Medizinisches Wunder: Wie John Walmsley mehrfach dem Tod entkam
Der Frührentner aus Birkenwerder überlebte das Reißen eines Aneurysmas an der Bauchschlagader. Und Komplikationen. Er erzählt das, weil er aufrütteln will.

Dass John Walmsley an diesem Sonntagmorgen Ende Januar zusammen mit seiner Ehefrau Angelika am Frühstückstisch sitzt, könnte man als ein Wunder bezeichnen. Als an seiner Bauchschlagader vor fünf Jahren ein Aneurysma riss, hat der 64-jährige Mann aus Birkenwerder (Brandenburg) nur knapp überlebt. Doch das Drama war noch nicht zu Ende. Der Krankheitsverlauf war so kompliziert, dass ihm die Ärzte gleich dreimal hintereinander das Leben retten mussten.
„Ich könnte jeden Tag Geburtstag feiern. Manchmal kann ich selbst nicht glauben, dass ich noch da bin“, sagt der Frührentner. Er schneidet gerade ein Vollkornbrötchen auf und belegt eine der beiden Hälften mit Wurst, auf die andere eine Scheibe Käse. Seine Hand zittert ein wenig, er ist noch geschwächt durch die Strapazen der vergangenen fünf Jahre.
Gesundheitliche Check-ups immer ignoriert
John Walmsley erzählt seine Geschichte, weil er selbst erst durch seinen komplizierten Krankheitsverlauf schmerzhaft zur Einsicht gekommen ist und andere Menschen warnen möchte. Er sagt: „Ich habe einen Fehler gemacht, weil ich gesundheitliche Check-ups immer ignoriert habe. Vielleicht wäre mir durch eine Früherkennung einiges erspart geblieben.“ Hintergrund: Mittels Ultraschall können Ärzte bereits frühzeitig feststellen, ob eine Erweiterung der Bauchschlagader vorliegt. So kann ein Aortenaneurysma frühzeitig entdeckt werden kann.
Am 3. Oktober 2017, John Walmsley erinnert sich noch ganz genau an diesen Tag, hatte er sich frei genommen. Er arbeitete damals für eine Sicherheitsfirma und wollte zu einem Konzert nach Berlin. Doch dazu kam es nicht mehr.
„Ich hatte morgens ganz starke Bauchschmerzen. Erst dachte ich, ich hätte etwas Unverträgliches gegessen und eine Kolik“, sagt er. Doch dann seien die Schmerzen nicht mehr auszuhalten gewesen, er konnte kaum noch sprechen. „Ich schaffte es gerade noch, meiner Frau zu signalisieren, dass sie einen Notarzt anrufen soll.“ Dann habe er das Bewusstsein verloren.
Weil sein Zustand so dramatisch war, entschlossen sich die Ärzte in der Notaufnahme in Oranienburg, ihn mit dem Rettungshubschrauber ins Helios-Klinikum Berlin-Buch ausfliegen zu lassen.
Dort stellte ein Facharzt für Gefäßchirurgie ein bislang nicht bekanntes Bauchaortenaneurysma fest. „Es handelt sich hier um ein lebensbedrohliches Krankheitsbild. Etwa 50 Prozent der Betroffenen versterben bereits, bevor sie das Krankenhaus erreichen. Trotz Therapie sind die Überlebensraten im Stadium der Ruptur nochmals bei lediglich 50 Prozent“, erklärt sein behandelnder Arzt Alexander Meyer, Chefarzt der Gefäßchirurgie.
Das Problem: Das Bauchaortenaneurysma mache selten Symptome und wenn, löse es eher Rückenschmerzen aus, die von Betroffenen auch schnell als Arthrose der Wirbelsäule eingeschätzt werden könnten. Die meisten Aneurysmen würden zufällig entdeckt, oder eben erst im Falle einer Ruptur (übersetzt: Durchbruch). Früherkennung sei wichtig, um die Aneurysmen vor Auftreten von Komplikationen ab einem bestimmten Durchmesser behandeln zu können.
John Walmsley hatte Glück. Eine Notoperation, bei der das gerissene Bauchaortenaneurysma mithilfe einer Stentprothese (Gefäßstütze) stillgelegt werden konnte, rettete ihn. Das mit Stoff überzogene Metallgerüst wurde in seine Bauchschlagader eingesetzt. Dadurch wurde sie stabilisiert und das Aneurysma ausgeschaltet; es konnte sich nun nicht mehr mit Blut füllen.
John Walmsley lag insgesamt zehn Tage im Koma und musste sich mühsam wieder zurück ins Leben kämpfen. „Ich habe meine eigene Frau zunächst gar nicht erkannt, als sie an meinem Krankenbett stand“, sagt er. Drei Monate musste er noch in der Klinik verbringen und kam danach in eine Rehaeinrichtung. Seine Muskulatur war vom langen Liegen geschwächt; er musste erst wieder laufen lernen. Bis heute trainiert er mithilfe eines Gehwagens an seiner Schrittfolge und übt auch täglich mit einem Gummiring, um seine Hände zu kräftigen.
Es hat Tage gegeben, so sagt er, da sei er verzweifelt gewesen und habe sich oft sein altes Leben zurückgewünscht. Seinen Job musste John Walmsley aufgeben. Er hat früher im Fitnessstudio trainiert und war oft in den österreichischen Bergen bei Kärnten wandern. Aber er kann wieder laufen. Trotz mehrerer Rückschläge.
Im August vergangenen Jahres bekam er erneut starke Schmerzen. Diesmal in den Beinen. „Sie waren steinhart. Außerdem waren beide Füße taub“, sagt er. Er kam zurück in die Gefäßchirurgie des Helios-Klinikums Berlin-Buch. Im Computertomogramm war ein Verschluss der Stentprothese zu erkennen. In beiden Beinen hatte er eine Durchblutungsstörung. Die Ärzte prophezeiten eine Amputation. Doch wieder konnten sie ihn vor Schlimmerem bewahren.
„Es kam zu einem Abknicken des Stents im Bereich der Beckenschlagader, sodass vorher bereits mehrfach Reparaturen, ebenfalls innerhalb eines Gefäßes, durchgeführt werden mussten. Aufgrund des kompletten Verschlusses war dies nun nicht mehr möglich“, erklärt Dr. Alexander Meyer. Die Ärzte explantierten die Stentprothese und ersetzten die Bauch- und Beckenschlagadern erfolgreich durch eine Y-Prothese (Gefäßprothese), um die Durchblutung beider Beine wiederherzustellen.
„Ich hatte schon immer einen starken Überlebenswillen“, sagt John Walmsley und hält die Hand seiner Frau. Ohne sie hätte er das alles wohl gar nicht durchgestanden. Er wuchs in Singapur als Sohn eines Militärangehörigen auf. Von dort aus zog die Familie nach Münster (Westfalen). Er machte sich als Zwölfjähriger allein auf den Weg nach Hamburg. Von dort aus nahm er einen Dampfer nach England und wurde dort vorübergehend von einem älteren Paar aufgenommen. Er schlug sich in London als Zeitungsverkäufer und in einem Schreibwarenladen durch und kam in einem Missionswerk unter.
Heute kämpft er um seine Gesundheit. Er verbrachte nach der letzten Operation wieder drei Monate in der Klinik, machte anschließend eine Reha. Dort fasste er wieder Lebensmut. Kurz vor Weihnachten flog er zusammen mit seiner Frau nach Hurghada in Ägypten.
Doch im Urlaub kamen die Schmerzen in seinem Bauch zurück. „Außerdem hatte sich ein rötlicher Streifen an meinem Bauch gebildet. Das hat mir große Angst gemacht“, erzählt er. John Walmsley hielt durch. Eine Krankenschwester aus Berlin, die im selben Hotel ihre Ferien verbrachte, versorgte ihn mit Schmerzmitteln. Wenige Stunden nach seiner Ankunft in Berlin fuhr John Walmsley direkt ins Krankenhaus. Dort diagnostizierte sein Arzt eine weit fortgeschrittene Infektion in der Leiste.
„Um ein Übergreifen der Entzündung auf die Gefäßprothese zu verhindern, musste Herr Walmsley erneut operiert werden. Er hat sich hiervon aktuell gut erholt“, sagt Alexander Meyer. „Er ist dem Tod schon mehrfach erfolgreich entkommen.“
John Walmsley blickt zuversichtlich in die Zukunft. Auf seinem Wohnzimmertisch liegen Reisekataloge. „Vielleicht wollen wir noch mal nach Kuba fliegen. Aber erst zum Jahresende.“