Gentrifizierung in Berlin: Viele kleine Initiativen machen Druck an der Basis

Wer wissen will, warum ein Bebauungsplan eine mächtige Waffe gegen die soziale Verdrängung sein kann, sollte Theresa Keilhacker fragen. Die Architektin beschäftigt sich schon lange mit den Themen nachhaltige Stadtentwicklung, Planen und Bauen. Sie gehört zu einer Gruppe von Fachleuten, die sich mit einem neuen Crowdsourcing-Projekt „Wem gehört Berlin“ an die Berliner Mieter wenden: Auf der Website wollen sie Geschichten einzelner Immobilien sammeln und den Markt durchleuchten.

Am Sonnabend stellen sie die Plattform auf den Experimentdays auf dem RAW-Gelände vor. Was die Informationen nützen sollen und welche Versäumnisse sie bei Politik und Verwaltung sieht, erklärt Theresa Keilhacker im Interview.

Es gibt bereits mehrere Initiativen, die über Crowdsourcing-Projekte versuchen, herauszufinden, wem die Stadt gehört, darunter eine Gemeinschaftsrecherche von Tagesspiegel und Correctiv. Warum braucht es nun noch eine?

Erstens einmal denke ich, es kann gar nicht genug solcher Projekte geben, weil es ein wahnsinnig komplexes Thema ist. Die Stadt ist riesig, die Probleme sind je nach Bezirk extrem unterschiedlich. Jede dieser Initiativen hat ihren eigenen Zugang, die einen haben vielleicht mehr Vertrauen zu einer Zeitung, die anderen mehr zu einer Grassroots-Initiative. Die Frage ist, wie man an die Geschichten herankommt, die unbedingt in die Öffentlichkeit gehören.

Und was wollen Sie und die anderen Akteure hinter der Plattform bewirken?

Wir kommen aus den Bereichen Stadtentwicklung, Stadtplanung, Architektur, Freiraumplanung, Kultur und haben nochmal eine andere Sicht auf die Stadt als die meisten Mieter. Wir denken, dass der Immobilienmarkt ein gesamtgesellschaftliches Thema ist, das man von allen Seiten durchleuchten muss. Wir wollen transparenter machen, was in diesem Bereich für Mechanismen wirken und Instrumente entwickeln, wie man sie steuern kann.

Welche Mechanismen meinen Sie genau?

Letztendlich ist das ein altes Thema, nämlich das der Gentrifizierung, die sich in allen wachsenden Städten bemerkbar macht. Aber wenn die Preissprünge zu hoch sind, muss man vielleicht steuernd in den Markt eingreifen. Das ist eine politische Aufgabe. Wichtig wäre vor allem, die Steuerschlupflöcher zu schließen und mit dem Geld, was man dabei einnimmt, gegen Leerstand vorzugehen. Hier ist die öffentliche Hand im Verzug – es geht also nicht nur um die gierigen Investoren, die sich eine goldene Nase verdienen wollen. Es geht auch darum, wie eine Stadt mit den öffentlichen Liegenschaften und mit Bodenpreispolitik umgeht.    

Welche Informationen brauchen Sie von den Berliner Mietern?

Wir fragen immer nach den Eigentümern, dann nach der Hausverwaltung. Da kriegt man oft schon Hinweise: Wie kümmern die sich um ihre Liegenschaften? Eine schlechte Hausverwaltung ist immer ein Indikator dafür, dass der Eigentümer kein großes Interesse daran hat, dass ein Haus gepflegt wird. Wir wollen die Geschichten aus Sicht der Betroffenen erzählen und damit die Öffentlichkeit für die Frage sensibilisieren, was der Bezirk oder der Senat jeweils für Instrumente einsetzen kann.

Bei Ihrem Projekt werden Architekten und Stadtplaner zu Aktivisten. Was können Sie als Fachleute für einen Beitrag leisten?

Zunächst gucken wir alle Beiträge auf der Website noch einmal fachlich an und sagen zum Beispiel: Da müsste man nochmal nachfragen, was der Stand des B-Plans ist. Viele wissen gar nicht, was ein Bebauungsplan ist und dass sie über dieses Instrument unheimlich großen Einfluss nehmen können – mehr noch als über den Milieuschutz.

Und wie könnte man dieses Instrument konkret nutzen?

Das wichtigste wäre, die Stadtplanungs-, Bau- und Grünflächenämter in den Bezirken wieder zu stärken – das ist unser Credo. Es geht darum, dass man die Behörde wieder mit mehr Personal ausstattet, damit sie nicht mehr nur auf den Druck der Investoren reagieren, sondern aktiv handeln kann. Statt dass sie nur vorhabenbezogene Baupläne machen, die oft investorenfreundlich sind, müssten sie selbst soziale Standards festlegen, die sie auf dem Grundstück haben wollen. Man müsste den Spieß umdrehen. Das geht aber nur, wenn man eine gut ausgestattete Behörde hat.

Heißt das, die Politik und Verwaltung könnten mehr machen, um die Mieter zu schützen?

Es wäre absolut möglich. Schon 2011 haben sich die Fehlentwicklungen abgezeichnet, zum Beispiel am Barbarossaplatz in Schöneberg. Investoren und Projektentwickler sind durch die Stadt gegangen, haben sich 50er, 60er Jahre Bebauung angeguckt haben und zu den Bezirken gesagt: Wir reißen das ab und stellen dafür noch mehr Wohnraum hin. Und die Bezirke haben damals zu wenig die Frage gestellt: Was eine Art von Wohnraum denn? Und wie kann ich die Mieter schützen?

Es wäre gut gewesen nachzufragen.

Ja, denn am Ende stellte sich heraus, dass es Luxussegment war, und dass sie den bezahlbaren Wohnraum mit dem Abriss begünstigt haben. Über Bebauungspläne mit sozialgerechter Bodennutzung hätte man das verhindern können. Und das ist tragisch. Jetzt müssen wir dringend gegensteuern: Unser dezentrales bezirkliches System stärken und die Stadtplanungsämter aufrüsten – damit die schneller und effizienter arbeiten können.

Kann eine kleine Initiative etwas gegen die Dynamik des Mietmarktes ausrichten?

Ich glaube, nicht eine kleine Initiative kann das, aber viele kleine Initiativen können das. Wir haben ja ganz viele Gruppen in der Stadt. Wir sind vernetzt, wir wissen voneinander, wir kriegen die Neuigkeiten gegenseitig zugeschickt und wir können sehr wohl – auch wenn man nicht immer einer Meinung ist – den politischen Druck erhöhen, und zwar parteiunabhängig, wer auch immer gerade regiert – so wahnsinnig unterscheiden sich da die Koalitionen leider gar nicht. Es geht darum, dass ganz viele Menschen sehr stark bedroht sind, dass Existenzen bedroht sind, dass die Vielfalt der Stadt bedroht ist. Den Politikern und Politikerinnen muss klar werden, dass da ein irrer Druck ist an der Basis.

Am Sonnabend stellen die Initiatoren das Projekt „Wem gehört Berlin“ auf der Projektbörse während der Experimentdays vor, RAW-Gelände, Revaler Straße 99. Weitere Informationen und das komplette Programm gibt es unter https://experimentdays.de/2018/