Fit, chic und verwirrt
Das erste Wiedersehen nach dem Lockdown: Gut sehen sie aus, all die anderen. Fit und chic. Erfreut, aber auch verwirrt und überfordert. Unsere Kolumnistin berichtet vom ersten Besuch einer ersten Vernissage.
Berlin-Tag für Tag lockert der Senat die Maßnahmen. Ich war sogar schon in einem Restaurant, ich bin also schon in Übung. Und nun das: Eine Vernissage! Es ist die erste Zusammenkunft, oder auch: „Die Rückkehr der Kunst aus dem Lockdown.“ Ich muss es wissen, denn ich habe auf Bitte des Künstlers, den Einladungstext für den Abend geschrieben.

„Wo bleibst du?“, werde ich per SMS gefragt, als ich noch vor dem Spiegel stehe. Aber ich lasse mich nicht hetzen. Ich möchte bei diesem ersten Wiedersehen nach all den Wochen gut aussehen. Als ich endlich am Ort des Geschehens ankomme, merke ich, dass die Sorgfalt richtig war. Gut sehen sie aus, all die anderen. Fit und chic. Erfreut, aber auch verwirrt und überfordert, taumelt man umeinander herum.
Umarmen oder nicht? Küsschen geben, oder lieber nicht? Mein Gedächtnis lässt mich komplett im Stich. Woher kenne ich den und wie hieß die Freundin vom Dings? Alles ist kompliziert. Wie dicht rücken wir die vielen Stühle um die zu kleinen Tische? Wie fasst man die vergangenen Wochen Small-Talk-kompatibel in einem Satz zusammen? Meine drei Verabredungen kennen einander nicht und warten alle an unterschiedlichen Stellen auf mich und haben ihrerseits auch wieder Freunde mitgebracht und mir schwirrt schnell der Kopf.
Außer: „Hallo, schön dich zu sehen, wie geht’s?“, bringe ich keinen zusammenhängenden Satz zustande. Während ich etwas planlos von Grüppchen zu Grüppchen gleite und immer wieder neue, altbekannte Gesichter auftauchen, merke ich, dass ich trotz aller Konfusion, tiefinnerlich ruhig und entspannt bin. Dieses Gefühl habe ich wohl aus der Corona-Zeit mitgenommen: Es geht allen so wie mir.
Hinter dem extralauten Lachen der Frauen und der Verhaltenheit der Männer, verbergen sich Freude und Verwirrung über das Wiedersehen nach dem langen Einschluss. Die Grüppchen, die sich an diesem lauen Abend im Freien bilden, sind keine, sondern ständig auseinanderfallende konfuse Kombinationen. Wie frisch geschlüpfte Küken gackern und hasten wir alle umeinander herum.
Aber trotzdem. Ich bin erschöpft. Eine Kulturtechnik beherrsche ich nach wie vor sehr gut: den polnischen Abgang. Alles andere werde ich wohl auch schnell wieder lernen. Da bin ich optimistisch. Die nächste Party kommt bestimmt.