Finanzsenator Daniel Wesener antwortet Maurice Höfgen: Stück für Stück nach oben
Er spare Berlin zu Tode, wurde dem Berliner Finanzsenator in einer Kolumne vorgeworfen. Hier antwortet er – und erklärt, warum die Stadt längst besser dasteht, als häufig behauptet wird.

In der Finanzpolitik gilt wie im politischen Meinungsstreit: Absolute Wahrheiten sind mit Vorsicht zu genießen. So dominierte in der deutschen Haushaltspolitik lange Zeit das Konzept – manche würden sagen: die Ideologie – der „schwarzen Null“. Es herrschte der Glaube vor, dass jede Verschuldung per se des Teufels sei. Dabei besagt die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung, dass eine Kreditaufnahme im Sinne einer nachhaltigen Fiskalpolitik durchaus sinnvoll sein kann, um einer Rezession entgegenzuwirken und zukünftiges Wirtschaftswachstum zu stimulieren. Auch deshalb war es richtig, dass der Bund wie das Land Berlin in der Pandemie Kredite aufgenommen haben, um die Bürger zu entlasten sowie Unternehmen vor Massenentlassungen oder gar einer unverschuldeten Insolvenz zu bewahren.
Es gibt aber auch das andere Extrem, den undifferenzierten Glauben an Schuldenaufnahme als finanzpolitisches Allheilmittel, wie er unlängst in einer Gastkolumne der Berliner Zeitung vertreten wurde („Fast wie Griechenland“ von Maurice Höfgen, Berliner Zeitung vom 21./22. Januar, Anm. d. Red.). Für den Autor ist die Nachricht, dass Berlin das vergangene Jahr mit einem ausgeglichenen Haushalt und ohne zusätzliche Schulden abschließen konnte, eine „ökonomische Katastrophe“. Dadurch werde die ohnehin arme, dysfunktionale Stadt als „failed state“ mitten in der Krise „zu Tode gespart“.
Es kann keine Rede davon sein, dass Berlin zu wenig Schulden hätte
Bemerkenswert an diesem Beitrag ist vor allem die weitgehende Unkenntnis der Rahmendaten des Landeshaushalts. So konnte das Land im vorigen Jahr den Haushalt nur durch die Entnahme von 1,9 Milliarden Euro aus der Pandemierücklage ausgleichen, die aus Notfallkrediten gespeist wurde. Wegen dieser zusätzlichen Krisenschulden wies Berlin 2021 die dritthöchste Neuverschuldung pro Kopf unter allen Bundesländern auf. Der Schuldenstand ist damit auf einen historischen Rekordwert von fast 66 Milliarden Euro gestiegen. Es kann also keine Rede davon sein, dass Berlin zu wenig Schulden hätte!
Der Kolumnist der Berliner Zeitung übersieht aber noch einen weiteren wichtigen Umstand: Im Schatten der Energiekrise und Inflationsentwicklung wurde die lange Niedrigzinsphase durch eine abrupte Zinswende abgelöst. Schuldenaufnahme ist für die öffentliche Hand, genauso wie für private Haushalte und Unternehmen, neuerdings wieder richtig teuer. Voriges Jahr musste Berlin für die Bedienung seiner Kredite knapp eine Milliarde Euro aufwenden. 2024 werden es voraussichtlich 1,6 Milliarden sein. Neuverschuldung um jeden Preis kann deshalb nicht die Maxime einer verantwortungsvollen Finanzpolitik sein.
Berlin wird immer wohlhabender
Auch bei den Ausführungen über Berlins wirtschaftliche Entwicklung, Finanzkraft und Investitionstätigkeit vermittelt die Gastkolumne den Eindruck, dass ihr Autor die vergangenen Jahre verschlafen hat. So liegt das konjunkturelle Wachstum der Berliner Wirtschaft 2022 nicht nur über dem Bundesdurchschnitt, sondern wie schon in den vergangenen Jahren in der Spitzengruppe der Bundesländer. Manches südwestdeutsche Bundesland würde sich über dergleichen Wachstumszahlen freuen. Diese Dynamik spiegelt sich auch in den Berliner Steuereinnahmen wider: Die deutlichen Mehreinnahmen im vorigen Jahr sind eben nicht alleine auf die Inflation zurückzuführen, sondern sie bilden das reale Wachstum ab.
Die Steuerkraft erreichte 2022 fast 110 Prozent des Durchschnitts aller Bundesländer – das ist Platz 5 von 16. Noch Ende der Nullerjahre lag Berlin abgeschlagen bei 78 Prozent. Dementsprechend verringerte sich auch Berlins Anteil als sogenanntes Nehmerland am Finanzkraftausgleich auf 19 Prozent (von 24 Prozent im Jahr 2020). Es mag zum guten Ton unter CSU-Politikern und manchen Hauptstadt-Kommentatoren gehören, der Stadt ökonomisch wie finanziell jegliche Perspektive abzusprechen. Die Fakten zeichnen ein anderes Bild: Berlin arbeitet sich Stück für Stück nach oben.
Doch bevor der Eindruck entsteht, hier würden Probleme kleingeredet: Natürlich ist Berlin im Vergleich mit vielen westlichen Metropolen und den meisten europäischen Hauptstädten immer noch eine arme Stadt. Die Gründe dafür sind hinlänglich bekannt: Neben den historischen Lasten von Krieg, Teilung und Wiedervereinigung trägt die Stadt bis heute schwer an den Spätfolgen des CDU-Bankenskandals und des rot-roten Mantras vom „Sparen, bis es quietscht“. Berlin muss gleichzeitig den in dieser Zeit entstandenen Sanierungsstau abbauen und in großem Umfang in die Zukunft investieren. Die Verkehrs- und Wärmewende, der Neubau bezahlbarer Wohnungen oder die Schaffung zusätzlicher Schulplätze infolge des Bevölkerungswachstums sind definitiv nicht zum Nulltarif zu haben.
Berlin spart nicht an der falschen Stelle
Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass Berlin 2022 mit Investitionsausgaben in Höhe von 3,4 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert verzeichnen konnte. Zur Erinnerung: 2014 waren es gerade mal 1,4 Milliarden. Hinzu kommen jene 3,6 Milliarden Euro, die von den landeseigenen Unternehmen in die Stadt investiert wurden. Es bleibt der Wermutstropfen, dass weitere 400 Millionen Euro für geplante Investitionen liegengeblieben und von den zuständigen Verwaltungen nicht ausgegeben worden sind. Damit läuft allerdings auch der Vorwurf ins Leere, Berlin würde bei den investiven Ausgaben und somit an der falschen Stelle sparen.
Und auch die häufige Behauptung, dies liege nur am fehlenden Personal, ist unbelegt. Für viele öffentliche Aufgaben hat Berlin zwischenzeitlich mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als andere Großstädte. Es liegt an uns, die Arbeit mindestens so effizient zu organisieren wie anderswo.
In der Krise spart man nicht
Keine Frage, Berlin steht vor großen Herausforderungen, nicht zuletzt finanzpolitisch. Wir müssen Mittel für die ökosoziale Modernisierung mobilisieren und ihre Umsetzung beschleunigen. Aber das kann und wird nur gelingen, wenn die haushaltspolitische Handlungsfähigkeit des Landes gewährleistet bleibt. Wohin eine strukturelle Unterfinanzierung und Überschuldung der öffentlichen Hand führen, zeigt die Berliner Vergangenheit. Die damaligen Einsparungen gingen an die Substanz, von drastischen Kürzungen staatlicher Ausgaben und in der Verwaltung bis zur Veräußerung landeseigener Grundstücke und öffentlicher Unternehmen.
An den Folgen laboriert die Stadt noch heute, eine Wiederholung kann niemand wollen. Zumal eine Konsolidierung aus schierer Not in der Regel diejenigen am härtesten trifft, die eh schon finanziell benachteiligt sind. Natürlich bleibt der Satz richtig: „In der Krise spart man nicht.“ Aber echte Krisenfestigkeit und Resilienz gibt es nur mit gesunden Landesfinanzen. Ein ausgeglichener Haushalt ist kein Selbstzweck – Schulden machen aber auch nicht.
Der Autor ist Politiker von Bündnis 90/Die Grünen und Senator für Finanzen des Landes Berlin.
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