Jung, männlich – tot. Wenn junge Menschen bei Verkehrsunfällen getötet oder schwer verletzt werden, handelt es sich meist um Männer. Darauf hat die Dekra hingewiesen. Das Unternehmen stellte am Dienstag seinen diesjährigen Verkehrssicherheitsreport vor, in dem es um die Mobilität junger Menschen geht. Die Dekra forderte mehr Kontrollen der Polizei, eine bessere Fahrausbildung sowie eine Senkung der Altersgrenze beim begleiteten Fahren. Künftig sollen auch schon 16-Jährige am Steuer sitzen dürfen, wenn ein Erwachsener dabei ist. „Begleitetes Fahren ist eine Lebensversicherung“, sagte Volker Postel, der die Berliner Niederlassung der Sachverständigengesellschaft leitet.
„Junge Menschen und Senioren über 75 gehören zu den Altersgruppen, die im Verkehr am stärksten gefährdet sind“, berichtete er. Das gelte auch für Berlin, wie eine aktuelle Auswertung der Unfallstatistik zeige. Die sechs jungen Menschen, die im vergangenen Jahr in Berlin tödlich verunglückten, gehörten allesamt dem männlichen Geschlecht an. Bei den Schwerverletzten im Alter zwischen 15 und 24 Jahren betrug der Anteil der Männer immerhin 65 Prozent, in absoluten Zahlen: 185 von 286 Betroffenen waren männlich.
„Es gibt keinen systematischen Fortschritt“
Zwar ging die Zahl der Verkehrsunfalltoten in Berlin zurück. Nachdem sie 2020 um ein Viertel auf 50 gestiegen war, sank sie im vergangenen Jahr um ein Fünftel auf 40. „Damit ist die Zahl der Verkehrstoten in Berlin wieder auf dem Niveau von 2019, dem drittbesten Wert seit 2013“, berichtete der Dekra-Mann. In ganz Deutschland nahm die Zahl während dieses Zeitraums dagegen nur um etwas mehr als fünf Prozent ab.
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Ein Grund, sich zurückzulehnen, sei die Entwicklung in Berlin aber nicht, sagte Postel. „Über die Jahre stellen wir eine Stagnation auf hohem Niveau fest. Es gibt keinen systematischen Fortschritt.“ Der Anteil der jungen Menschen an der Gesamtzahl der Unfalltoten in Berlin ist im Vergleich zu 2020 gestiegen - von vier auf 15 Prozent.
Von den sechs jungen Männern, die im vergangenen Jahr bei Verkehrsunfällen in Berlin getötet wurden, starben drei als Beifahrer. Die übrigen drei seien „aktiv“ am Unfall beteiligt gewesen, teilte die Polizei mit. Laut Dekra saßen zwei am Steuer eines Autos, einer war zu Fuß unterwegs. „Junge männliche Fahranfänger stellen ein weit überdurchschnittliches Risiko für sich und andere dar“, so die Einschätzung.
Beinaheunfälle gemeinsam auswerten
„Die Zahlen sollten für alle Beteiligten der unmissverständliche Auftrag sein gegenzusteuern“, mahnte Volker Postel. Die Dekra unterstütze die Bemühungen des Bundesverkehrsministeriums, die Altersgrenze für das begleitete Fahren zu senken, sagte er. Derzeit kann Jugendlichen mit 17 Jahren eine Fahrerlaubnis der Klasse B oder BE erteilt werden, wenn sie bis zu ihrer Volljährigkeit bei jeder Fahrt von einem mindestens 30 Jahre alten Erwachsenen begleitet werden. Künftig sollen schon 16-Jährige hinterm Steuer sitzen dürfen, wenn eine Begleitperson dabei ist, forderte Postel. Dies würde sich auch in Berlin positiv auf die Unfallstatistik auswirken, sagte der Dekra-Mann.
In diesem Altersbereich ereigneten sich die meisten Verkehrsunfälle in den sechs Monaten nach dem Erwerb des Führerscheins, sagte er. Wenn die jungen Menschen in dieser Zeit beim Fahren begleitet werden, wirke sich das auf die Sicherheit aus. Der Erwachsene könne bei einem Beinaheunfall erklären, was falsch gemacht wurde und wie sich solche gefährlichen Situationen künftig verhindern ließen. Wenn der Zeitraum des begleiteten Fahrens auf zwei Jahre verlängert würde, hieße das, dass Fahranfänger mehr Erfahrungen dieser Art sammeln können. Postel: „Wir unterstützen die Initiative des Verkehrsministeriums“ – die übrigens im Ampel-Koalitionsvertrag vorgesehen sei.
Mit der Mutter auf dem Beifahrersitz das Tempolimit missachtet
Im Ministerium von Volker Wissing (FDP) ist man zuversichtlich, dass diese Änderung möglich wird. Die aktuelle EU-Führerscheinrichtlinie werde gerade überarbeitet, hieß es. Die Chancen stünden gut, dass die Neuregelung im kommenden Jahr in Kraft treten kann. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Versicherung HUK Coburg zeigt allerdings, dass der Plan im Moment bundesweit noch auf Skepsis stößt. Danach hätten von den fast 4200 Befragten im Alter ab 16 Jahren nur rund 34 Prozent den Führerscheinerwerb ab 16 Jahren begrüßt. 54 Prozent sprachen sich gegen die geplante Änderung aus. Bei Menschen unter 24 überwog dagegen die Zustimmung.
Allerdings geht das Kalkül nicht immer auf. So teilte die Polizei am Dienstag mit, dass ein 17-jähriger Autofahrer auf der A13 in Südbrandenburg mit mehr als 200 statt der erlaubten 120 Stundenkilometer gestoppt worden sei. Der jugendliche Fahranfänger hatte die Erlaubnis „Begleitetes Fahren ab 17“, die das Autofahren zwischen 17 und 18 Jahren mit einer Begleitperson ermöglicht, berichtete die Deutsche Presse-Agentur. Er muss nun mit 600 Euro Bußgeld, zwei Monaten Fahrverbot und zwei Punkten im Verkehrszentralregister rechnen. Außerdem erwartet den jungen Autofahrer vermutlich ein verkehrsrechtliches Aufbauseminar in seiner Probezeit.
Die Dekra spricht sich am Dienstag auch für mehr Polizeikontrollen aus. „Besonders gefährliche Verhaltensweisen wie Alkohol und Drogen am Steuer, Ablenkung etwa durch das Smartphone oder übermäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen müssen konsequent kontrolliert und geahndet werden“, hieß es. Für Fahranfänger sollte zudem überall ein absolutes Alkoholverbot am Steuer gelten. Eine bessere Fahrausbildung sei ebenfalls erforderlich.
Ein „unabgeschlossener Reifungsprozess“ und eine „Menge Testosteron“
Selbstüberschätzung, unzureichende Fahrzeugbeherrschung, eingeschränkte Gefahrenwahrnehmung, Ablenkung vom Verkehrsgeschehen durch die Nutzung digitaler Medien sowie Fahren unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen bildeten einen „toxischen Cocktail“, warnte Volker Postel. Bei männlichen Fahranfänger sei diese gefährliche Gemengelage besonders ausgeprägt. Ein „unabgeschlossener Reifungsprozess“, eine „Menge Testosteron“ und die Sozialisation kämen zum Tragen.
Wie sich junge Männer sehen, habe eine Umfrage im Auftrag der Dekra gezeigt. Danach meinten 54 Prozent der Männer dieser Altersgruppe, dass sie viel oder zumindest etwas besser als der Durchschnitt aller Autofahrer fahren. Das kontrastiert auffällig mit der bundesdeutschen Unfallstatistik, stellte Volker Postel fest: „Männer sind viermal so oft an Verkehrsunfällen mit Todesfolge beteiligt als Frauen.“