Der eigentliche Skandal hinter dem Abriss des Palastes der Republik

Die Sanierung des Palastes wäre nötig gewesen. Der Abriss war es definitiv  nicht. Er verstieß gegen alle Gebote der Nachhaltigkeit. Damals schon.

Die Baustelle Palast der Republik in Berlin am 15.03.2007: Rückbau, Abriss, Ruine.
Die Baustelle Palast der Republik in Berlin am 15.03.2007: Rückbau, Abriss, Ruine.imsgo/Pemax

Der Abriss des Palastes der Republik – besser gesagt: des Rohbaus, der von ihm 2006 nach einer bis auf den Stahl- und Stahlbetonkern gehenden Asbestsanierung verblieben war – ist und bleibt eines der großen Traumata der Berliner und der deutschen Architektur-, Denkmal- und Geschichtspolitik.

Das zeigte sich kürzlich wieder, als die Organisatoren des Palast-Nachfolgers, die des  Humboldt-Forums also, versuchten, die Debatte um diesen Abriss, aber auch um den Palast der Republik selbst zu resümieren. Als Fazit denen, die die Veranstaltungen besuchten, oft nur: Die Kegelbahn im Schlüterhof, die war klasse. Fast wie im Palast.

Es wurde unübersehbar viel über ihn geschrieben und geforscht. 1993 konnte ich unter der Hand das seit drei Jahren leer stehende Gebäude noch einmal von innen sehen. Bedingung: keine Fotos, kein Bericht. Einfach nur sehen. Solche Touren waren ein Privileg, von den Zuständigen ganz nach Art der DDR freundlich unter der Hand gewährt.

Der matte Hall in den Gängen und Sälen, die für die DDR-Moderne so charakteristischen, spirrligen Metallstühle in den Ecken, der staubige Glanz des Marmors, die schummrigen Notbeleuchtungen im Großen Saal, der prächtige Ausblick bis zum Fernsehturm, das leere Stahlträgerrund, in dem bis 1990 das von der SED verordnete Staatswappen der DDR gehangen hatte. Die Gemälde aus dem Foyer waren längst demontiert, die Glasblume wirkte ohne Menschen drumherum wie verloren.

Es sollte noch mehr als zehn Jahre dauern, bis sich auch die Politik entschied, die immer in Angst vor dem Unwillen der Wähler „im Osten“ war. Nach endlosen Reihen von Gutachten und Beratungen wurde beschlossen, was die Bau-Fachleute unisono schon 1993 sagten: Die Asbestsanierung ist unabwendbar. Die feinen Fasern müssen ausgebaut und dann als Sondermüll gelagert werden.

Seit 1969 verboten: Spritzasbest im Palast der Republik

Das lernen Architektur- und Bauingenieurstudierende im zweiten Semester Materialkunde. Das wussten selbstverständlich auch die Ingenieure und Baufirmen in der DDR. Seit 1969 war Spritzasbest, die Technologie, von der 5000 Tonnen im Palast eingesetzt wurden, ausdrücklich verboten. Die SED setzte das Gesetz für ihren Repräsentationsbau außer Kraft, ignorierte die Gefahr für Bauarbeiter, Mitarbeiter im Haus, Gäste.

Die DDR war auch sonst ein Spitzenverbraucher des mehr als 100 Jahren bekannt umweltgefährdenden Minerals: Von 1960 bis 1989 importierte sie etwa 1,4 Millionen Tonnen vor allem aus dem heutigen Russland, pro DDR-Bürger also etwa 2,8 Kilogramm – fast das Dreifache des Verbrauchs in der alten Bundesrepublik in diesen Jahren. Erst die einzig demokratisch gewählte Volkskammer der DDR setzte im Sommer 1990 auf Druck der Mitarbeiter endlich die Arbeitsschutzgesetze der DDR durch.

Bauen mit Stahl: In der DDR wollte man mithalten

Aber wie kam es zu dieser Asbestbelastung? Eine der vielen Absurditäten der DDR-Architekturgeschichte ist, dass sie zwar eine reiche Stahlbeton-Architektur entwickelte, aber vergleichsweise wenig Erfahrung mit dem Bau öffentlicher Gebäude aus Stahl hatte. Stahl war kostbar, die Stahlproduktion der DDR etwa in Eisenhüttenstadt, Brandenburg/Havel oder Hennigsdorf bei Berlin war völlig abhängig von Rohstoffimporten aus der Sowjetunion und Polen.

Gleichzeitig war das Bauen mit Stahl aber „im Westen“ durch die Subventionspolitik der heutigen Europäischen Union zum Material der westlichen Spät-Modernisten schlechthin gemacht worden. Das fast gleichzeitig mit dem Palast errichtete Pariser Centre Pompidou mit seiner superschlanken Stahlkonstruktion, Hochhäuser wie der West-Berliner Steglitzer Kreisel oder die hinreißenden Projekte Karljosef Schattners in Eichstädt stehen dafür.

Mit dem Bau des Palastes sollte auch gezeigt werden, dass die DDR an diese Moderne anschließen kann. Um die fehlende Erfahrung zu kompensieren, wurden Konstruktionen teilweise aus dem Brückenbau entlehnt und waren entsprechend weit überdimensioniert. Wie einige beteiligte Ingenieure sagten: Hier können Panzer bis ins Obergeschoss rollen.

Den Mut allerdings, diese Konstruktion auch offen zu zeigen, hatte die SED-Führung nicht: Alle diese grandiosen Stahlkonstruktionen des Palastes waren sichtbar nur beim Bau und dann wieder nach der Asbestsanierung.

Stahl muss gegen Brand isoliert werden. Spritzasbest, eine Mischung aus Mineralfasern mit Zement und Kunststoffen, schien diese Isolierung zu garantieren. Im Unterschied zu Asbestplatten, die etwa im West-Berliner ICC die Konstruktion umhüllten und dadurch relativ einfach ausgebaut werden konnten, wurde der Spritzasbest jedoch direkt auf den Stahl aufgetragen.

Der Palast der Republik musste bis auf seinen Rohbau ausgekratzt werden

Durch die inneren Spannungen dieser Mischkonstruktion und die Aushärtung der Kunststoffanteile entstehen Haarrisse, die Asbestfasern in die Raumluft des Palastes gelangen ließen. Dazu stellte sich, wie die Bauarbeiter während der Abbrucharbeiten Besuchern zeigten, heraus, dass der Spritzasbest nicht nur als Isoliermittel, sondern auch als Mörtel eingesetzt worden war, etwa, um Steinstufen zu verkleben.

Der Palast musste also am Ende bis auf seinen Rohbau ausgekratzt werden. Und hier beginnt der eigentliche Skandal um den Palast. Denn so unabweisbar die Asbestsanierung war – der Abriss des Rohbaus war es nicht. Er war eine politische Entscheidung, die schon damals ökonomisch, ökologisch und schon gar geschichtspolitisch gegen alle Gebote der Nachhaltigkeit verstieß.

Das für mehr als 80 Millionen Euro von Asbest gesäuberte Stahlgerüst hatte einer (allerdings umstrittenen) Berechnung von Stahlverkäufern nach um 2005 mehr als 200 Millionen Euro Neubauwert; vom Staat wurde eine solche Wert-Berechnung nie gemacht.

Warum wurde der Palast nicht ins Humboldt-Forum integriert?

Ebenso wenig interessierte, den ohne weiteres wieder ausbaufähigen, voll belastbaren Rohbau des Palastes in einen Neubau für das Humboldt-Forum zu integrieren – entsprachen sich doch sogar die Geschosshöhen fast genau. Es gab viele solche Vorschläge, viele hätten auch einen Nachbau der Barockfassaden keineswegs behindert. Zwar wäre damit die legendäre Tribünentechnik des Großen Saals auch nicht gerettet worden, sie war viel zu unflexibel und teuer im Betrieb.

Erspart hätte man sich aber mindestens die Kosten für den Abriss des Gerüsts von 32 Millionen Euro, die 20 Millionen teurer waren als vom Berliner Senat geplant und bei weitem nicht, wie es die damalige Bausenatorin Ingeborg Junge-Reyer versprochen hatte, durch den Verkauf des Rohstahls ausgeglichen wurden.

Aber nicht nur der Oberbau aus Stahl wurde abgerissen. Auch die gigantischen Untergeschosse ließen die Senatsplaner durch das Aufbohren der wasserdichten „Schwarzen Wanne“ und das Einschwemmen von Sand zerstören, gegen massive Proteste von Fachleuten aus Ost und West. Verhindert war damit der Auftrieb der Palastwanne, um benachbarte Gebäude wie den Berliner Dom und das Alte Museum zu sichern.

Alternativen zu dieser Lösung wie die des Palast-Ingenieurs Manfred Barg, die Plattform des Palastes sukzessive während des Rohbauabrisses von oben zu beschweren, um die schwindende Last auszugleichen, kamen nicht einmal in die Vorprüfung. So wurde kostbarer unterirdischer Raum auf Dauer verfüllt, den das Humboldt-Forum heute gut gebrauchen könnte.

Die Behauptung Junge-Reyers, dass diese Untergeschosse ohne weiteres wieder frei geräumt werden könnten, war bestenfalls kenntnisfreier Unsinn: Jeder, der auch nur einmal mit Gewährleistungsfragen zu tun hatte – also etwa ihre gesamte Bauverwaltung! – weiß, dass ein Neubau kaum je auf einem derart malträtierten Untergeschoss entstehen kann.

Breite und öffentliche Debatte über den Abriss

Gestützt wurde diese immense Verschwendungskultur allerdings durch eine in der deutschen Geschichte selten breite Debatte: Allenfalls um den Neubau des Bundestagssaals in Bonn und den Umbau des Reichstags in Berlin für den Bundestag wurde derart breit und öffentlich gerungen.

Bundestage dreier Legislaturperioden haben mehrmals für den Abriss gestimmt, trotz unterschiedlicher Zusammensetzungen durchweg mit überwältigenden Mehrheiten. Auch das gehört zur Palastabrissgeschichte – er war die Folge einer grunddemokratischen Entscheidung. Man kann das Ergebnis für falsch halten, das Verfahren aber war vorbildlich.

Die Argumente für den Abriss waren dabei keineswegs einheitlich: Für manche DDR-Oppositionelle stand der Bau für die Machtanmaßung der SED und ihre korrumpierende Brot-und-Spiele-Politik. Für Architektur-Traditionalisten war schon der demonstrative ästhetische Modernismus des Gebäudes ein Graus. Das Staatsratsgebäude mit seinen konservativeren Fassaden dagegen wurde gerne ertragen.

Mancher Nationalbewusste wünschte sich die Fassaden des Schlosses

Manche – keinesfalls alle – Nationalbewusste wünschten sich die Fassaden des Schlosses zurück, um die Kontinuität der zweiten Bundesrepublik zur ersten Reichseinigung von 1870 demonstrieren zu können. Manche Preußen-Fans verlangten sogar den Nachbau von Innenräumen, um ein Wiedererstehen Preußens zu annoncieren.

Die bankrotte Stadt Berlin und die Bundesregierungen fürchteten nichts mehr, als dauerhaft auf den Betriebskosten für einen funktionslosen Riesenbau sitzen zu bleiben oder gar durch seine Reaktivierung einen neuen Kostgänger zu erhalten.

Dennoch blieb der Palast über mehr als ein Jahrzehnt leer im Stadtraum stehen. Es gab nämlich keine zündende Idee, was an seiner Stelle entstehen könne. Vom Sitz des Bundespräsidenten oder Haus der Bundesländer über eines für die Europäische Kommission, Zentral- und Landesbibliothek, Gemäldegalerie und Kunstgewerbemuseum, Shoppingmall und Hotel – es gab wohl kaum einen Nutzen, der hier nicht vorgeschlagen wurde.

Erst als der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, und der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Peter-Klaus Schuster, 2000 vorschlugen, zwar die Schlossfassaden nachzubauen, dahinter aber ein modernes Kulturzentrum nach dem Vorbild des Centre Pompidou einzurichten, wurde dieser Knoten durchschlagen: Damals sollte noch die Landesbibliothek mit einziehen, zusätzlich zu den Ethnologischen Museen und dem Museum für Asiatische Kunst.

Ein Konzept, das umgehend für Begeisterung sorgte. Allerdings hätte man das Humboldt-Forum ohne Weiteres auch aus dem Rohbau des Palastes der Republik heraus schöpfen können, der ziemlich genau die 50.000 Quadratmeter Fläche hatte, die Lehmann und Schuster forderten.

Doch die Palast-Verteidiger waren derart zerstritten, dass sie kein einziges Mal für eine solche Verbindung aus Palast und Humboldt-Forum fochten. Noch immer wollten viele schlichtweg „ihren“ alten Palast der Republik zurückhaben. Eisern ignorierten sie, dass in einer freien Gesellschaft keinerlei Bedarf mehr für eine zentralisierte Gastronomie inklusive Staatskegelbahn bestand.

Vor allem während der großartigen „Zwischenpalastnutzung“ im asbestbefreiten Rohbau setzte sich blanke Ruinenromantik durch, die hier einen gesellschaftlich vollkommen sektoralen Spielplatz für selbst ernannte Kulturavantgardisten schuf.

Immer wieder zeigte sich in den damaligen Debatten selbstbewusste Ignoranz der Avantgardisten und Palast-Enthusiasten gegenüber dem Bildungswert von öffentlichen Bibliotheken oder den weltweit einzigartigen Sammlungen des Ethnologischen Museums: Speere und Körbe gehörten doch nicht ins Stadtzentrum.

Und mit den neoliberalen Revolutionären jener Jahre war man sich einig in der Staatsfeindlichkeit: Zahlen sollte der Staat für das Palast-Vergnügen, aber ja keine seiner Institutionen an diesem zentralen Ort der Stadt unterbringen dürfen.

Was die Palast-Kämpfer übersahen: Seit dem Bau der Schlosskulisse 1993 und der Vorstellung des Konzepts für das Humboldt-Forum 2000 stand einer breiteren Öffentlichkeit eine Alternative vor Augen, die Schönheit, öffentlichen Zugang und demokratische Teilhabe zugleich versprach.

Dass dieses Versprechen auch auf der Ausblendung von zentralen Teilen der Geschichte der Museen als künftigem Nutzer und der des Schlosses als Hülle dieser Museen beruhte, wurde zwar früh moniert. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das erst mit dem Skandal um das Kuppelkreuz und die Kuppelinschrift deutlich, die die Unterwerfung der Menschheit unter Jesus Christus fordert.

Um 2005 aber, als die Entscheidungen für den Abriss des Palast-Rohbaus fielen, waren im ganz auf sich bezogenen Deutschland weder der Kolonialismus noch der Klimawandel oder Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit ein Thema.

Man kann nur hoffen, dass sich wenigstens das geändert hat, wenn der erste Intendant des Humboldt-Forums, Hartmut Dorgerloh, heute sagt, dass der Abriss dieser gigantischen Energie- und Raumreserve wohl nicht mehr durchsetzbar wäre. Damals jedenfalls war dieser Abriss so sinnlos wie kaum aufhaltbar.