Fête de la Musique: Ein Tag, 330 Konzerte - so ging das Festival in Berlin los
Seit dem frühen Nachmittag wird in Berlin getanzt. Immer mehr Bühnen öffnen, DJs legen auf, die U-Bahnen sind voller Partypublikum. Wir sind natürlich dabei.

Die sechsköpfige Band Alien Grace singt am Neptunbrunnen ihren Indie-Hit „Faith in the Race“. Es ist früher Nachmittag am Dienstag, die Sonne brennt und die Menschen sind es sichtlich nicht gewöhnt, um diese Zeit Livemusik zu hören. Doch mit der Zeit bleiben immer mehr Zuschauer stehen, wippen mit, ja klatschen sogar. Dann ruft sie der Leadsänger dazu auf, zu tanzen. Und plötzlich beginnt es: Am Alexanderplatz wird mitten am Tag zu Gitarrenmusik getanzt. Nach dem dritten Lied wird die Stimmung besser, vielleicht weil Alien Grace plötzlich Dänisch singt. Das klingt so freundlich.
Es ist der 21. Juni, der längste Tag des Jahres oder die kürzeste Nacht, je nach Blickrichtung. Die Sommersonnenwende wird an 1300 Orten dieser Welt mit einem französischen Musikfest gefeiert: Fête de la Musique heißt es. Auf Indoor- und Outdoor-Bühnen in der ganzen Stadt treten Hunderte Bands aus der ganzen Welt auf. Zwei Jahre lang mussten die Berliner auf ihre Fête de la Musique verzichten. Zwar gab es Online-Auftritte, aber dieses Fest muss auf der Straße gefeiert werden.
Und dort ist es im Jahr der Rückkehr der Fête vor allem: typisch Berlin. Das heißt, alles ist sehr international. Die Band Alien Grace besteht aus Bulgaren, Litauern, Maltesern und Schweden. Nour Mahfouz aus Berlin ist unterwegs mit ihren drei Freundinnen aus Mexiko, München und Polen. Die 21-Jährige steht im Club Birgit und Bier in der prallen Sonne, nicht weit vom Badeschiff. Nour wippt mit ihrem Körper im Takt. „Später geht es weiter zum Club der Visionäre“, sagt sie, „ins Yaam und ins Ritter Butzke.“ Das schlagende Argument für dieses Line-up: „Der Eintritt ist für alle Veranstaltungen kostenlos.“
Das ist in der Tat eine der großen Traditionen des Musikfestivals. Die Zugänge sind maximal offen für jeden, der zuhören möchte. 330 Konzerte in der ganzen Stadt, und einige der Clubs schließen erst um 8.00 Uhr morgens. Der Sommer macht den Dienstag zum Sonnabend. Im Ritter Butzke und in anderen Clubs nimmt das Team noch nicht einmal abends einen Eintritt. Doch auch am Brandenburger Tor, am Dussmann-Kaufhaus, am Bundesplatz, auf dem Tempelhofer Feld und im Park Gleisdreieck – überall spielen Bands, singen Künstler oder legen DJs auf.

Straßenmusiker sammelt digitale Follower
Am Nachmittag sind die U-Bahnen schon so voll wie sonst nur am Wochenende. Touristen und Einheimische haben sich offenbar viel vorgenommen. An der Station Eberswalder Straße spielt ein Straßenmusiker elektronische Musik. Er trägt eine Polaroid-Sonnenbrille, die aussieht wie eine zweckentfremdete Schirmmütze. Er hat um 16.00 Uhr genau einen Zuschauer, und der sagt wie zu sich selbst: „Der ist so geil, der Typ.“ Er habe nur fünf Follower auf dem Portal SoundCloud, „aber er verdient mehr“. Also klickt er das Soundcloud-Profil des Musikers an und wird zum Fan.
Vor sich hat der Künstler eine Tafel aufgestellt. Darauf steht sein Instagram-Profil: „JP.MUSIK“. Er sammelt also in der realen Welt Menschen ein, die ihm digital folgen. Derzeit hat sein Profil genau 367, nein, 368 Follower. Sein aktueller Auftritt unter der U-Bahn ist auch schon auf seinem Profil zu sehen. Aber bei diesem Festival geht es ja nicht darum, auf Instagram Musik anzuhören, sondern auf der Straße. Also auf zum Mauerpark.
Um 16.30 Uhr ist am Amphitheater im Mauerpark noch nicht viel los. Jules Taverne spielt den Song „Roboter“ an. Die Anlage ist dürftig, aber die Leute stört das nicht. Sie jubeln, und ein Kind tanzt. Der Abend wird noch lang.