Fledermaus-Tod an Windrädern: Forscher warnen vor noch schlimmeren Folgen
Eine Berliner Studie untersucht, wie sich der Tod von Fledermäusen auf die Nahrungskette und die biologische Vielfalt auswirkt. Sie fordert bessere Regulierung.

Der Tod von Fledermäusen an Windrädern hat Konsequenzen für die Nahrungsketten und die biologische Vielfalt im ländlichen Raum. Er könnte auch negative Folgen für die Land- und Forstwirtschaft haben. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin. „Die Untersuchung demonstriert, in welchem Ausmaß bisher die herausragende funktionelle Bedeutung der Fledermäuse für unsere Lebensräume unterschätzt wurde“, erklärt das IZW in einer Mitteilung zu der Studie, die in der Fachzeitschrift Conservation Science and Practice erschienen ist.
Bereits seit Jahren befassen sich die Forscher des IZW mit dem Tod von Fledermäusen an sogenannten Windenergieanlagen (WEA). Laut Schätzungen von 2015 verunglücken jährlich in Deutschland bis zu 250.000 Tiere an Windrädern, die ohne besondere Schutzvorkehrungen betrieben werden. Besonders bedroht seien Zwergfledermäuse, Zweifarbfledermäuse, Mückenfledermäuse, Rauhautfledermäuse sowie der Große und Kleine Abendsegler, sagen Naturschützer. An jeder Anlage kommen laut Zählungen jährlich mehr als zehn Fledermäuse zu Tode.
Eine Studie des IZW von 2021 ergab, dass in bestimmten Regionen, wo sich Rauhautfledermäuse fortpflanzen, vor allem junge Fledermäuse sterben. Die Tiere verunglückten entweder durch direkte Kollision mit den rotierenden Flügeln oder durch ein sogenanntes Barotrauma in den Luftverwirbelungen an den Rotorblättern, erklärten die Forscher um Christian Voigt, Leiter der Leibniz-IZW-Abteilung für Evolutionäre Ökologie und Erstautor der Studie. Hinzu kommt, dass vor allem Weibchen von neuen Windrädern angezogen werden – möglicherweise bei der Suche nach neuen Quartieren.
Schädlingsreduzierung wird beeinträchtigt
Bisher habe man über weitergehende Folgen des Todes von Fledermäusen nur Vermutungen anstellen können, schreibt das IZW. In der jetzt erschienenen neuen Studie haben Carolin Scholz und Christian Voigt von der IZW-Abteilung für Evolutionäre Ökologie untersucht, welche Insekten Große Abendsegler verzehrt hatten, kurz bevor sie an den Windkraftanlagen zu Tode kamen. Sie analysierten den Mageninhalt von 17 Tieren. „Mithilfe ausgefeilter genetischer Methoden, inklusive der Hochdurchsatzsequenzierung, suchten sie nach den genetischen Barcodes der verzehrten Insekten“, schreibt das IZW. Diese genetischen Barcodes geben über die Identität der Arten Aufschluss.
„Wir fanden DNA-Barcodes von 46 Insektenarten aus neun Ordnungen, die meisten davon Käfer und Nachtfalter“, sagt Carolin Scholz. „Die Insektenarten ließen sich einer Vielzahl unterschiedlicher Lebensräume, von Ackerflächen über Grünland bis zu Wäldern und Feuchtgebieten, zuordnen.“ Zwanzig Prozent der identifizierten Insektenarten werden in der Land- und Forstwirtschaft als Schädlinge oder Lästlinge angesehen, etwa der Esskastanienbohrer (Curculio elephas) oder der Eichenwickler (Cydia splendana).
Das IZW-Forschungsteam schließt daraus, dass der Verlust von Fledermäusen bestehende Nahrungsketten unterbreche und es somit zu einer höheren Anzahl von Schädlingen und Lästlingen kommen könnte, was möglicherweise durch eine chemische Schädlingsbekämpfung kompensiert werde. Fledermäuse spielen als Jäger eine wichtige Rolle bei der natürlichen Regulierung von Insektenbeständen. Die kostenlose „Service-Leistung“ der Schädlingsreduzierung durch Fledermäuse werde durch die Windräder beeinträchtigt und sei somit für die Land- und Forstwirtschaft ein relevantes Thema.
„Auf welche Weise sich die Energiewende auf die biologische Vielfalt in den betroffenen Lebensräumen auswirkt, müssen wir noch erheblich genauer verstehen“, sagt Christian Voigt. Für ihn steht es „außer Frage“, dass die Windkraftanlagen zum Schutz des globalen Klimas und damit auch zum Erhalt der Biodiversität beitragen. Die Artenvielfalt ist durch einschneidende Entwicklungen bedroht. Neben dem Klimawandel gehört dazu auch die Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft. Den Ausbau der Windkraft sehen die Forscher um Voigt als neue Welle der Intensivierung. Ihnen geht es darum, beides in Einklang zu bringen: die Windkraft und den Schutz der Fledermäuse.
Abschalt-Algorithmus für Windräder
Fledermäuse fliegen meist in der Nacht, bei Schwachwind und Temperaturen von über zehn Grad Celsius, sagen Naturschützer. Mit einer Anpassung der Betriebszeiten der Windräder lasse sich das Kollisionsrisiko deutlich reduzieren. So werden laut IZW Anlagen „mittlerweile in Zeiten hoher Fledermausaktivität zeitweise abgeschaltet, um die Fledermäuse davor zu bewahren, mit den Rotorblättern zu kollidieren“. Dies könne die Schlagopferzahl auf ein bis zwei Individuen pro Jahr und Anlage reduzieren.
Unter anderem gibt es die technische Möglichkeit der Installierung eines automatischen Abschalt-Algorithmus für Windräder. Dazu wird die Fledermaus-Aktivität an einzelnen Windrädern zwei Jahre lang mit einem Ultraschall-Detektor aufgezeichnet. Eine Auflage, die zum Beispiel Naturschutzbehörden in Bayern beim Bau von Windkraftanlagen machen. Tragischerweise werden allerdings alte Windenergieanlagen nach wie vor ohne Abschaltregeln betrieben, heißt es beim IZW. Das betreffe immerhin 75 Prozent aller Anlagen in Deutschland.