Flughafen Tegel: 36 Prozent der Flüge in TXL sind überflüssig
Wie wird sich der Luftverkehr entwickeln? Hat der BER genug Kapazität? Wenn die Berliner am Sonntag über die Zukunft des Flughafens Tegel abstimmen, geht es auch um Fragen wie diese. Doch der Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich hält die Einschätzungen der Tegel-Fans für falsch. Denn aus aktuellen Daten des Bundesverkehrsministeriums lasse sich ableiten, dass 28,8 Prozent der Flüge von und nach Berlin auf die Bahn verlagert werden könnten. Ginge es nur um Tegel, wären es sogar 36 Prozent. „Wenn ein Drittel weniger Flüge ohne nennenswerten Zeitverlust für die Reisenden möglich ist, hat sich auch die Debatte über angebliche Engpässe beim BER erledigt“, sagte Liebich der Berliner Zeitung.
Die Kapazität der Flughäfen – das ist ein großes Thema der Tegel-Debatte, die vor dem Volksentscheid diese Stadt polarisiert. Der innerstädtische Flughafen werde weiterhin gebraucht, weil der Luftverkehr weiter stark zunimmt und der BER zu klein sein wird, bekräftigte die FDP. Doch die Linken-Fraktion bezweifelt beides. Viele Distanzen seien so kurz, dass sie auch per Zug zurückgelegt werden könnten. „Es gibt ein großes Verlagerungspotenzial vom Flugverkehr auf die Schiene“, hieß es. Werde es ausgeschöpft, würde am BER weniger Kapazität benötigt. Tegel wäre dauerhaft überflüssig.
Weniger als vier Stunden zur Isar
Ein Beispiel: Am 10. Dezember nimmt eine neue Hochgeschwindigkeitsstrecke der Bahn den Betrieb auf. Dann sind die Züge zwischen Berlin und München teilweise mit Tempo 300 unterwegs. Die ICE-Sprinter schaffen es in drei Stunden und 55 Minuten an die Isar. In Nürnberg sind sie in zwei Stunden und 50 Minuten – auch in diesem Fall beträgt die Ersparnis mehr als zwei Stunden. „Wir erwarten, dass wir unseren Marktanteil, bisher 15 Prozent, verdoppeln und den Flugverkehr überholen werden,“ so der Bahn-Manager Alexander Kaczmarek.
Berlin–München und Berlin– Nürnberg sind nicht die einzigen Routen, bei denen der Verkehr vom Flugzeug abwandern könnte. Auch woanders ließe sich Verkehr „ohne effektive Zeitverluste auf die Schiene verlagern“, so die Linke. ICE-Sprinter schaffen Berlin–Frankfurt am Main schon jetzt in weniger als vier Stunden. Nach Düsseldorf und Köln dauert die Zugreise momentan noch etwas länger als vier Stunden, aber für diese Strecken sind „Optimierungen“ geplant.
Vier Stunden sind ein wichtiger Schwellenwert. Längere Bahnreisen gelten vielen als beschwerlich. Und so lange sind auch viele Flugreisende innerdeutsch unterwegs – wenn sie ehrlich kalkulieren und die Wartezeiten am Airport, An- und Abreise einrechnen.
Nun hat Norbert Barthle (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Daten zum Verlagerungspotenzial bereitgestellt – als Antwort auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Herbert Behrens und dessen Mitstreiter. Da sich Barthle auf 2016 bezieht, fallen die Zahlen niedrig aus. Nur acht Prozent der Flüge ab Tegel steuerten Ziele an, die in weniger als vier Stunden per Bahn erreichbar sind.
Viel Kohlendioxid eingespart
Doch die Linken kalkulieren anders. Sie berücksichtigen auch bevorstehende Verbesserungen – die Rennstrecke nach Bayern, die „Optimierungen“ auf den Routen ins Rheinland. Ergebnis: Allein in Tegel hatten im vergangenen Jahr rund 64.700 Flüge das Potenzial, auf die Bahn verlagert zu werden. In ganz Berlin waren es zirka 76.900. In Tegel steuerten 52,9 Prozent aller Flüge Ziele an, die weniger als 600 Kilometer entfernt waren – solche Distanzen sind meist ideal für Zugreisen. In ganz Berlin betrug dieser Anteil 41,3 Prozent. „Allein durch Verlagerung der Tegel-Flüge könnte man beim gleichen Maß an Mobilität jährlich ruetwa nd eine halbe Million Tonnen Kohlendioxid einsparen“, hieß es.
Die Prognosen der Tegel-Fans sind übertrieben, so der SPD-Abgeordnete Jörg Stroedter. Frankreich sei ein gutes Beispiel: „Dank des TGV findet innerhalb des Landes kaum noch Flugverkehr statt.“ Noch-Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sollte dem Flughafen Tegel nicht länger das Wort reden, der 300.000 Berlinerinnen und Berliner mit Lärm, Schmutz und Gefahr belaste, sagte Linken-Politiker Liebich. „Stattdessen sollte die Bundesregierung endlich die Verlagerung des Reiseverkehrs von Kurzstreckenflügen auf die Bahn vorantreiben.“