Geplantes Mobilitätsgesetz: Berliner Autofahrer fühlen sich ausgesperrt
Es ist eine Revolution – und eine Premiere. Fast alles, was sich die Fahrradlobby gewünscht hat, findet sich im jüngst vorgelegten Entwurf des Berliner Mobilitätsgesetzes wieder. Noch nie hat es in Deutschland ein Gesetz gegeben, das Partei für die Radfahrer ergreift und ihren Belangen bei Konflikten den Vorrang einräumt.
Kein Wunder also, dass die Autolobby verärgert reagiert – und nicht nur sie. „Uns erreichen viele Reaktionen von Autofahrenden, die es befremdlich finden, dass ein Mobilitätsgesetz sich erst gar nicht mit dem Autoverkehr beschäftigt“, sagte Jörg Becker vom Allgemeinen Deutschen-Automobil-Club (ADAC) Berlin-Brandenburg.
Die ersten 50 Paragrafen des Gesetzes liegen seit Freitag im Entwurf vor. Sie enthalten Sprengstoff für die verkehrspolitische Debatte – und für später, wenn die Verwaltung an die Umsetzung der ambitionierten Ziele gehen muss. Paragraf 1 stellt klar, wie sich der Gesetzgeber den Berliner Verkehr der Zukunft vorstellt: stadt-, umwelt- und klimaverträglich.
„Ob das Gesetz dann langfristig erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten“
Paragraf 3 bestimmt: Wenn Straßen und Plätze angelegt oder umgestaltet werden, ist zu prüfen, ob sie „als Ort der Begegnung, des Verweilens, der Erholung, der Kommunikation und des Spielens genutzt werden können“ – von schneller Fortbewegung ist keine Rede.
Während der Fahrradverkehr und das Zu-Fuß-Gehen eigene Abschnitte im Mobilitätsgesetz bekommen sollen, geht der Kraftfahrzeugverkehr leer aus. „Wir befürchten, dass damit die verkehrspolitische Akzeptanz, die ja laut der Verkehrssenatorin in breiten Kreisen der Öffentlichkeit erreicht werden soll, von vornherein untergraben wird“, bemängelte Jörg Becker.
„Es ist zu befürchten, dass das Mobilitätsgesetz einen ’ideologischen Anstrich’ bekommt, der die erforderliche Diskussion im Rahmen der vorgesehenen Umsetzung, falls so beschlossen, nicht leichter machen wird“, warnte der ADAC-Mann. „Ob das Gesetz dann langfristig erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten.“
Geschützte Radspuren sind das Ziel
Der ADAC werde den Gesetzentwurf analysieren. „Das nimmt etwas Zeit in Anspruch“, sagte Becker. Doch zu zwei Bestimmungen gab er jetzt schon Einschätzungen ab.
Eine davon ist der Paragraf 44 des Entwurfs – eine zentrale Regelung. Denn er sieht vor, dass auf oder an allen Hauptverkehrsstraßen in Berlin Radverkehrsanlagen einzurichten sind. Sie sollen einen erschütterungsarmen, gut befahrbaren Belag haben und in sicherem Abstand zu parkenden Kraftfahrzeugen und mit ausreichender Breite markiert werden – so breit, dass sich Radfahrer sicher überholen können.
Einzelheiten gibt es dazu noch nicht, doch während der Diskussionen beim „Dialog Radverkehr“ war von 2 oder 2,30 Meter Breite die Rede. Eine weitere Anforderung: Die Radfahrstreifen sollen so gestaltet werden, dass „unzulässiges Befahren und Halten durch Kraftfahrzeuge unterbleibt“. Im Gespräch sind Schwellen, Poller oder andere Trennelemente. Geschützte Radspuren sind das Ziel.
Zahlreiche Parkplätze werden wegfallen
„Hier wird es sicher Relativierungen geben müssen, in welcher konkreten Form im Einzelfall getrennte Radinfrastruktur zu schaffen ist“, so Becker. Längst nicht überall gebe es genug Platz. „Wir können nur davor warnen, übereilt und unausgereift Hauptverkehrsstraßen in ihrer Leistungsfähigkeit einzuschränken.“
Schließlich sei der Nahverkehr laut Gesetz ebenfalls zu berücksichtigen. „Und irgendwo muss ja auch der ’verbleibende, notwendige Individualverkehr’, so der Originalton der Senatorin, bleiben und möglichst fließen“, verlangte Becker.
Klar sei auch, dass zahlreiche Parkplätze wegfallen werden. Die Verluste müssten ausgeglichen werden: „Ich gehe davon aus, dass die Senatsverwaltung Kompensationslösungen vorsieht. Das ist aus den schon erläuterten Akzeptanzgründen zwingend notwendig.“
Kommt das Gesetz erst 2018?
Langfristig soll es in Berlin keine Verkehrsunfälle mehr geben, bei denen Menschen sterben oder schwer verletzt werden, heißt es in Paragraf 8 des Entwurfs. „Das ist eine anspruchsvolle Zielsetzung, die natürlich niemals real erreichbar sein wird“, kommentierte Becker. Aber ein hohes Ziel sollte schon verfolgt werden. „Das ist übrigens auch keine Neuerfindung des Berliner Mobilitätsgesetzes, sondern seit Jahren bereits EU-Zielsetzung.“
„Wir wollen eine Umverteilung des Straßenraums in Berlin. Und es ist klar, dass dabei auch der eine oder andere Parkplatz wegfallen wird“, bekräftigte Tino Schopf, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. So stünde es in der Koalitionsvereinbarung, das rot-rot-grüne Bündnis spiele mit offenen Karten.
Doch es bleibe auch dabei, dass jeder Fall geprüft wird. Gebe es Streit, könnten Planungen angepasst werden – so wie in der Anton-Saefkow-Straße in Prenzlauer Berg, wo Bürgerproteste den Wegfall von vielen Parkplätzen verhindert hätten.
„Wir wollen nichts übers Knie brechen“
„Wir wollen den Radverkehr sicherer machen“, sagte Schopf, der mit dem Abgeordneten Andreas Kugler die SPD bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs vertreten hatte. Der Entwurf sei ein „Kompromiss, den wir mittragen“. Allerdings: Ursprünglich sollte er schon früher fertig werden – um ihn im Frühjahr ins Abgeordnetenhaus einbringen zu können. Nun werde sich das Parlament erst vom kommenden September an damit befassen können.
Schopf schloss nicht aus, dass die ersten Teile des Mobilitätsgesetzes erst 2018 verabschiedet werden. „Wir wollen nichts übers Knie brechen“, um möglichen Klagen vorzubeugen. Schopf: „Das Gesetz soll für andere Bundesländer ein Vorbild sein. Da ist es wichtig, dass alle Bestimmungen rechtssicher sind.“