Gentrifizierung: Zugezogene protzen Berliner Lebensgefühl weg
Berlin - In Berlin brodelt es gewaltig. Gegen die „Zugezogenen“, die mit viel Geld und überdrehter Lebensart angeblich den Alteingesessenen dieser Stadt das Lebensgefühl nehmen. Man wehrt sich. Mit Steinen, die Linksradikale gegen Edel-Restaurants in Kreuzberg werfen, oder mit Worten. Wie Anna Thalbach, die sich nun gegen das „prollige Geprotze“ der Neu-Berliner aufregt.
„Das, was ich an Berlin geliebt habe, das Bescheidene, ist einfach nicht mehr da.“ Die Kritik der Schauspielerin Anna Thalbach (43) im RBB-Inforadio über die protzigen Neu-Berliner schlägt hohe Wellen. Vor allem in Prenzlauer Berg, wo Thalbach nahe der Zionskirche zu Hause ist, und der Stadtteil ein Paradebeispiel für die Veränderungen in der Hauptstadt ist.
Luxuswohnungen für die anderen
Ist Berlin noch wirklich Berlin? Bei „Konnopke“ an der Schönhauser Allee, der berühmtesten Currywurstbude Berlins, fragte die Berliner Zeitung nach. Chefin Dagmar Konnopke gibt der Schauspielerin recht. „Ein Stück Berlin ist schon durch den Bevölkerungswandel verlorengegangen“, sagt sie. „Hier an der Schönhauser sind alte Berliner Läden verschwunden. Stattdessen gibt es hippe Läden und Start-up-Firmen.“
Schön ist es ja, dass Investoren kamen, die verfallene Häuser sanierten. „Aber die daraus entstandenen Luxuswohnungen kann sich kaum noch einer von den Alteingesessenen leisten“, sagt Konnopke. „Meine Stammkunden kommen immer weniger, weil sie an den Stadtrand gezogen sind.“
Jährlich kommen 48.000 neue Einwohner dazu
Laut Mietspiegel liegt in Prenzlauer Berg der Durchschnittspreis bei 12,54 Euro pro Quadratmeter. Experten schätzen, dass nur noch 25 Prozent der Bewohner aus der Vorwendezeit in dem Stadtteil leben. Dazu meldet sich nun eine andere Prominente zu Wort – Angelika Mann, Sängerin mit Berliner Schnauze. „Berlin ist nach wie vor klasse“, sagt sie. „Aber wenn Berliner sich nicht mehr die Wohnungen leisten können, weil immer mehr Menschen in die Stadt drängen, muss die Stadt handeln.“
Den Umbruch merken auch die Betreiber der Berliner Eckkneipen, die immer mehr durch Nobel-Restaurants und Szene-Bars verdrängt werden. „Zum Schusterjungen“ heißt eine der Kneipen in Prenzlauer Berg an der Danziger Straße. Wirt Felix (28) sagt: „Es ist doch verlogen, sich über Zugereiste aufzuregen“, sagt er zu der Kritik von Anna Thalbach. „Wer Berliner Lebensart haben will, muss auch etwas dafür tun“, sagt er.
Kein Jägermeister in der Eckkneipe
Zum Beispiel seine Gäste auch auf Englisch zu begrüßen. „Zu uns kommen viele Ausländer, die hier in Berlin arbeiten oder als Touris in der Stadt sind“ , sagt der Wirt. Man müsse auf sich anpassen, aber nicht um jeden Preis. „Ich biete nur Berliner Gerichte an. Die Neu-Berliner müssen sich daran gewöhnen, dass es bei uns Eisbein statt Haxe gibt, kein Weizen sondern nur Berliner Bier gezapft wird. Auch Berliner Schnäpse biete ich an. Den ,Jägermeister’ habe ich verbannt.“
Dort an der Zionskirche, wo Thalbach wohnt, arbeitet Christian Krause (57) in einem Eisenwaren-Geschäft als Verkäufer. Auch er ärgert sich wie die Schauspielerin über das protzige Getue der Zugezogenen. „Berlin ist nicht mehr das, was es einmal war.“
„Ich kann verstehen, dass die Berliner wütend sind"
In der Choriner Straße steht zwischen sanierten Häusern noch ein verfallene Mietshaus. In ihm wohnt eine Zugezogene, Andrea Hollmann (37) aus Schleswig Holstein. „Ich kann verstehen, dass die Berliner wütend sind. Wenn man erlebt, wie Zugezogene ihnen ihre Lebensart aufdrücken und es dann beim Bäcker auf einmal Wecken statt Schrippen gibt.“
Jährlich kommen 48.000 neue Einwohner dazu. Geschäftsleute, Studenten. „Die Zuwanderung hat auch viele Probleme in Berlin gelöst“, sagt Carsten Brönstrup vom Unternehmerverband. „Zugereiste machen Berlin wirtschaftlicher mit ihren Firmen. Mit ihrer Hilfe stieg seit 2005 die Zahl der Arbeitsplätze um 350.000 auf 1,4 Millionen.“