Protest gegen Amazon-Tower in Berlin: „Der Turm klaut meiner Mutter die Abendsonne“
Das Wochenende vor dem 1. Mai begann mit einer Demonstration gegen das höchste Hochhaus der Stadt in Friedrichshain. Was fordern die Aktivisten?

Zwei vermummte Aktivisten klettern an der Fassade des neuen Hochhausprojekts „Edge East Side“ an der Warschauer Straße empor. Sie spannen ein Transparent, auf dem steht: „Fight the Tower“.
Auf der anderen Straßenseite blicken etwa 150 Menschen zu ihnen herauf. Viele der Demonstrierenden haben bunte Haare, antifaschistische oder anarchistische Aufnäher auf der Kleidung und ein Bier in der Hand. Ein Mann ruft ins Mikrofon: „Wollt ihr den Amazon-Tower mit uns abreißen?“ Jubel ertönt und PTK fängt an zu rappen.
Abreißen, das ist natürlich nicht das Ziel der Kundgebung gegen Amazon an diesem Freitagabend. Obwohl manche der Teilnehmenden es wohl am liebsten tun würden. „Berlin vs Amazon“, ein Bündnis aus Aktivisten, das sich schon seit vier Jahren gegen das Bürogebäude an der Warschauer Straße einsetzt, hat erneut zum Protest aufgerufen. Das 140 Meter hohe Hochhaus ist das höchste der Stadt.
Redner von „Wir bleiben alle Friedrichshain“, „Wem gehört der Laskerkiez“ und „Fridays for Future “wettern zu Beginn des 1.-Mai-Wochenendes gegen den Megakonzern in ihrem Kiez. Sie werfen Amazon Gentrifizierung, Ausbeutung von Arbeitern und Steuertricks vor. Die ersten Etagen wurden bereits an den Ankermieter Amazon übergeben, der Innenausbau hat begonnen.
BREAKING: Aktivisti sind an der Fassade des AmazonTowers hochgeklettert. Auf dem Transpi steht "Fight the Tower"#NoAmazonTower #B2805 #MakeAmazonPay pic.twitter.com/0rxH11yDQE
— Berlin vs Amazon @berlinvsamazon@masthead.social (@berlinvsamazon) April 28, 2023
„Berlin vs Amazon“: Besser zu spät als nie
Morten hat die Kundgebung mitorganisiert. „Als wir 2019 angefangen haben“, sagt der 30-Jährige, „war es wahrscheinlich schon zu spät, den Bau zu verhindern.“ Den Einzug von Amazon versucht das Bündnis aber immer noch zu verhindern. „Wir wollen nicht, dass das geräuschlos passiert und Amazon der rote Teppich ausgerollt wird.“ Er ist außerdem gegen ein weiteres Hochhaus auf dem RAW-Gelände.
Das Bündnis hat in Anlehnung an die 14 „Leadership Principles“ von Amazon alternative Grundsätze für ein verantwortungsvolles Konzernhandeln formuliert. Unter diesen Umständen wäre Amazon in der Nachbarschaft willkommen. Darin enthalten sind unter anderem Forderungen nach Arbeitsrechten, Umweltschutz und Vergesellschaftung. Ein Redner von Wir bleiben alle Friedrichshain fordert zwei Euro pro Paket für Berlins Landeskasse, das Geld könnte dann beispielsweise in Bildung und soziale Projekte fließen.
Wir fordern ... pic.twitter.com/v9NWJYRxlm
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Die 26-jährige Helene ist hier aufgewachsen, ihr Weg zur Schule führte über diese Brücke. „Der Tower klaut meiner Mutter die Abendsonne für ihre Pflanzen in der Küche“, sagt sie. „Schlimmer ist aber Amazon als Konzern und dass solche Giganten gebaut werden, obwohl wir in der Klimakrise stecken.“ Helene hält heute eine Rede, fordert von großen Konzernen mehr als nur Lippenbekenntnisse. „Arbeiter*innenkampf und der Kampf um Klimagerechtigkeit dürfen nicht länger gegeneinander ausgespielt werden.“

Zwischen Görlitzer Park und Berghain, RAW-Gelände und der East-Side-Gallery pocht der Puls dieser Stadt am lautesten. Täglich gehen Tausende Menschen über die Brücke von Kreuzberg nach Friedrichshain, in die Clubs oder steigen um. Straßenmusiker bremsen den Fluss der Menschen manchmal aus. Von nun an haben sie nicht mehr den Fernsehturm als Wahrzeichen der Stadt im Rücken, sondern das riesige Bürogebäude.
Gegen den „Raubtierkapitalismus“
Melanie stört auch das. Sie schaut kritisch zum Hochhaus auf und sagt: „Man kann das nicht einfach hinnehmen.“ Ihr Begleiter Jonas hofft, dass Amazon versteht, dass sie nicht erwünscht sind. Bei Amazon kaufe er nicht. „Aber nicht die Kunden sind das Problem, sondern dieser Konzern, der alles verdrängt“, sagt er. „Boykottieren kann man fürs Gefühl, aber es muss politisch dagegen vorgegangen werden.“ Reiche und Konzerne mehr zu besteuern, wäre aus seiner Sicht ein Schritt in die richtige Richtung.

Es wird eng am Zugang zur Warschauer Brücke. Die Menschen, die nicht zur Kundgebung wollen, quetschen sich durch den schmalen Pfad im Publikum. Amazon konnte seinen Gewinn im ersten Quartal 2023 um etwa 30 Prozent steigern, auf 4,8 Milliarden Euro. Gleichzeitig baut Amazon rund 27.000 Stellen ab. Grund könnten die Verluste im Vorjahr sein; außerdem verzeichnete der Konzern ein abgeschwächtes Wachstum im Cloudgeschäft, wie Medien berichteten.
Thorsten aus Hellersdorf spricht von „Raubtierkapitalismus“. Er trägt seinen „Demo-Pulli“ unter einer schwarzen Regenjacke, auf dem steht: „Kein Sex mit Nazis“. „Ich hab die Befürchtung, dass hier irgendwann nur noch Reiche leben“, sagt er und zeigt auf das Hochhaus. „Die denken, sie können gentrifizieren und machen, was sie wollen.“ Diese Stadtentwicklung gefalle ihm nicht.