Für 22 Millionen Euro: 100 Händler wollen landeseigenen Großmarkt übernehmen
Von Putsch will Dieter Krauß nichts hören. Auch von feindlicher Übernahme könne nicht die Rede sein, sagt er. Dennoch hat das Vorhaben der sogenannten „Interessengemeinschaft Lebensmittel- und Frischecluster Berlin“, dem Dieter Krauß vorsteht, einige Brisanz. Denn das Bündnis aus rund 100 Händlern will nicht weniger als den landeseigenen Großmarkt Berlin künftig selbst betreiben. In dieser Woche hat die Interessengemeinschaft dem Senat dafür ein Angebot unterbreitet.
Der Großmarkt an der Beusselstraße in Moabit wird bis heute von den Berlinern gern der „Bauch der Stadt“ genannt. Seit den 60er-Jahren versorgen sich auf dem 320.000 Quadratmeter großen Areal am Westhafen Ladenbesitzer und Gastronomen mit frischem Obst und Gemüse, mit Fleisch und Fisch und mit Blumen. Rund 300 Firmen sind auf dem Markt tätig und beschäftigen etwa 2500 Menschen. Was auf dem Großmarkt jährlich umgeschlagen wird, bringt zusammen 580.000 Tonnen auf die Waage. Der Jahresumsatz wird mit einer Milliarde Euro beziffert. Ein Supermarkt in XXL.
Die Interessengemeinschaft bietet 22 Millionen Euro
Geführt wird der Markt von der landeseigenen Berliner Großmarkt GmbH. Auch das ist seit den 60er-Jahren so. Laut Dieter Krauß betreibt diese allerdings reines Vermietermanagement. Das soll sich ändern. Die Interessengemeinschaft will den Betrieb genossenschaftlich führen, neue Marktstrukturen aufbauen. „Wir wollen eine noch attraktivere und zukunftsfähige Handelsplattform für Frischwaren aller Art an einem jahrzehntelang bewährten Standort schaffen“, sagt Dieter Krauß. Bau- und Modernisierungsmaßnahmen im Umfang von mehr als 90 Millionen Euro seien bereits geplant. Auch weitere kleine Brauereien und Handwerksbetriebe sollen angesiedelt werden.
Dafür will das Bündnis der 100 Großmarkthändler mit dem Land Berlin einen Erbpachtvertrag über 40 Jahre abschließen. 22 Millionen Euro bietet die Interessengemeinschaft für die Gebäude. Diese sollen gekauft werden. Zudem soll die Marktfläche für 2,5 Millionen Euro im Jahr gepachtet werden, was laut Krauß etwa dem jährlichen Gewinn entspricht, den die Berliner Großmarkt GmbH jährlich an das Land abführt. Der Wandel würde somit für das Land keinen finanziellen Verlust bedeuten. „Wir nehmen niemandem etwas weg“, sagt Krauß und nennt es eine Win-win-Situation. Auch die 2500 Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben.
Einer der Aktivisten des Projekts ist auch Nikolaus Driessen. Der Co-Chef der Markthalle Neun in Kreuzberg hat bereits Erfahrung mit ehemals landeseigenen Unternehmen. Er hatte die Markthalle in der Kreuzberger Eisenbahnstraße 2011 von der Stadt übernommen und in den Folgejahren von einem reinen Handelsplatz zu einem Produktionsort umgestaltet. 16 Betriebe gibt es heute unter dem Dach der Halle. Bäcker etwa haben dort eine neue Heimat gefunden.
Die Vielfalt des Großmarkts muss erhalten bleiben
So entschied sich auch der einzige Fleischer, der in den vergangenen 30 Jahren überhaupt in Berlin einen Betrieb eröffnet hat, für die Halle in Kreuzberg. „Das ist ein Erfolgsmodell“, sagt Driessen, der sein Konzept am Westhafen fortführen und dort den „Großmarkt 9.0“ mit ebenfalls handwerklich arbeitenden Produktionsbetrieben aufbauen will.
Ob das möglich sein wird, liegt allerdings in der Entscheidung des Berliner Senats. Wie im dortigen Wirtschaftsressort zu erfahren war, sei es für Berlin vorrangig, „dass der Berliner Großmarkt in seiner Vielfalt erhalten bleibt und der Vielzahl kleiner Einzelhändler und den Berliner Markthändlerinnen und Markthändlern weiterhin als innerstädtischer Großhandelsstandort ohne Beschränkungen zur Verfügung steht. „Hier gilt es abzuwägen, welche Vorteile eine Organisation in privater Hand gegenüber einer Fortführung in öffentlicher Hand bietet.“
Dieter Krauß gibt sich derweil zuversichtlich. „Im besten Fall können wir noch vor der Sommerpause die Verträge unterzeichnen“, sagt er.