Frauenarzt zur Vierlingsschwangerschaft von Annegret Raunigk: „Ich lehne niemanden ab“

Die 65 Jahre alte Berlinerin Annegret Raunigk, die nach künstlicher Befruchtung mit Vierlingen schwanger ist, steht in der Kritik. Während sie in Interviews das Recht auf freie Lebensgestaltung verteidigt, empören sich Bürger, die ihren Schritt für egoistisch und Mediziner, die ihn für bedenklich halten. Der sie behandelnde Schöneberger Frauenarzt Kai Hertwig will einfach tun, was er kann, damit die Vierlinge gesund auf die Welt kommen.

Herr Hertwig, wann ist Annegret Raunigk zum ersten Mal in Ihre Praxis gekommen?

Das ist gut ein Jahr her.

Da war sie also noch nicht mit den Vierlingen schwanger?

Nein.

Waren Sie in ihre Entscheidung, in der Ukraine mit Ei- und Samenzellenspenden eine künstliche Befruchtung vorzunehmen, eingebunden?

Nein. Ich war mächtig erstaunt, als sie mir bei einem Untersuchungstermin davon erzählt hat. Ich war mir aber schon vorher bewusst, dass sie eine ungewöhnliche Frau ist. Ihre bisher jüngste Tochter ist neun Jahre alt, und auch bei deren Geburt war sie ja schon Mitte 50.

Wie weit ist die Schwangerschaft jetzt fortgeschritten?

21. Woche.

Das heißt, der reguläre Geburtstermin wäre im August.

Ja, aber den wird sie nicht erreichen. Eine Gebärmutter ist nicht für vier normalgewichtige Kinder am Termin gemacht. Ab einer gewissen Ausdehnung fängt sie an, Wehen zu erzeugen. Die Kinder kommen dann früher zur Welt. Erschwerend hinzu kommt das Alter der Mutter. Positiv wirkt sich aber aus, dass es sich um eine Vielgebärende handelt. Sie hat 13 Kinder zur Welt gebracht. Die Gebärmutter ist trainiert.

Was ist aus Ihrer Sicht zurzeit das größte Problem?

Die drohende Frühgeburt. Wir müssen mit aller Macht eine Geburt um die 24. Woche herum verhindern. Extreme Frühchen sind oft ihr Leben lang behindert. Es sieht aber nicht nach solchen Komplikationen aus. Alle Kinder sind gesund. Und dann müssen wir natürlich die Herz-Kreislauf-Funktionen der Mutter überwachen. Aber die ist sehr fit. Es gibt keine Vorerkrankungen. Die Schwangerschaft verläuft erstaunlich gut. Als betreuender Arzt muss ich auch erstmal positiv heran gehen. Man sollte die Pathologie nicht herbeireden.

Wie oft kommt Frau Raunigk in Ihre Praxis?

Einmal in der Woche. Es läuft alles völlig normal, nur dass sie schon einen Bauch hat, den andere erst am Ende der Schwangerschaft haben.

Sind es Jungs oder Mädchen?

Beide Geschlechter.

Viele Mediziner würden einer Frau, die nach künstlicher Befruchtung mit Vierlingen schwanger ist, raten, die Zahl zu reduzieren und damit die Chance erhöhen, dass die verbleibenden Kinder gesund zur Welt kommen. Haben Sie das gemacht?

Das haben die an der Befruchtung beteiligten Ärzte sicher getan. Ich habe die Risiken mit der Patientin besprochen. Sie hat sich dagegen entschieden.

Wie wäre so etwas abgelaufen?

Bei einer Reduktion werden Embryos bis zur achten oder spätestens zwölften Woche per Spritze abgetötet. Sie schrumpfen ein und verschwinden. Das machen spezielle Ultraschallpraxen. Bei so etwas habe ich emotionale Bedenken.

Warum?

Ich bin einfach froh, dass ich Entscheidungen über Leben und Tod nicht treffen muss.

Und warum betreuen Sie Annegret Raunigk?

Sie ist meine Patientin. Ich lehne niemanden ab, auch wenn ich das, was sie tut kritisch sehe. Ich bin ja kein moralischer Richter. Ich sehe mich als Arzt.

Aber die Lebensgestaltung von Frau Raunigk polarisiert. Viele regen sich darüber auf, dass sie ein so hohes Risiko eingeht, dass die Kinder behindert sein könnten oder sie selbst vielleicht nicht lange genug lebt, bis die Kinder erwachsen sind. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, ich finde es sehr wichtig, dass diese Fragen gestellt werden. Und ich finde es auch gut, dass diese Fragen öffentlich diskutiert werden.

Warum?

Medizinisch sind heute sehr viele Dinge möglich. Aber bei uns ist die gesellschaftliche Debatte darüber, was wir wollen, noch nicht ausreichend geführt worden. Eizellspenden sind hier verboten, aber es gibt sie ja in Spanien, in der Ukraine und auch noch in anderen Ländern. Trends zur Reproduktionsmedizin verlaufen im Ausland anders als in Deutschland. Und die Leute fahren dann eben einfach ins Ausland, um das zu bekommen, was hier nicht möglich ist. Ein Trend, der auch in Deutschland kommt, ist Social Freezing, wobei unbefruchtete Eizellen für eine Schwangerschaft zu einem späteren Zeitpunkt eingefroren werden. Ich sehe es sehr problematisch, die Realisierung des Kinderwunsches in immer spätere Lebensabschnitte zu verschieben.

Sie halten nichts von späten Schwangerschaften?

Ich sehe das kritisch. Es gibt viele Probleme sowohl in den Schwangerschaften als auch anschließend in den Familien mit immer älteren Eltern. Wir müssen klären, was unsere Gesellschaft will.