Gastro-Kritik: Israelische Köstlichkeiten jenseits von Hummus und Falafel

Restaurant-Bar Symbiosen sind in Berlin derzeit so überstrapaziert wie Elch-Aufkleber auf Campingbussen. Auch den Trend, viele kleine Gerichte zu bestellen, die man teilt, habe ich zuletzt oft besprochen – und auch, wie sie bei notorisch hungrigen Männern ankommt.

Dennoch scheinen alle erfolgreichen Berliner Neueröffnungen derzeit genau diese Idee zu haben. Auch das Night Kitchen, das vor ein paar Monaten in die Pferderemise in den Heckmann-Höfen gezogen ist. An dieser malerischen, touristischen und daher schwierigen Location in Mitte habe ich schon ein paar Restaurants in Schönheit sterben sehen.

Jetzt wird der Ort von zwei absoluten Gastroprofis bespielt: Shaul Margulies, dem Mitbegründer des Berliner In-Cafés House of Small Wonder und des Restaurants Zenkichi, und dem Israeli Gilad Heimann, der bereits das Night Kitchen in Tel Aviv zum Hotspot gemacht hat.

Ambitionierte Cocktails mit Chili

Das aus Israel nach Berlin exportierte Konzept heißt „Contemporary Dining Bar“. Die Gäste sitzen außer im Wintergarten-Bereich an hohen Tischen auf Hockern oder wie mein Mann und ich an der Bar. Die Drinks sind ambitioniert, etwa ein Rough Margarita mit einer Prise Chili oder ein Mescal-Negroni. Die Speisen sind modern-israelisch, auch das gilt derzeit als Erfolgsrezept. Und natürlich ist die Karte so aufgebaut, dass man am Besten mehreres ausprobiert und die Portionen teilt.

Mein Mann stöhnt auf, weil er einen eigenen Teller liebt. Und auch ich bin skeptisch, weil mir das Ganze so bekannt vorkommt. Doch zwei Stunden später sind wir bekehrt. Ich, weil ich einige tolle Geschmackserlebnisse und handwerklich ausgetüftelte Gerichte genießen durfte. Er, weil er begriffen hat, wie bereichernd Teilen sein kann, wenn man nicht fürchten muss, hungrig nach Hause zu gehen.

Hinzu kommt, dass im Night Kitchen grandioses Personal arbeitet. Barchef Amit unterhält sich nett mit uns und lädt uns zwischendurch zum Whisky Shot ein. Als wir ihn fragen, was wir bestellen sollen, sagt er: „Nehmt das ,Family Style‘ -Menü für 36 Euro. Ich stelle euch etwas zusammen.“ Danach fragt er nach unseren Lieblingszutaten und Abneigungen. Ich bin gespannt.

Amit serviert nach und nach sieben sehr großzügig bemessene Gänge. Es beginnt mit einer innen zarten, außen angerösteten Jakobsmuschel in einer rauchigen Haraime-Sauce, deren Basis frische Tomaten sind. Dazu gibt es einen steten Nachschub an luftigem, Brioche-ähnlichem Brot mit Tahini-Butter.

Butterweiches Rinderfilet

Danach folgen die zwei schwächsten Gänge, beide vegetarisch: Beim Fenchel-Trio ist der Kontrast von knackig-weich und süß-sauer nicht stark genug, beim Tomaten-Carpaccio, einer eigentlich tollen Kreation, stimmt die Jahreszeit nicht. Denn für das Gericht, bei dem das Fleisch der Tomaten mit Thymian, Rosmarin und Knoblauch gebacken, kalt ausgewalzt und mit Olivenstücken und Ziegenkäse garniert wird, ist die Qualität der Tomaten entscheidend. Im Januar ist sie erwartungsgemäß mau.

Danach geht es jedoch fulminant weiter mit den knusprig gegrillten Tentakeln vom „Octopus à la Plancha“, deren dicke Enden saftig und weich sind. Diese dippt man in geschmacklich fein ausbalancierten Erbsen-Meerrettich-Rucola-Schaum. Spätestens jetzt bin ich satt, aber es folgen zwei Fleischgerichte – zu gut, um sie nicht aufzuessen: zuerst ein Flanksteak mit reduzierter Pfeffer-Aioli-Sauce und im Feuer angekohlter Süßkartoffel.

Nochmal übertroffen wird die Fleischqualität anschließend von einem butterweichen Rinderfilet, zu dem es Tagliatelle mit Limetten-Butter-Soße gibt. Mein Mann verzichtet sogar freiwillig auf das Tiramisu mit angerösteten Kaffeekrümeln. Ein Fehler. Ich habe ihn lange nicht mehr so glücklich und satt erlebt. Und auch ich bin begeistert, weil hier israelisch nicht Hummus, Falafel und Shakshuka bedeutet, sondern ein wirklich neues kulinarisches Erlebnis.

NIGHT KITCHEN: Heckmann-Höfe, Oranienburgerstr. 32, 10117 Berlin, täglich ab 17 Uhr, Telefon: 23 57 50 75