Franziska Giffey: Vom Problembezirk ins Kabinett
Für Franziska Giffey wäre es ein Riesen-Karriereschritt: Erst drei Jahre ist sie Bezirksbürgermeisterin des sogenannten Problembezirks Neukölln. Ein Wechsel ins Bundeskabinett wäre für die SPD-Politikerin aber auch ein Schritt ins Ungewisse, wie manche warnen, die sie aus den Berliner Partei- und Bezirkskreisen kennen.
„Das kann auch ganz schnell wieder nach unten gehen“, sagt ein gut vernetztes Mitglied der Berliner SPD. Die 39-Jährige, geboren in Frankfurt (Oder) und aufgewachsen in Fürstenwalde an der Spree, soll auf Vorschlag der ostdeutschen SPD-Chefs, insbesondere Manuela Schwesigs und Dietmar Woidkes, Bundesministerin im neuen Groko-Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) werden.
Fleißig, bürgernah, kameraaffin
Die Berichte über Giffeys bevorstehende Ernennung zur Familienministerin wurden am Donnerstag zahlreicher. Doch bis zum Abend gab es keine sichere Bestätigung. Giffey selbst schloss nichts aus, teilte aber mit, sich nicht an Spekulationen beteiligen zu wollen. „Das entscheiden am Ende Andrea Nahles und Olaf Scholz – und die lassen sich nicht in die Karten gucken“, sagt ein Berliner Sozialdemokrat über den Prozess.
Gelobt wird Giffey fast überall, sie sei fleißig, hervorragend organisiert, kameraaffin und in der Lage, auch unangenehme Themen schnörkellos anzusprechen. „Ich traue ihr absolut zu, dass sie das schafft“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands.
Ein anderer Genosse merkt zugleich an: „Aber ihr fehlt die Erfahrung auf Landesebene und auch als Leiterin einer wirklich großen Behörde mit mächtigem Apparat.“ Neukölln ist mit seinen rund 330.000 Einwohnern, davon fast die Hälfte mit Einwanderungsgeschichte, zwar nicht klein.
Aber Neukölln ist in der zweistufigen Berliner Verwaltung keine autonome Kommune. Giffeys betont bürgernaher Stil, das tägliche Kiezhopping von Betriebsjubiläum zu Einwohnerversammlung, die Dauerpräsenz als berlinernde Kümmererin vom Dienst, wäre an der Spitze eines Bundesministeriums kein durchhaltbarer Arbeitsschwerpunkt.
Nicht das Ende der Laufbahn
Unter Berliner Sozialdemokraten herrscht daher eine Mischung aus Verwunderung und Stolz darüber, dass Giffey nun durchstarten könnte. Dass das Neuköllner Bürgermeisteramt ohnehin nicht das Ende ihrer Laufbahn würde, war allen klar. Erwartet wurde aber, dass sie zunächst möglicherweise im kommenden Senat eine Rolle spielt, sollte die SPD die Hauptstadt weiter regieren.
Bildungsstadträtin war sie in Neukölln, wo 80 bis 90 Prozent Kinder aus Migrantenfamilienen die Schulen besuchen. Sie galt daher als potenzielle Nachfolgerin etwa von Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD).
Giffey, die Verwaltungsmanagement studierte und in Politikwissenschaften promovierte, ist einer anderer Typ Politiker. „Sie ist absolut Talkshow-kompatibel“, sagt ein Sozialdemokrat über sie. Giffey, stets angetan mit betulich wirkender Hochsteckfriseur und buntem Seidenschal, beherrscht scheinbar anstrengungslos diese Mischung aus pragmatischem Optimismus und Problembewusstsein, die man schon zur Zeit ihres Entdeckers, des legendären Bezirksbürgermeisters Heinz Buschkowsky (SPD), „Klartext“ nannte.
Auch Giffey spricht völlig ungeniert von der „Vermüllung“ auf den Straßen, vom Erziehungsversagen vieler Eltern und von „Parallelgesellschaften“ insbesondere arabischer Clans in Neukölln, denen sie schon mal locker aus dem Fenster eines Polizeiautos den Kampf ansagt. Dabei zeigt sie aber fast immer dieses zuversichtliche Wir-schaffen-das-Lächeln, das Buschkowsky immer fehlte – und das auch nicht zur Grundmimik des Regierenden Bürgermeisters Müller zählt.
Aus der linken Berliner SPD kommt dennoch Kritik an ihrer häufigen Betonung von Repression und staatlichem Durchgreifen. Sie ist aber weder bei den rechten „Seeheimern“ noch den pragmatischen „Netzwerkern“ der Sozialdemokraten anzusiedeln.
Sie ist, in der SPD kann das ein großes Problem sein, gar nicht wirklich vernetzt in der Partei. „Giffey ist ihr eigenes Lager“, heißt es über sie. Auch in Neukölln, wo sie seit 2014 SPD-Kreischefin ist, gibt es etliche Widersacher.
Labor der Einwanderungsrepublik
Diese Lagerneutralität gab Giffey vor einigen Monaten kurzzeitig auf, als sie in einem Interview der Berliner Morgenpost zur Landespolitik – fast wie nebenbei – sagte, sie fände es richtig, wenn der Landesvorsitz und die Regierungsführung in Berlin wieder auf zwei Personen aufgeteilt würden.
Das schien frontal gegen Müller zu gehen, der sich vor der Berlin-Wahl 2016 als Spitzenkandidat auch das Parteiamt geholt hatte – und am Wahltag dann das schlechteste SPD-Ergebnis seit 1945 einfuhr. Schon wurde Giffey zu den Getreuen des Müller-Konkurrenten Raed Saleh, dem Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, gezählt. Manche „Müllerianer“ glaubten, es bahne sich offenbar eine Verschwörung gegen den angeschlagenen Senatschef an. Doch weit gefehlt.
Aus jenem Vorstoß jedenfalls folgte gar nichts außer einigen Irritationen. Giffey legte mit keinen Wort nach, sondern hielt sich im Gegenteil zurück – und beackerte weiter ruhelos ihren Bezirk, den sie gern als Labor der Einwanderungsrepublik darstellt, ganz anders als Buschkowsky mit seiner Warnung, dass Neukölln zwar „überall“ sei, aber eben nicht sein sollte. Für Giffey ist klar, dass Neukölln ein Vorbild werden kann. Wenn alle mithelfen.
Die letzte Bundesministerin aus der Berliner SPD war Christine Bergmann, die erst Senatorin in der Hauptstadt, dann unter Gerhard Schröder bis 2002 Familienministerin wurde. „Liegt schon ein paar Tage zurück“, sagt ein Genosse und zieht die Augenbrauen hoch. Insofern wird Giffeys möglicher Aufstieg nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern von manchen als Anstieg im bislang eher unterdurchschnittlichen Ansehen der Berliner Sozialdemokraten verstanden.
Mit der Innen- und Rechtspolitikerin Eva Högl, der Vize-Fraktionschefin im Bundestag, gibt es sogar noch eine zweite ministrable Frau aus Berlin. Högl kommt ursprünglich aus Niedersachsen, doch vermutlich wird ihr das nichts nützen, wenn ihre Berliner Parteifreundin Giffey das Rennen macht. Ost schlägt dann West.