Flüchtlinge an Berliner Schulen: Deutsch lernen in der Willkommensklasse

Kinder aus vielen Ländern der Welt sitzen am Georg-Herwegh-Gymnasium im beschaulichen Berlin-Hermsdorf in einem lichten Klassenraum und lernen Deutsch. Der zwölfjährige Becht aus dem syrischen Aleppo ist der beste Zeichner der Klasse und darf einige Worte zur Erläuterung an die Tafel malen. Es geht um Tiernamen, da malt er einen Fuchs und einen Löwen.

Auch auf diese Weise lernen die Schüler hier Deutsch. Fragt man Becht, den schlaksigen Jungen mit dem blassen Gesicht, was er im Bürgerkriegsland Syrien in der umkämpften Millionenstadt Aleppo erlebt hat, erstirbt sofort das Lächeln in seinem Gesicht. „Darüber spricht er nicht“, sagt Lehrer Rainer Kostner.

Am Herwegh-Gymnasium hat das Schulamt seit diesem Schuljahr zwei sogenannte Willkommensklassen eingerichtet. Dort werden Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren betreut, die so wenig Deutsch können, dass sie nicht am normalen Unterricht teilnehmen können. Am Herwegh-Gymnasium sind jeweils 15 Kinder in einer Willkommensklasse. Es steht nur das Fach Deutsch im Stundenplan.

Erstaunen über die Lehrmethoden

Ziel ist es, dass diese Schüler nach einem gewissen Zeitraum in eine Regelklasse wechseln und gar einen Schulabschluss schaffen. Nur wie? Das ist selbst den Lehrern nicht immer klar. Es gibt noch keine speziellen Lehrpläne dafür. „Wir sind hier weitgehend auf uns selbst gestellt und müssen bestimmte Methoden einfach ausprobieren“, sagt Deutschlehrer Kostner, einer von vier Pädagogen, die am Herwegh-Gymnasium mit diesen besonderen Kindern arbeiten.

Seit die Willkommensklassen in Berlin im Schuljahr 2011/2012 eingeführt wurden, wächst ihre Zahl stetig. Das liegt an den steigenden Asylbewerberzahlen und der Armutseinwanderung aus Osteuropa, aber auch generell am Zuzug aus dem Ausland. Neben syrischen, afghanischen oder kongolesischen Schülern gibt es auch welche aus Lettland, Polen oder aus Thailand.

Für die Lehrer ist es eine riesige Herausforderung, diese Kinder mit ihrem völlig unterschiedlichem Vorwissen in einer Klasse zu unterrichten. Doch immer mehr Lehrer, derzeit sind es 268 volle Stellen, werden dafür bereitgestellt. Waren im März 2012 lediglich 1378 nicht Deutsch sprechende Schüler in Willkommensklassen registriert, sind es im Februar 2014 bereits 2903 Schüler an mehr als 130 öffentlichen Schulen. Tendenz steigend.

Thomas Marquard, eigentlich Latein- und Griechischlehrer, kümmert sich um die andere Willkommensklasse am Herwegh-Gymnasium. Hier können die Schüler schon etwas besser Deutsch, sie üben Perfektformen. „Die Jugendlichen aus dem Ausland sind meist sehr erstaunt, wie wenig autoritär deutsche Lehrer sind“, sagt Marquard. Die 16-jährige Fatima kommt aus der russischen Kaukasusrepublik Dagestan und kann das bestätigen. „In Dagestan haben Lehrer auch geschlagen“, sagt das Mädchen mit Kopftuch. Auch andere Schüler berichten, dass man in ihrem Land stillsitzen musste, die Hände stets auf dem Tisch. Hier in Berlin sei alle viel freier.

Auch Schulnoten gibt es nicht, der Deutsch-Test für Ausländer, wie er an den Goethe-Instituten durchgeführt wird, gilt als Richtwert. Fatima hat schnell sehr gut Deutsch gelernt, so dass sie nun in eine normale Klasse wechselt. Das geschieht in ihrem Alter nicht mehr so häufig, oft reicht es nur für Schnupperkurse in bestimmten Fächern. Grundschulkindern fällt es leichter, den Übergang zu schaffen. Für die älteren Schüler endet nach zehn Jahren die Schulpflicht, längst nicht alle werden einen Abschluss schaffen.

Offizielle Zahlen gibt es noch nicht, immerhin denkt man in der Verwaltung darüber nach, zentrale Prüfungen einzuführen. Einige aus der Klasse werden sich später in den Vorbereitungskursen der Oberstufenzentren wiederfinden. Das Herwegh-Gymnasium jedenfalls bekennt sich zu diesen Schülern, sie präsentierten sich beim Tag der Offenen Tür und werden direkt neben der Schulmensa unterrichtet.

Auch in Willkommensklassen gibt es soziale Abstufungen. Polnische Schüler etwa, die bei ihren Eltern wohnen, haben mehr Geld zur Verfügung als die Asylbewerberkinder. Doch auch unter diesen gibt es Unterschiede. Flüchtlinge aus Afghanistan oder Syrien dürfen oft nach einiger Zeit im Heim eine richtige Wohnung beziehen, so wie die afghanischen Geschwister Noorollaha und Raheleha. Ein Jahr und drei Monate hatten sie gebraucht, um per Lkw und Boot aus Herat bis nach Berlin zu fliehen.

Es droht die Abschiebung

Andere müssen mit einem Zimmer vorlieb nehmen. So wie der 15-jährige Milos, ein Roma aus Serbien. Er wohnt mit mehreren Familienangehörigen in einem 21 Quadratmeter großen Zimmer auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Milos sollte schon abgeschoben werden. Lehrer und Schüler schrieben deshalb Protestbriefe. Derzeit liegt sein Fall bei der Härtefallkommission. „Am liebsten will ich mal Architekt werden“, sagt er. Aber dafür müsste er in Mathe noch besser werden, meint Milos. Mathematikunterricht haben diese Schüler aber kaum, weil sie ja damit beschäftigt sind, Deutsch zu lernen.