Fritz Kühn: Wohin mit der Kunst?

Wie räumt man einen Skulpturengarten? All die schweren Kunstwerke aus Stahl und Metall, und dann noch mitten im Winter? Coco Kühn, die Enkelin des Metallbildhauers Fritz Kühn, steht auf dem 6 000 Quadratmeter großen Grundstück im Treptower Ortsteil Bohnsdorf, 20 Kilometer von der Innenstadt entfernt. Die redegewandte und aufgeschlossene Frau weiß in diesem Moment keine Antwort. Sie sagt, von Räumungen verstehe sie nichts. Sie ist Künstlerin, so wie ihr Großvater Fritz Kühn. Und ihr Vater Achim Kühn.

Fritz Kühn (1910–1967), der Metallbildhauer, Fotograf und Autor Dutzender Bücher über die Kunst des Schmiedens, hat viele bekannte Kunstwerke geschaffen, im Ausland, in der DDR und in 50 Städten der alten Bundesrepublik. In Berlin hat Kühn unter anderem den Brunnen am Strausberger Platz gebaut, das Buchstabenportal der Stadtbibliothek, die Geländer im Zeughaus sowie die Innen- und Außengitter an der Staatsoper.

1983 erklärte die DDR sein Werk zum Nationalen Kulturgut. 1988 wollten die Kulturverantwortlichen ein Fritz-Kühn-Museum in Glienicke bauen, alles war genehmigt und finanziert. Dann kam die Wende.

In drei Wochen, am 17. Februar, kommt der Gerichtsvollzieher und wird das Grundstück mit dem Skulpturengarten zwangsräumen. Das Gelände gehört dann nicht mehr den Erben von Fritz Kühn, er hatte es einst gekauft, sondern der Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 e.G. So hat es ein Gericht nach jahrelangen Auseinandersetzungen um die Rückübertragung entschieden. „Was sich wegschaffen lässt, kommt noch weg“, sagt Coco Kühn. „Aber mehr können wir auch nicht machen.“

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Das Werk des Vaters fortgesetzt

Gleich nebenan in der Schmiede steht Achim Kühn am Feuer und erhitzt ein Stück Eisen auf etwa tausend Grad. Es ist ein Fisch aus Metall, er gehört zu einem Brunnen, den Achim Kühn in Hellersdorf vor vielen Jahren gebaut hat und den er nun restauriert.

In der Schmiede sieht es noch genauso aus wie damals, als der junge Kunstschmied Fritz Kühn gleich nach dem Krieg die zerbombte Werkstatt wiedererrichtet und zur Schmiede umgebaut hat. An den Wänden hängen Hunderte große Zangen und schwere Hammer, in Reichweite zum Feuer stehen zwei Ambosse.

Achim Kühn hat das Werk seines Vaters fortgesetzt, als dieser 1967 starb. Er wurde Bildhauer, Metallgestalter und Restaurator. In der Werkstatt und der kleinen Ausstellung neben der Schmiede und im Skulpturengarten stehen einige Werke und Modelle von Fritz und Achim Kühn unsortiert nebeneinander. Und zu jedem Werk gehört eine Geschichte. So wundern sich Besucher über die etwa zehn Meter hohe dunkelgrüne Tür auf dem Hof. Die Nikolaikirche in Mitte hatte sie bestellt. 1989 hatte Achim Kühn den Auftrag fertig, doch die Kirche wollte die Tür nicht mehr, es gab wohl Wichtigeres in dieser Zeit. Die Tür blieb auf dem Hof.

Heute, mit 72 Jahren, arbeitet Achim Kühn immer noch jeden Tag in der Schmiede, zurzeit restauriert er alte Grabumzäunungen. Sein Sohn Tobias ist auch mit Metallbau beschäftigt. Beide, Vater und Sohn, arbeiten in der Schmiede. Und Helgard Kühn, Achim Frau, die zurzeit in Indien weilt, managt das Atelier und führt die Geschäfte der Fritz-Kühn-Gesellschaft. Jeden Tag trifft sich die Familie in die Schmiede. Man spürt Verbundenheit und Respekt.

Achim Kühn sagt, ihm falle es schwer zu akzeptieren, dass das Grundstück nicht mehr ihm gehöre. Denn nun schwindet auch die Hoffnung auf das so langgeplante Projekt, neben der Schmiede ein Museum für seinen Vater zu bauen. Den Entwurf hat Achim Kühn gezeichnet. Die Familie ist sich einig: Es gibt keinen geeigneteren Ort für ein Museum als den des authentisches Schaffens. Doch Berlin unterstützt das Vorhaben nicht mehr, eine Förderung sei nicht möglich.

Und so versuchen die Nachkommen das Vermächtnis von Fritz Kühn so gut es geht zu bewahren. Doch es geht nicht gut. Unzählige Entwürfe, Modelle, Briefe und Aufzeichnungen liegen in den Garagen, im Keller und auf dem Dachboden, wo jetzt Minusgrade herrschen. „Wir haben alles so verstaut, wie man es als Familie bewältigen kann“, sagt Coco Kühn. Die Bedingungen sind katastrophal.

Der Metallkünstler Fritz Kühn war dauerhaft so mit seiner Arbeit beschäftigt, dass er gar keine Zeit hatte, Dokumente auszusortieren. Jeder Brief ist vorhanden, den Kühn seit den 30er Jahren geschrieben hat. In vergilbten und maroden Heftern befinden sich Dokumente zu jedem Auftrag, etwa für die Weltausstellung in Brüssel 1958, für Aufträge im Westen, die Kühn nie allein verhandeln und abwickeln durfte. Die DDR verdiente viele Devisen an Kühns Aufträgen. Man kann das Nachlesen. Noch.

Längst ist das Papier etlicher Dokumente vergilbt, es bricht, blättert man Seiten um. Viele Entwürfe, auf dünnem Transparentpapier gezeichnet, liegen zusammengerollt in Regalen, die Ränder sind ausgerissen. Bloß nicht anfassen. „Es ist eine Frage der Zeit, wann sich das Archiv von selbst auflöst und auf natürlichem Wege zerfällt“, sagt Coco Kühn.

In dieser Woche kamen Nachbarn in die Schmiede, viele rufen an. Sie wollen helfen, sie bieten an, Skulpturen bei sich unterzustellen. Sie wollen spenden. 800 000 Euro kostet das Grundstück. Die Familie hofft auf einen Mäzen.

Die Senatskulturverwaltung teilte am Freitag auf Anfrage mit, man sei auf einem guten Wege, das Archiv von Fritz Kühn zu retten und zu erhalten. Für einen Skulpturenpark und ein Museum sehe das Land Berlin allerdings nach wie vor keine Möglichkeit.