Gastbeitrag: Unter den Linden geht nur mit der A 100 in Berlin
Berlin - Die künftigen Koalitionäre im Berliner Rathaus beabsichtigen, den Straßenzug Unter den Linden für den privaten Autoverkehr zu sperren. Dieses politische Vorhaben ist mutig und zu begrüßen. Der öffentliche Stadtraum zwischen dem Pariser Platz und dem Schloss mit dem Lustgarten ist einer der wichtigsten der Stadt. Die Chance einer großzügigen Neugestaltung dieses prominenten Boulevards mit dem Abschluss des U-Bahn-Baus ist zu reizvoll, um sie nicht zu nutzen. Doch dafür muss ein anderes Projekt verwirklicht werden: die Verlängerung der Autobahn A 100.
Die Gestaltungsaufgabe für die „Linden“ ist anspruchsvoll: Nicht eine banale Fußgängerzone darf das Zielbild sein, sondern ein hervorragend gestalteter öffentlicher Raum, der im Wesentlichen Fußgängern, Radfahrern und vielleicht auch öffentlichen Bussen vorbehalten ist, ohne aber seine Aufgabe der Erschließung angrenzender Gebäude ganz vernachlässigen zu können.
Das mit der Schließungsabsicht verbundene verkehrspolitische Signal ist befreiend, nach Jahren der Stagnation der konkreten Verkehrspolitik in der Stadt, die bei genauer Betrachtung eine Stagnation der Umsetzung vorliegender zukunftsfähiger Konzepte ist. Das Signal könnte heißen, dass die Verkehrspolitik für die Stadt im neuen Senat endlich wieder einen angemessenen Stellenwert erhalten könnte.
Die Umsetzung der Sperrung ist allerdings nicht trivial, weil eine einfache Umleitung des Linden-Verkehrs auf andere Straßenzüge nicht funktionieren wird. Die in Frage kommenden alternativen Straßenzüge haben nicht die erforderlichen Kapazitätsreserven. Erschwerend kommt hinzu, dass der wichtigste Straßenzug für den Ost-West-Verkehr vom Alex bis zum Potsdamer Platz eine Straßenbahn erhalten und von der heutigen Verkehrsschneise zu einer stadtverträglicheren Hauptstraße umgebaut werden soll. Damit können dort künftig erheblich weniger Autos fahren.
Auto spielt weiterhin wichtige Rolle
Ein Konzept zur Schließung der „Linden“ muss also umfassender gedacht werden. Es muss geeignet sein, den Kfz-Verkehr, der seine Quelle oder sein Ziel in der Stadtmitte hat, zu reduzieren und den großräumigeren „Durchgangsverkehr“ weiträumig umzuleiten. Eine Reduzierung des Kfz-Verkehrs kann durch weitere Verbesserungen der öffentlichen Verkehrsangebote gelingen. Der Lückenschluss der U 5 ist schon ein wichtiger Beitrag dazu.
Erforderlich sind auch: der Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur, Konzepte für den Güterverkehr und die wachsende Zahl der Reisebusse. Auch die erweiterte Bewirtschaftung des Parkraumes hat große Bedeutung. Ein ergänzendes Konzept für die Umleitung des verbleibenden Kfz-Verkehrs bleibt aber nötig.
Dies hat seinen Grund in der Stadt- und Straßenstruktur Berlins, die noch die getrennte Entwicklung während der Teilung widerspiegelt. Folge sind großräumige Verkehrsströme von der östlichen in die westliche innere Stadt (und umgekehrt). Das östliche Netz der Hauptverkehrsstraßen ist radial auf den Alexanderplatz ausgerichtet. Von dort verteilt sich der „Durchgangsverkehr“ Richtung Westen. Ein in der westlichen Stadthälfte vorhandenes Angebot einer tangentialen Straße gibt es in der östlichen Stadthälfte nicht. Ein erheblicher Teil des Kfz-Verkehrs auf den Ost-West-Straßen ist also kein „Quell- und Zielverkehr“, dem mit den oben genannten Konzepten beizukommen wäre.