiten: Warum sagte sie dann eigentlich zu?
Der Schaden dürfte nun größer sein als der Nutzen. Badenberg hat als Repräsentantin Berlins eine Vorstellung abgegeben, die weder der Stadt noch ihrer persönlichen Kompetenz angemessen war. Und das vor einem Millionenpublikum. Dies muss sich eine Justizsenatorin vorwerfen lassen, auch wenn sie erst seit kurzem im Amt ist. Sie verdient keine Häme, vor Kritik ist sie deswegen aber nicht geschützt. Da hilft auch eine journalistische Faustregel nicht.
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